Höhere Gewalt

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Halter H fährt absolut ideal die Landstraße entlang, allerdings bricht ein schweres Gewitter samt Sturmböen herein. Als eine Sturmböe einen Baumstamm auf die Straße weht, weicht H auf die Gegenfahrbahn aus und überfährt die Rennradfahrerin R.

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Einordnung des Falls

Höhere Gewalt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. R wurde bei Betrieb des von H gehaltenen Kfz geschädigt.

Genau, so ist das!

Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet der (1) Halter eines Kfz für (2) Personen- oder Sachschäden, die (3) bei dem Betrieb des Kfz verursacht werden, (4) wenn die Haftung nicht ausgeschlossen ist. Kfz sind legaldefiniert als Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft bewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein (§ 1 Abs. 2 StVG). Halter ist, wer das Fahrzeug für eigene Rechnung (nicht nur ganz vorübergehend) gebraucht und die Verfügungsgewalt darüber besitzt. R hat einen Personenschaden durch den Zusammenstoß mit dem Kfz erlitten, dessen Halter H ist. Es handelt sich um eine Gefährdungshaftung, sodass ein Verschulden nicht erforderlich ist.
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2. Die Haftung ist ausgeschlossen, weil es sich um ein unabwendbares Ereignis handelt.

Nein, das trifft nicht zu!

Unabwendbar ist ein Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht zu vermeiden war. Leitbild ist der "Idealfahrer". Das unabwendbare Ereignis ist jedoch kein allgemeiner Ausschlussgrund der Halterhaftung mehr. Vielmehr wurde es durch den strengeren Ausschlussgrund der höheren Gewalt ersetzt (§ 7 Abs. 2 StVG). Das unabwendbare Ereignis wird nur noch im Verhältnis zu anderen Kfz-Haltern, -Führern und -Eigentümern relevant (§ 17 Abs. 3 StVG). Im Verhältnis zu Radfahrerin R kann eine Unanwendbarkeit nicht die Haftung des H ausschließen.

3. Die Haftung ist ausgeschlossen, weil es sich um höhere Gewalt handelt (§ 7 Abs. 2 StVG).

Nein!

Der Ausschlussgrund der höheren Gewalt (§ 7 Abs. 2 StVG) erfordert ein unvorhersehbares und von außen kommendes außergewöhnliches Ereignis, das derart betriebsfremd ist, dass es kalkulatorisch nicht berücksichtigt werden kann und auch durch äußerste Sorgfalt unabwendbar ist. Es muss sich auch bei Naturereignissen um ein ganz ungewöhnliches Ereignis handeln. OLG Nürnberg: Dazu sei ein Gewitter, wenn auch begleitet von Sturmböen, nicht zu zählen. Landstraßen verliefen nun einmal im Freien und führten auch durch Waldgebiete. Sie seien Wind und Wetter ausgesetzt. Ereignisse wie ein Gewitter seien dem immanent.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

EVA

evanici

12.9.2023, 13:07:28

Und strenger ist das deswegen, weil der "Idealfahrer" nur äußerste Sorgfalt an den Tag legen musste, die bei höherer Gewalt nur ein TBM der Definition ist?

ASA

asanzseg

20.9.2023, 11:50:31

Also ich weiss ja nicht, aber dieser Fall scheint so ziemlich der 0815 Standard fall für höhere Gewalt zu sein. BeckOK: 151 Nach den vom RG und BGH entwickelten Konturen beruht auf höherer Gewalt ein außergewöhnliches, betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter (betriebsfremder) Personen herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und das auch nicht im Hinblick auf seine Häufigkeit in Kauf genommen zu werden braucht. Höhere Gewalt auszuschließen weil „ständig Bäume an Waldstraßen umfallen können wenn es heftig stürmt“ erscheint mir ehrlich gesagt wirklich sowas von daneben.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.9.2023, 16:46:17

Hallo asanzseg, Dein Unbehagen kann ich durchaus nachvollziehen. Letztlich muss man sich klarmachen, dass der Begriff der höheren Gewalt letztlich ein „wertender Begriff“ ist, der von der Rechtsprechung äußerst restriktiv eingesetzt wird. Lediglich die nicht mit dem Betrieb eines Kfz verbundenen, sondern ausschließlich einem Drittereignis zurechenbaren Risiken sollen hierdurch ausgeschlossen werden (vgl. BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 7 Rn. 151). Die Rechtsprechung (in dem Fall das OLG Nürnberg) lässt es insofern nicht genügen, dass Naturkräfte an der Herbeiführung des Unfalls maßgeblich beteiligt waren. Vielmehr müssen diese "außergewöhnlich" sein. Daran hat das Gericht es im Originalfall scheitern lassen (s. zur fehlenden Außergewöhnlichkeit die Beispiele bei BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 7 Rn. 151.2, vorhersehbare Witterungsereignisse bzw. Kollision mit Tieren oder anderen Verkehrsteilnehmern genügt regelmäßig nicht). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Dogu

Dogu

30.3.2024, 19:12:16

Es ist doch vorhersehbar, dass bei Stürmen Teile der Vegetation auf die Straße fallen können. Das ist meines Erachtens eben kein

Standardfall

für höhere Gewalt.

Juraddicted

Juraddicted

8.10.2024, 15:40:14

„Das unabwendbare Ereignis wird nur noch im Verhältnis zu anderen Kfz-Haltern, -Führern und -Eigentümern relevant (§ 17 Abs. 3 StVG).“ Bedeutet dies, dass zB ein „

unabwendbares Ereignis

“ einen Autofahrer nur gegenüber Verletzungen bei einem entgegenkommenden Auto(halter) schützt/ befreit? Und nicht gegenüber einem Fußgänger/ Radfahrer? Gibt es dazu einen Grund? vielen Dank :)

LELEE

Leo Lee

13.10.2024, 06:28:46

Hallo Juraddicted, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Du hast völlig Recht; früher stand im

7 StVG

statt höherer Gewalt ebendieser Begriff "

unabwendbares Ereignis

". Da jedoch in 7 II StVG der Begriff geändert wurde, hat 17 III eben keine Bedeutung mehr hierfür, sondern nur für die Haftung unter den Verkehrsteilnehmern. Hier kann man sich dann auf die Befreiung bspw. berufen wie du schon völlig richtig angemerkt hast. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom BeckOGK, Walter § 1

7 StVG

Rn. 12 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Juraddicted

Juraddicted

14.10.2024, 17:06:28

Vielen lieben Dank für Deine ausführliche Antwort :) Das erklärt es für mich. Liebe Grüße Für alle, das steht in der Fußnote: "Inhaltlich ist durch die Verschiebung des unabwendbaren Ereignisses in den Anwendungsbereich von § STVG § 17 keine Verschärfung oder Abmilderung der (strengen) Anforderungen eingetreten. Auf die Rspr. zu § STVG § 7 Abs. STVG § 7 Absatz 2 aF kann also zurückgegriffen werden."

AME

Amelie7

31.10.2024, 12:47:00

Was wären denn dann Beispiele für die höhere Gewalt?

LELEE

Leo Lee

3.11.2024, 07:28:21

Hallo Amelie7, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Fälle von höherer Gewalt sind extrem selten und sind deshalb in einer Klausur - außer wenn der Sachverhalt geradezu mit dem Zaunpfahl winkt - abgelehnt werden. Außeneinwirkungen, die außergewöhnlich und unabwendbar sind, sind etwa: Naturkatastrophen, wie etwa Überflutungen oder Blitzschläge oder Erdrutschen. Darüber hinaus sind auch vorsätzliche Gefährdungs- und Sabotageakte (Attentat, Autobahnbrückenwerfer...). Für eine umfassende Aufzählung der Beispiele kann ich i.Ü. die Lektüre vom Beck-GK-StVG, Walter § 7 Rn. 151.1 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

AME

Amelie7

5.11.2024, 11:29:26

Vielen Dank für die Antwort, in der Subsumtion zum OLG steht, dass ein Gewitter mit Sturmböen kein ganz ungewöhnliches Ereignis ist, mit Blitzschlag ist dann gemeint, dass der Blitz unmittelbar neben einem einschlagen muss und dieser reicht dann für die Ungewöhnlichkeit im Gegensatz zu einem Baum der auf die Straße fällt?


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