Zivilrecht

Sachenrecht

Gesetzlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen

Verarbeitung bei Werklieferungsvertrag - Stoff des Bestellers (Streit)

Verarbeitung bei Werklieferungsvertrag - Stoff des Bestellers (Streit)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

B beauftragt Schneider S damit, ihr einen Superheldinnenanzug (Wert: € 250) zu schneidern und gibt ihm dafür spezielle superelastische Stoffreste (Wert: € 10), die in Bs Eigentum stehen. Nach Herstellung des Anzugs wird B insolvent. S hofft auf das Eigentum an dem Anzug.

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Einordnung des Falls

Verarbeitung bei Werklieferungsvertrag - Stoff des Bestellers (Streit)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S hat die Stoffreste zu einer neuen Sache verarbeitet (§ 950 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Wann eine neue Sache vorliegt, bestimmt sich nach der Verkehrsauffassung, wobei wirtschaftliche Gesichtspunkte zu berücksichtigten sind. Relevante Indizien sind, dass die Sache einen neuen wirtschaftlichen Zweck hat und dass die Sache im allgemeinen Sprachgebrauch einen neuen Namen hat.Vorliegend wurde aus Stoffresten ein Anzug geschneidert. Der Anzug dient dabei dazu, getragen zu werden und ist bereits terminologisch eine andere Sache als die Stoffreste.
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2. Ist der Verarbeitungswert des Anzugs erheblich geringer als der Wert der Stoffreste (§ 950 Abs. 1 BGB)?

Nein!

Der Verarbeitungswert berechnet sich aus dem Wert der neuen Sache abzüglich der Summe des Werts aller Rohstoffe. Damit ein gesetzlicher Eigentumserwerb nach § 950 Abs. 1 BGB stattfindet, darf dieser Verarbeitungswert nicht erheblich geringer sein, als die Summe des Werts aller Rohstoffe. Erheblicher geringer ist der Verarbeitungswert, sobald dieser lediglich 60 % des Stoffwerts beträgt.Der Verarbeitungswert beträgt €240. Er liegt damit erheblich über dem Stoffwert i.H.v. €10.

3. Die Person, die die Verarbeitung durchführt, ist immer Hersteller i.S.v. § 950 BGB und damit neuer Eigentümer der hergestellten Sache.

Nein, das ist nicht der Fall!

Aus dem Wortlaut der Norm folgt lediglich, dass der Hersteller neuer Eigentümer der verarbeiteten Sache wird. Dies setzt nicht voraus, dass er die Sache auch selbst verarbeitet hat. Auch in der Gesetzesbegründung wurde klargestellt, dass auch derjenige, der eine Sache herstellen lässt, Hersteller iSv § 950 BGB sein kann. Wie der Hersteller zu bestimmen ist, ist umstritten. Teilweise wird darauf abgestellt, dass die Herstellereigenschaft frei von den beteiligten Parteien geregelt werden kann. Die h.M. stellt bei der Ermittlung des Herstellers hingegen vorrangig auf die Verkehrsauffassung ab. Dabei soll derjenige Hersteller sein, in dessen Name und wirtschaftlichem Interesse die Sache hergestellt wird, also in der Regel der Geschäftsherr.

4. Beim Werklieferungsvertrag (§ 650 Abs. 1 BGB) ist streitig, wer Hersteller der Sache ist.

Ja, in der Tat!

Seit Inkrafttreten der Schuldrechtsreform 2002 finden auf einen Vertrag, der die Herstellung oder Lieferung neuer beweglicher Sachen zum Gegenstand hat (=Werklieferungsvertrag), die Vorschriften des Kaufrechts entsprechende Anwendung (§ 650 Abs. 1 S. 1 BGB). Nach dem Wortlaut des Gesetzes wäre der Werkunternehmer verpflichtet, dem Besteller die hergestellte Sache zu übergeben und ihm das Eigentum daran zu übertragen (§§ 650 Abs. 1 S. 1, 433 Abs. 1 BGB). Dies wäre aber nur möglich, wenn der Werkunternehmer auch Eigentümer der Sache ist. Vor diesem Hintergrund wird nun teilweise vertreten, dass - entgegen der früheren Gesetzeslage - der Werkunternehmer als Hersteller anzusehen sei und nach § 950 BGB Eigentümer der verarbeiteten Sache werde.

5. Handelt es sich beim Auftrag zur Herstellung des Superheldinnenanzugs um einen Werklieferungsvertrag (§ 650 Abs. 1 S. 1 BGB)?

Ja!

Ein Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand hat, ist ein Werkliefervertrag, auf den das Kaufrecht entsprechend anzuwenden ist (§ 650 Abs. 1 S. 1 BGB).B und S haben vereinbart, dass S der B einen Anzug schneidert. S soll somit eine neue bewegliche Sache herstellen.

6. Ist S als Werkunternehmerin nach der h.M. Herstellerin und damit neue Eigentümerin des Anzugs?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die h.M. sieht weiterhin den Besteller als Hersteller an. Hierzu nimmt sie eine teleologische Reduktion des Verweises in § 650 Abs. 1 S. 1 BGB in den Fällen vor, in denen der Besteller sämtliche Ausgangsstoffe zur Verfügung stellt. Der Werkunternehmer schulde hier lediglich die Besitzverschaffung, nicht aber die Eigentumsübertragung. Denn das Eigentum habe der Besteller bereits kraft Gesetzes erlangt (§ 950 BGB). Begründet wird dies damit, dass der Besteller in diesem Fall das wirtschaftliche Risiko für die Verarbeitung der Ausgangsstoffe trage und er damit nach den allgemeinen Regeln als Hersteller anzusehen sei.Hier stellt B alle Rohstoffe zur Verfügung. Sie trägt damit das wirtschaftliche Risiko, dass die Verarbeitung gelingt.
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