Keine Finalität beim Ausnutzen der Nötigungswirkung

9. Mai 2023

22 Kommentare

4,8(22.377 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Raubes (§ 249 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
      2. Qualifiziertes Nötigungsmittel (Gewalt gegen Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib/Leben)
      3. Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme (Finalzusammenhang, subj. und zeitlicher und örtlicher Zusammenhang, obj.)
    2. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Zueignungsabsicht
    3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung und entsprechender Vorsatz
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T nimmt das Handy seines Opfers O an sich, der dies aus Angst vor weiteren Schlägen nicht verhindert.
Tags
Klassisches Klausurproblem

T droht O, ihn zu schlagen, wenn er nicht verschwindet. Da O sich weigert, verpasst T ihm einen Faustschlag. Als O seine Sachen sammelt, um zu fliehen, sieht T Os Handy auf dem Boden. T weiß, dass O noch eingeschüchtert ist. Ohne sich weiter um O zu kümmern, nimmt T das Handy mit, um es für sich zu behalten.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Der BGH beschäftigt sich hier mit der Beurteilung der Finalität zwischen der Wegnahmehandlung und dem Einsatz des Nötigungsmittels. Der Täter muss durch eine zumindest konkludent aktualisierte Drohung die Nötigungswirkung aufrechterhalten und diese zur Wegnahme ausnutzen. Hieran fehle es, wenn der Täter lediglich eine fortwirkende Einschüchterung vorangegangener Schläge zur Wegnahme ausnutze.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnte T sich wegen Raubes strafbar gemacht haben, indem er den O schlug und anschließend dessen Handy an sich nahm (§249 Abs. 1 StGB)?

Ja, in der Tat!

Der Raub ist ein zweiaktiges Delikt, das alle Elemente der Nötigung (§240 Abs. 1 StGB) und des Diebstahls (§242 Abs. 1 StGB) enthält. Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des raubspezifischen Zusammenhangs verknüpft diese Elemente miteinander und charakterisiert den Unrechtsgehalt des Raubes. Der Raub ist ein äußerst examensrelevantes Delikt. Hier solltest Du besonderen Wert auf das tiefe Verständnis der einzelnen Tatbestandsmerkmale und die Abgrenzung zu den verwandten Delikten legen.
Rechtsgebiet-Wissen in 5min testen
Teste mit Jurafuchs kostenlos dein Rechtsgebiet-Wissen in nur 5 Minuten.

2. Hat T Gewalt im Sinne des § 249 Abs. 1 StGB angewandt, indem T den O schlägt?

Ja!

Gewalt gegen eine Person ist jeder körperlich wirkende Zwang, den der Täter einsetzt, um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu brechen oder von vornherein unmöglich zu machen. Der T hat den Faustschlag eingesetzt, um den von O geleisteten Widerstand gegen die Aufforderung zu gehen, zu brechen. Der Widerstand wird nicht in jedem Fall im Zusammenhang mit der Wegnahme stehen. Daher solltest Du hier besonders darauf achten, wogegen sich der Widerstand des Opfers richtet und mit welchem Ziel der Täter den Zwang einsetzt. So wirst Du es bei der Beurteilung des Finalzusammenhangs leichter haben.

3. Hat T die objektiven und subjektiven Merkmale des Diebstahls verwirklicht (§ 242 Abs. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

Der Raub erfordert, wie der Diebstahl, die (1) Wegnahme einer (2) fremden beweglichen Sache (3) in der Absicht, sich oder einem Dritten diese (4) rechtswidrig zuzueignen. Bei dem Handy des O handelt es sich um eine für T fremde bewegliche Sache. In dem Mitnehmen des Handys ist ein vollständiger Gewahrsamswechsel verwirklicht. T handelte mit Eventualvorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale. Zudem wollte er das Handy für sich behalten, sodass auch die darüber hinaus erforderliche Zueignungsabsicht vorliegt. T hatte kein Erwerbsrecht an dem Handy, sodass die Zueignung rechtswidrig ist. Wenn alle Tatbestandsmerkmale so unproblematisch vorliegen, solltest Du Dich mit den Ausführungen dazu sehr kurz halten. Sei mutig in der Schwerpunktsetzung!

4. Erfordert der raubspezifische Zusammenhang eine finale Verknüpfung zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme?

Ja, in der Tat!

Das qualifizierte Nötigungsmittel darf nicht nur beiläufig zur Wegnahme angewandt werden und die Wegnahme nicht nur bei der zufälligen Gelegenheit der Nötigungswirkung erfolgen. Vielmehr muss das Nötigungsmittel zielgerichtet zur Wegnahme eingesetzt werden. Nur, wenn das Nötigungsmittel die Wegnahme gerade ermöglicht und dies vom Täter subjektiv bezweckt wird, liegt der raubspezifische Zusammenhang vor. Das Erfordernis des raubspezifischen Zusammenhangs ist nicht ausdrücklich in § 249 Abs. 1 StGB erwähnt, kann aber an den Worten „mit“ und „unter“ vor der Aufzählung der qualifizierten Nötigungsmittel erkannt werden.

5. Reicht es für den Finalzusammenhang immer aus, dass die Nötigungswirkung noch andauert, die Nötigungshandlung aber zum Zeitpunkt des Wegnahmeentschluss bereits abgeschlossen?

Nein!

Allein der Umstand, dass die ohne Wegnahmevorsatz hervorgerufene Nötigungswirkung andauert, wenn der Täter sich zur Wegnahme entschließt, reicht für den Finalzusammenhang nicht aus. Dieser kommt nur in Betracht, wenn der Täter die Nötigungswirkung durch eine zumindest konkludente aktualisierte Drohung aufrechterhält und dies zur Wegnahme ausnutzt. In dieser Fallkonstellation ist der Finalzusammenhang von den Einzelfallumständen abhängig. Du solltest hier sehr präzise am Sachverhalt arbeiten. Zur Abgrenzung: Nutzt der Täter lediglich die Wirkung des von ihm ohne Wegnahmevorsatz angewandten Nötigungsmittels aus oder reicht das Verhalten des Täters, um darin eine Anwendung des Nötigungsmittels durch eine aktualisierte Drohung zu sehen?

6. Besteht zwischen dem Faustschlag und der Wegnahme des T ein raubspezifischer Zusammenhang?

Nein, das ist nicht der Fall!

Allein der Umstand, dass die ohne Wegnahmevorsatz hervorgerufene Nötigungswirkung andauert, wenn der Täter sich zur Wegnahme entschließt, reicht für den Finalzusammenhang nicht aus. Dieser kommt nur in Betracht, wenn der Täter die Nötigungswirkung durch eine zumindest konkludente aktualisierte Drohung aufrechterhält und dies zur Wegnahme ausnutzt.T hat sich nach seinem Wegnahmeentschluss überhaupt nicht mehr mit O beschäftigt. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine aktualisierte Drohung der zuvor abgeschlossenen Gewaltanwendung begründen könnten. Die Angst des O vor weiteren Schlägen war bloß eine günstige Gelegenheit zur Wegnahme für T.

7. Bleibt T also straflos?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Schwerpunkt des Falles lag darin, zu erörtern, ob hier zwischen der Nötigung und dem Diebstahl ein Zusammenhang besteht, der zur Annahme eines Raubes führt. Besteht dieser nicht, sind die einzelnen Delikte aber natürlich jeweils einzeln strafbar. Somit hat T sich hier wegen Körperverletzung, Nötigung und Diebstahl in Tateinheit strafbar gemacht (§§ 223 Abs. 1, 240 Abs. 1, 242 Abs. 1, 52 StGB).
Dein digitaler Tutor für Jura
Rechtsgebiet-Wissen testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Dein digitaler Tutor für Jura
Rechtsgebiet-Wissen testen