Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Entscheidungen von 2021

Kein Finalität bei Ausnutzen des Nötigungswirkung - Jurafuchs

Kein Finalität bei Ausnutzen des Nötigungswirkung - Jurafuchs

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T nimmt das Handy seines Opfers O an sich, der dies aus Angst vor weiteren Schlägen nicht verhindert.
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Klassisches Klausurproblem

T droht O, ihn zu schlagen, wenn er nicht verschwindet. Da O sich weigert, verpasst T ihm einen Faustschlag. Als O seine Sachen sammelt um zu fliehen, sieht T Os Handy auf dem Boden. T weiß, dass O noch eingeschüchtert ist. Ohne sich weiter um O zu kümmern, nimmt T das Handy mit, um es für sich zu behalten.

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Einordnung des Falls

Der BGH beschäftigt sich hier mit der Beurteilung der Finalität zwischen der Wegnahmehandlung und dem Einsatz des Nötigungsmittels. Der Täter muss durch eine zumindest konkludent aktualisierte Drohung die Nötigungswirkung aufrechterhalten und diese zur Wegnahme ausnutzen. Hieran fehle es, wenn der Täter lediglich eine fortwirkende Einschüchterung vorangegangener Schläge zur Wegnahme ausnutze.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnte T sich wegen Raubes strafbar gemacht haben, indem er den O schlug und anschließend dessen Handy an sich nahm (§249 Abs. 1 StGB)?

Ja, in der Tat!

Der Raub ist ein zweiaktiges Delikt, das alle Elemente der Nötigung (§240 Abs. 1 StGB) und des Diebstahls (§242 Abs. 1 StGB) enthält. Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des raubspezifischen Zusammenhangs verknüpft diese Elemente miteinander und charakterisiert den Unrechtsgehalt des Raubes. Der Raub ist ein äußerst examensrelevantes Delikt. Hier solltest Du besonderen Wert auf das tiefe Verständnis der einzelnen Tatbestandsmerkmale und die Abgrenzung zu den verwandten Delikten legen.
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2. Hat T Gewalt im Sinne des § 249 Abs. 1 StGB angewandt, indem T den O schlägt?

Ja!

Gewalt gegen eine Person ist jeder körperlich wirkende Zwang, den der Täter einsetzt, um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu brechen oder von vornherein unmöglich zu machen. Der T hat den Faustschlag eingesetzt, um den von O geleisteten Widerstand gegen die Aufforderung zu gehen, zu brechen. Der Widerstand wird nicht in jedem Fall im Zusammenhang mit der Wegnahme stehen. Daher solltest Du hier besonders darauf achten, wogegen sich der Widerstand des Opfers richtet und mit welchem Ziel der Täter den Zwang einsetzt. So wirst Du es bei der Beurteilung des Finalzusammenhangs leichter haben.

3. Hat T die objektiven und subjektiven Merkmale des Diebstahls verwirklicht (§ 242 Abs. 1 StGB)?

Genau, so ist das!

Der Raub erfordert, wie der Diebstahl, die (1) Wegnahme einer (2) fremden beweglichen Sache (3) in der Absicht, sich oder einem Dritten diese (4) rechtswidrig zuzueignen. Bei dem Handy des O handelt es sich um eine für T fremde bewegliche Sache. In dem Mitnehmen des Handys ist ein vollständiger Gewahrsamswechsel verwirklicht. T handelte mit Eventualvorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale. Zudem wollte er das Handy für sich behalten, sodass auch die darüber hinaus erforderliche Zueignungsabsicht vorliegt. T hatte kein Erwerbsrecht an dem Handy, sodass die Zueignung rechtswidrig ist. Wenn alle Tatbestandsmerkmale so unproblematisch vorliegen, solltest Du Dich mit den Ausführungen dazu sehr kurz halten. Sei mutig in der Schwerpunktsetzung!

4. Erfordert der raubspezifische Zusammenhang eine finale Verknüpfung zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme?

Ja, in der Tat!

Das qualifizierte Nötigungsmittel darf nicht nur beiläufig zur Wegnahme angewandt werden und die Wegnahme nicht nur bei der zufälligen Gelegenheit der Nötigungswirkung erfolgen. Vielmehr muss das Nötigungsmittel zielgerichtet zur Wegnahme eingesetzt werden. Nur, wenn das Nötigungsmittel die Wegnahme gerade ermöglicht und dies vom Täter subjektiv bezweckt wird, liegt der raubspezifische Zusammenhang vor. Das Erfordernis des raubspezifischen Zusammenhangs ist nicht ausdrücklich in §249 Abs. 1 StGB erwähnt, kann aber an den Worten „mit“ und „unter“ vor der Aufzählung der qualifizierten Nötigungsmittel erkannt werden.

5. Reicht es für den Finalzusammenhang immer aus, dass die Nötigungswirkung noch andauert, die Nötigungshandlung aber zum Zeitpunkt des Wegnahmeentschluss bereits abgeschlossen?

Nein!

Allein der Umstand, dass die ohne Wegnahmevorsatz hervorgerufene Nötigungswirkung andauert, wenn der Täter sich zur Wegnahme entschließt, reicht für den Finalzusammenhang nicht aus. Dieser kommt nur in Betracht, wenn der Täter die Nötigungswirkung durch eine zumindest konkludente aktualisierte Drohung aufrechterhält und dies zur Wegnahme ausnutzt. In dieser Fallkonstellation ist der Finalzusammenhang von den Einzelfallumständen abhängig. Du solltest hier sehr präzise am Sachverhalt arbeiten. Zur Abgrenzung: Nutzt der Täter lediglich die Wirkung des von ihm ohne Wegnahmevorsatz angewandten Nötigungsmittels aus oder reicht das Verhalten des Täters, um darin eine Anwendung des Nötigungsmittels durch eine aktualisierte Drohung zu sehen?

6. Besteht zwischen dem Faustschlag und der Wegnahme des T ein raubspezifischer Zusammenhang?

Nein, das ist nicht der Fall!

Allein der Umstand, dass die ohne Wegnahmevorsatz hervorgerufene Nötigungswirkung andauert, wenn der Täter sich zur Wegnahme entschließt, reicht für den Finalzusammenhang nicht aus. Dieser kommt nur in Betracht, wenn der Täter die Nötigungswirkung durch eine zumindest konkludente aktualisierte Drohung aufrechterhält und dies zur Wegnahme ausnutzt.T hat sich nach seinem Wegnahmeentschluss überhaupt nicht mehr mit O beschäftigt. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die eine aktualisierte Drohung der zuvor abgeschlossenen Gewaltanwendung begründen könnten. Die Angst des O vor weiteren Schlägen war bloß eine günstige Gelegenheit zur Wegnahme für T.

7. Bleibt T also straflos?

Nein, das trifft nicht zu!

Der Schwerpunkt des Falles lag darin, zu erörtern, ob hier zwischen der Nötigung und dem Diebstahl ein Zusammenhang besteht, der zur Annahme eines Raubes führt. Besteht dieser nicht, sind die einzelnen Delikte aber natürlich jeweils einzeln strafbar. Somit hat T sich hier wegen Körperverletzung, Nötigung und Diebstahl in Tateinheit strafbar gemacht (§§ 223 Abs. 1, 240 Abs. 1, 242 Abs. 1, 52 StGB).
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Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Raubes (§ 249 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
      2. Qualifiziertes Nötigungsmittel (Gewalt gegen Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib/Leben)
      3. Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Wegnahme (Finalzusammenhang, subj. und zeitlicher und örtlicher Zusammenhang, obj.)
    2. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Zueignungsabsicht
    3. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung und entsprechender Vorsatz
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CH

Christoph

24.4.2022, 19:15:36

Es ist sehr verwirrend, dass die erste Frage ob sich T eines Raubes strafbar gemacht haben könnte mit "Richtig" zu beantworten ist. Hat er ja eben nicht, weil es am raubspezifischen Zusammenhang fehlt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.4.2022, 12:18:09

Herzlich willkommen im Forum und lieben Dank für den Hinweis, Christoph! Hier steckt der Teufel im Detail. Die Aussage steht im Konjunktiv. Es kommt hier ja durchaus eine Strafbarkeit wegen Raubes in Betracht, weswegen im Gutachten der Straftatbestand durchzuprüfen ist. Dass letztlich der raubspezifische Zusammenhang fehlt, ist insoweit erst einmal unerheblich. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MAR

Martin

9.5.2022, 11:07:44

Ich halte die Fragestellung aber auch zumindest für irreführend. Jedenfalls bietet sie aus meiner Sicht keinerlei Mehrwert, wenn hier lediglich erkannt werden soll, welcher Obersatz im Gutachten einer Referendarexamensklausur präsentiert werden soll.

DEPA

Der Paragraf

10.5.2022, 14:16:14

Der Mehrwert liegt m.E. in der Anregung, sich den darauffolgenden Prüfungsmaßstab ins Gedächtnis zu rufen und mit dem im Antworttext dargestellten Prüfungsmaßstab abzugleichen.

CH

Christoph

15.5.2022, 01:13:27

Danke für die Anrwort Lukas. Auch in meinem Kommentar steckt der Teufel im Detail - dass es unrichtig ist habe ich nicht gesagt. Mit dem Konjungtiv ist eine andere Frage als "Ja." gar nicht zulässig. Egal wie man die Frage oder das zu prüfende Delikt abwandelt. Und da habe ich mich gefragt, wie zweckdienlich diese Frage ist und wollte meine Meinung teilen, dass hier die Irreführung bei mir überwogen hat. Martin hat das ganz gut auf den Punkt gebracht.

IS

IsiRider

26.4.2022, 20:47:08

Der raubspezifische Zusammenhang ist ein objektives Merkmal oder? Ich verstehe nicht, warum das Vorliegen der Merkmale bei der einen Aussage zu bejahen war.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.4.2022, 00:44:57

Hallo IsiRider, in der Tat ist der raubspezifische Zusammenhang im objektiven Tatbestand zu prüfen. Er muss zwischen der Wegnahme und dem qualifizierten Nötigungsmittel bestehen. Fehlt es daran, so ist zumindest zu prüfen, ob die einzelnen Delikte (Diebstahl, Nötigung, Körperverletzung) für sich genommen erfüllt sind. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

schaschl2

schaschl2

26.4.2022, 21:24:14

Fall war (leicht abgewandelt) im 1. Examen in NRW

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

27.4.2022, 00:36:29

Vielen Dank schaschl2, könntest Du noch sagen, in welcher Examenskampagne und inwieweit der Fall abgewandelt war? Im Hinblick auf den raubspezifischen Zusammenhang gibt es sehr viele nah beieinander liegende Entscheidungen :) beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DEPA

Der Paragraf

10.5.2022, 14:27:20

Aus Interesse: Gewalt wird ja definiert als (wenngleich minimale) körperliche Kraftentfaltung beim Täter, die eine physische Zwangswirkung beim Opfer entfaltet (vgl. BVerfG). Die andere häufig zu lesende Definition (vgl. Frage 2) lautet: „Körperlich wirkender Zwang zur Überwindung eines … Widerstands.“ Erstens: Warum unterschlägt die zweite Definition das Merkmal der Kraftentfaltung beim Täter? Zweitens: Welchen Mehrwert hat aus Eurer Sicht generell das subjektive Kriterium „zur Überwindung eines … Widerstands“? Beim Raub erfolgt die Prüfung der Finalität ja ohnehin (noch einmal), sobald der Einsatz von Gewalt bejaht wurde. Auf diese Finalität muss nach allgemeinen Regeln natürlich auch vom Vorsatz umfasst sein. Aber auch bei 240 StGB wird zwischen Nötigungsmittel (= Gewalt),

Nötigungserfolg

und Kausalität unterschieden, die wiederum vom Vorsatz umfasst sein muss. Das heißt: im Rahmen der Gewaltdefinition ist doch die subjektive Zweckrichtung der körperlichen Kraftentfaltung eigentlich völlig irrelevant?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.5.2022, 16:52:15

Hallo Der Paragraf, der Gewaltbegriff zählt mit zu den umstrittensten Begriffen im Strafrecht (so Sinn, in: MüKo-StGB, 4.A. 2021, § 240 RdNr. 31). Um ein besseres Verständnis hiervon zu erhalten, lohnt es insofern, sich in einer ruhigen Minute einmal einen kurzen Überblick über die wechselvolle Rechtsprechung zu verschaffen, die hierzu ergangen ist (zB bei Sinn, in: MüKo-StGB, 4.A. 2021, § 240 RdNr. 31 ff.). Das Reichsgericht hatte zu Anfang noch die körperliche Kraftentfaltung in seiner Definition enthalten: "„die durch Anwendung körperlicher Kraft erfolgte Beseitigung eines tatsächlich geleisteten oder bestimmt erwarteten und deshalb von vornherein durch Körperkraft zu unterdrückenden Widerstandes“. Aus diesem Grund lehnte es zB Gewalt ab, wenn einem Opfer ohne körperliche Kraft des Täters ein Betäubungsmittel verabreicht wurde (vgl. RGSt 56, 87, 88). Im Laufe seiner Rechtsprechung ging es dann aber dazu über, zunehmend auf die Zwangswirkung beim Opfer abzustellen (zB Einschließen von Personen). Der BGH ging nun einen Schritt weiter und verzichtete in einem Betäubungsfall nun gänzlich die Kraftentwicklung beim Täter und stellte allein auf die physische Zwangswirkung beim Opfer ab (BGH NJW 1951, 532). Als er dann später aber die physische Zwangswirkung aufgab und es sogar genügen ließ, dass das Opfer sich psychisch gezwungen fühlte, gelangte die Sache zum BVerfG. Während dieses zunächst mit einem Patt (4:4) zu dem Ergebnis kam, dass die Rspr. des BGH jedenfalls dann noch mit dem Bestimmtheitsgebot übereinstimmt, wenn der Täter zumindest einen "geringfügigen Krafteinsatz" aufwendet (BVerfG NJW 1987, 43, 46), so hielt es in der Sitzblockadeentscheidung nun endgültig die Grenze für überschritten (BVerfG, NJW 1995, 1141). Daraus entwickelte sich dann die 2.Reihe-Rechtsprechung, wonach zwar ggü. dem ersten Kraftfahrer einer Sitzblockade keine Gewalt verübt wird (lediglich psychische Beeinflussung), wohl aber ggü. allen folgenden (vgl. BGH NJW 1995, 2643). Dies wurde letztlich vom BVerfG gebilligt (BVerfG v. 7.3.2011 - 1 BvR 388/05). Im Hinblick auf Deine erste Frage ist insofern festzuhalten, dass unter Berücksichtigung der BVerfG-Rechtsprechung zwar durchaus minimale körperliche Kraftentfaltung zu fordern ist, die Anforderungen hieran aber sehr gering sind (zB ist das Einschließen einer Person bereits Gewalt). Zu deiner zweiten Frage: In der Tat hat dieser Teil nur bedingt einen eigenständigen Mehrwert. Vielmehr betont er noch einmal, dass es einer Verknüpfung des Gewalteinsatzes bedarf, um den Tatbestand der jeweiligen Norm zu erfüllen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DEPA

Der Paragraf

12.5.2022, 17:49:37

Hi Lukas, danke für Deine Mühe. Ich verstehe trotzdem noch nicht warum es für „Gewalt“ zwei Definitionen gibt, die sich nur in einem Teilbereich (nämlich der physischen Zwangswirkung beim Opfer) überschneiden. M.E. ist die zweite Definition völlig untauglich und wird ja, soweit für mich im Überblick ersichtlich, auch vom BVerfG nie verwendet, das konsequent die erste Definition heranzieht. Trotzdem liest man die zweite Definition allenthalben … meinst Du, in der Klausur dürfte man sich auch auf die erste Definition beschränken?

DEPA

Der Paragraf

12.5.2022, 17:50:49

Bzw. ist es ja eigentlich kein „Beschränken“, sondern die wesentlich präzisere Definition, die nicht auf objektiv irrelevante subjektive Zwecke abstellt

DEPA

Der Paragraf

12.5.2022, 18:05:24

Die Lösung von Rengier (BT II, 23. Aufl. 2022, § 23 Rn. 2) ist übrigens, beide Definitionen einfach miteinander zu kombinieren. Zur Rechtfertigung des subjektiven Kriteriums stützt er sich allerdings (wie auch andere) auf eine völlig verfehlte (KG BeckRS 2022, 1838 Rn. 15; König, NZV 2008, 46; vgl. auch BGHSt 19, 263 Rn. 12) obergerichtliche Rspr., die die subjektiven Anforderungen an einen verkehrsfremden Inneneingriffs (§ 315b StGB) ohne jede Begründung auf § 240 StGB überträgt. Abgesehen von dieser Kuriosität wurde, soweit ich sehe, die angeblich erforderliche subjektive Komponente des Gewaltbegriffs bisher nirgends hergeleitet.

DEPA

Der Paragraf

12.5.2022, 18:09:46

Die genannte verfehlte und in verschiedenen Kommentierungen kritiklos übernommene Rspr. vertreten übrigens OLG Koblenz 2 Ss 128/09 Rn. 9 [juris]; OLG Hamm 4 Ss 234/08 Rn. 13 [juris]; 4 Ss 220/08 [= BeckRS 2008, 139844 Rn. 11]; OLG Düsseldorf III-5 Ss 130/07 Rn. 7; OLG Brandenburg (2) 53 Ss 131/12. Zum Glück gibt es ja aber wie gesagt auch noch das KG Berlin :)

DEPA

Der Paragraf

12.5.2022, 18:34:19

Dass Gewalt keinen „Zweck“ voraussetzen kann, ergibt sich auch schon daraus, dass nach hM dolus eventualis auf das Nötigungsmittel (≠

Nötigungserfolg

, vgl. § 240 Abs. 2 StGB) ausreicht (Fischer Rn. 53)

DAV

David

19.6.2022, 17:58:45

Nur mal so eine Frage am Rande: Wie sieht es denn die Rspr. bzgl. einer Strafbarkeit aus §§ 253, 255 StGB, weil die räuberische Erpressung ja - anders als der Raub - lediglich einen Kausalzusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Erfolg voraussetzt. Und wenn dann auch als

Nötigungserfolg

ein „Dulden der Wegnahme“ genügt, dürfte doch nach Ansicht der Rspr. eigentlich auch aus §§ 253, 255 StGB zu bestrafen sein, oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.6.2022, 10:02:33

Hallo David, herzlich willkommen im Forum und vielen Dank für Deinen Hinweis. Der BGH hat sich in dem hier besprochenen Urteil nicht zur räuberischen Erpressung geäußert. Nach der Rechtsprechung des BGH genügt aber auch bei der räuberischen Erpressung kein bloßer Kausalzusammenhang zwischen Mittel und Erfolg, sondern es bedarf auch hier - wie beim Raub - eines finalen Zusammenhangs (vgl. BGH NStZ 2019, 674). Aus diesem Grund scheidet hier eine Strafbarkeit nach §§ 253, 255 StGB auch nach der Rechtsprechung aus. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

tomvali

tomvali

12.4.2024, 22:22:31

Hallo, müsste man iRd Prüfung die Frage einer konkludenten

Drohung

mit erneuter Gewaltanwendung schon beim qualifizierten Nötigungsmittel ansprechen oder wirklich erst im

Finalzusammenhang

?

LELEE

Leo Lee

13.4.2024, 16:17:45

Hallo tomvali, vielen Dank für die sehr gute Frage! Da die konkludente

Drohung

– unabhängig vom

Finalzusammenhang

– zunächst ebenfalls eine

Drohung

darstellt, recht es mMn aus, im obj. TB die

Drohung

unter Verweis auf deren konkludenten Charakter zu bejahen. Das „Problem“ der konkludenten

Drohung

wird dann erst später bei dem

Finalzusammenhang

relevant, da der konkludente Charakter hier den

Finalzusammenhang

unterbrechen könnte. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom Müko-StGB 4. Auflage, Sander § 249 Rn. 20 ff. und 30 ff.


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