Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2020
Entwendung von Bundeswehrstiefeln mit Rückführungswillen
Entwendung von Bundeswehrstiefeln mit Rückführungswillen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Soldat S hat Druckstellen von seinen Stiefeln. Die Verwaltung lehnt seine Bitte um neue Stiefel ab. Dann nimmt er die besseren Stiefel der A aus dem Regal, gibt vor es wären seine und tauscht sie bei der Verwaltung gegen ein Paar in seiner Größe. Das Lager verlässt er mit den Stiefeln nicht.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Ein Bundeswehrsoldat wurde vom Vorwurf des Diebstahls von Stiefeln eines Kollegen endgültig freigesprochen. Der Feldwebel hatte die Stiefel von einem ebenfalls in Mali stationiertem Arzt genommen, weil er Probleme mit seinem eigenen Schuhwerk hatte. Anschließend tauschte er die Stiefel des Arztes gegen ein Paar des gleichen Modells in seiner eigenen Größe aus. Hierbei wollte er allerdings die Schuhe nicht dauerhaft behalten, hatte also keine Zueignungsabsicht, sondern Rückführungswillen. Ein Diebstahl scheide daher aus. Auch führe die Nutzung der Stiefel nicht zu einem Vermögensvorteil, weshalb ebenfalls eine Verurteilung wegen Betruges nicht in Betracht kommt.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat S den Tatbestand des Diebstahls erfüllt, wenn er einem anderen die Stiefel in der Absicht weggenommen hat, sie sich rechtswidrig zuzueignen (§ 242 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat S nach Ansicht der Vorinstanz (LG Kempten Allgäu) eine fremde, bewegliche Sache weggenommen (§ 242 Abs. 1 StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
3. Hat S mit Zueignungsabsicht (§ 242 Abs. 1 StGB) gehandelt?
Nein!
4. Setzt der Betrug voraus, dass ein anderer aufgrund eines durch Täuschung des Täters bedingten Irrtums eine Vermögensverfügung vornimmt, die zu einem Vermögensschaden führt (§ 263 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
5. Hat S den Mitarbeiter der Verwaltung getäuscht und dadurch eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung herbeigeführt?
Ja, in der Tat!
6. Setzt der subjektive Tatbestand des Betrugs voraus, dass der Täter mit Bereicherungsabsicht handelt (§ 263 Abs. 1 StGB)?
Ja!
7. Handelte S mit Bereicherungsabsicht?
Nein, das ist nicht der Fall!
Prüfungsschema
Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?
- Tatbestandsmäßigkeit
- Subjektiver Tatbestand
- Vorsatz
- Absicht rechtswidriger Zueignung
- Objektiver Tatbestand
- Fremde bewegliche Sache
- Wegnahme
- Subjektiver Tatbestand
- Rechtswidrigkeit
- Schuld
Wie prüfst Du den objektiven Tatbestand des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB)?
- Täuschung über Tatsachen
- Irrtum (kausal durch Täuschung)
- Vermögensverfügung (kausal durch Irrtum)
- Vermögensschaden oder Vermögensgefährdung (kausal durch Vermögensverfügung)
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Anonym
30.9.2021, 12:08:19
Hallo zusammen, Ich habe den SV persönlich nicht so ausgelegt, dass A dem S die Stiefel leiht und daher Frage 2 falsch beantwortet. Liege ich da völlig falsch? Gruß ans Team
Lukas_Mengestu
1.10.2021, 17:17:03
Vielen Dank für Deine Frage! Ein Leihvertrag ist ein interessanter Gedanke. Bei uns wird der Sachverhalt allerdings durch unsere Illustrationen ergänzt. In dem Zusammenspiel aus Bild (hektisches Umschauen) und Text ("wegnehmen") würde ich es eher für fernliegend erachten, dass A mit der Wegnahme ihrer Stiefel einverstanden war und insofern ein
tatbestandsausschließendes Einverständnisin Form eines Leihvertrages ablehnen (allerdings scheitert die Wegnahme an dem
Gewahrsamsbruch, insofern liegt nach der Auffassung der Vorinstanz dennoch keine "Wegnahme" im Sinne des § 242 Abs. 1 StGB vor). Beste Grüße Lukas - für das Jurafuchs-Team
charmaine
26.5.2022, 22:43:09
Wieso ist in der Antwort die Rede von einer
Leihe? War auch etwas verwundert, weil die Lösung in diesem Punkt keinen Bezug zum Sachverhalt hatte. Zudem finde ich es etwas ungünstig, dass die Frage darauf gerichtet ist, wie die Vorinstanz entschieden hat. Ich persönlich befasse mich eher weniger mit der Rechtsprechung des LG Kempten 😅
Cecilie
28.5.2022, 14:37:10
Es geht in der Antwort darum, dass die Bundeswehr der A (also der anderen Soldatin) die Stiefel leiht, das aber nicht die Eigentümerstellung der Bundeswehr berührt
KingintheNorth
6.4.2022, 22:45:21
Braucht es für die Bejahung der
Bereicherungsabsichtden zwingend einer Vermögenssteigerung oder reicht nicht etwa die entsprechende Absicht des Täters zum Zeitpunkt der Tat aus ? Könnte es nicht ausreichen, dass der rechtswidrige Vermögensvorteil als sichere und erwünschte Folge seines Handelns Eintritt.
Lukas_Mengestu
8.4.2022, 14:32:21
Hallo KingintheNorth, in der Tat genügt die Absicht zum Zeitpunkt der Tat. Sofern es dann nicht dazu kommt, so könnte man immer noch über eine Versuchsstrafbarkeit nachdenken. Hier hat das OLG aber schon die Absicht verneint, da der Täter eben auch nicht plante, die Schuhe seinem Vermögen zuzuführen :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team