Entwendung von Bundeswehrstiefeln mit Rückführungswillen - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: Soldat S tauscht heimlich seine Stiefel gegen andere aus.

Soldat S hat Druckstellen von seinen Stiefeln. Die Verwaltung lehnt seine Bitte um neue Stiefel ab. Dann nimmt er die besseren Stiefel der A aus dem Regal, gibt vor es wären seine und tauscht sie bei der Verwaltung gegen ein Paar in seiner Größe. Das Lager verlässt er mit den Stiefeln nicht.

Einordnung des Falls

Ein Bundeswehrsoldat wurde vom Vorwurf des Diebstahls von Stiefeln eines Kollegen endgültig freigesprochen. Der Feldwebel hatte die Stiefel von einem ebenfalls in Mali stationiertem Arzt genommen, weil er Probleme mit seinem eigenen Schuhwerk hatte. Anschließend tauschte er die Stiefel des Arztes gegen ein Paar des gleichen Modells in seiner eigenen Größe aus. Hierbei wollte er allerdings die Schuhe nicht dauerhaft behalten, hatte also keine Zueignungsabsicht, sondern Rückführungswillen. Ein Diebstahl scheide daher aus. Auch führe die Nutzung der Stiefel nicht zu einem Vermögensvorteil, weshalb ebenfalls eine Verurteilung wegen Betruges nicht in Betracht kommt.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat S den Tatbestand des Diebstahls erfüllt, wenn er einem anderen die Stiefel in der Absicht weggenommen hat, sie sich rechtswidrig zuzueignen (§ 242 Abs. 1 StGB)?

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Genau, so ist das!

Der Diebstahl setzt voraus, dass der Täter einem anderen eine (1) fremde (2) bewegliche Sache (3) wegnimmt, und dabei (4) die Absicht hat, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Eine Sache ist fremd, wenn sie weder im Alleineigentum des Täters steht noch herrenlos ist. Wegnahme ist, der Bruch fremden Gewahrsams und die Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams. Dies setzt voraus, dass die Sache sich im Gewahrsam eines anderen befindet, neuer Gewahrsam an ihr begründet wird und der fremde Gewahrsam auch gebrochen wird.

2. Hat S nach Ansicht der Vorinstanz (LG Kempten Allgäu) eine fremde, bewegliche Sache weggenommen (§ 242 Abs. 1 StGB)?

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Nein, das trifft nicht zu!

Die Stiefel waren für S fremd, denn sie standen weiterhin im Eigentum der Bundeswehr. Sie hat nicht dadurch ihr Eigentum verloren, dass sie die Stiefel an A verliehen hat. Das LG hat den Gewahrsamsbruch aber abgelehnt, weil der Kompanieführer weiterhin Mitgewahrsam hatte, da S das Lager nicht verließ. (aA vertretbar: Das BayObLG ließ den Gewahrsamsbruch dahinstehen, Rdnr. 20.).

3. Hat S mit Zueignungsabsicht (§ 242 Abs. 1 StGB) gehandelt?

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Nein!

Zueignungsabsicht meint (1) den Vorsatz dauerhafter Enteignung sowie (2) die Absicht der zumindest vorübergehenden Aneignung. BayObLG: Die Zueignung setzt eine Manifestation des Zueignungswillens voraus. In der bloßen Benutzung von Ausrüstungsgegenständen im Dienst der Bundeswehr, ist eine solche nicht zu erkennen. Weder durch den Umtausch der Stiefel noch durch das Verwenden im Lager hat S diesen Zueignungswillen zum Ausdruck gebracht (Rdnr. 21-23).

4. Setzt der Betrug voraus, dass ein anderer aufgrund eines durch Täuschung des Täters bedingten Irrtums eine Vermögensverfügung vornimmt, die zu einem Vermögensschaden führt (§ 263 Abs. 1 StGB)?

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Genau, so ist das!

Der Betrug setzt (1) eine Täuschung, (2) einen Irrtum, (3) eine Vermögensverfügung und (4) einen Vermögensschaden voraus. Zwischen allen Merkmalen muss Kausalität bestehen, das heißt die Täuschung muss ursächlich für den Irrtum sein, dieser wiederum ursächlich für Vermögensverfügung und dieser ursächlich für den Schaden. Täuschung meint, die ausdrückliche oder konkludente intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen mit dem Ziel, einen Irrtum hervorzurufen. Ein Irrtum ist die Fehlvorstellung über Tatsachen.

5. Hat S den Mitarbeiter der Verwaltung getäuscht und dadurch eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung herbeigeführt?

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Ja, in der Tat!

S hat bei der Verwaltung vorgegeben, bei den besseren Stiefeln handele es sich um die, die ihm zugeteilt wurden. Damit hat er den Mitarbeiter der Verwaltung getäuscht und einen Irrtum hervorgerufen. Eine Vermögensverfügung ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt. Der Mitarbeiter der Verwaltung hat S die besseren Stiefel in seiner Größe ausgehändigt und damit das Vermögen der Bundeswehr (die er vertrat) jedenfalls vorübergehend gemindert.

6. Setzt der subjektive Tatbestand des Betrugs voraus, dass der Täter mit Bereicherungsabsicht handelt (§ 263 Abs. 1 StGB)?

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Ja!

Der Täter des Betrugs muss die Absicht haben, sich rechtswidrig zu bereichern. Die Bereicherung muss dabei also in einem rechtswidrigen Vermögensvorteil bestehen. Von einem Vermögensvorteil ist auszugehen, wenn sich das wirtschaftliche Gesamtvermögen des Täters oder des von ihm begünstigten Dritten erhöht.

7. Handelte S mit Bereicherungsabsicht?

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Nein, das ist nicht der Fall!

BayObLG: Der bloße Vorteil, bequemere Schuhe zu tragen, lässt sich nicht als Vermögenssteigerung erfassen. S würde nur dann einen Vermögensvorteil erlangen, wenn er die Stiefel seinem Vermögen zuführt. Das geschieht aber gerade nicht durch die bloße Benutzung im Einsatzlager (Rdnr. 29).

Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Diebstahls (§ 242 Abs. 1 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz
      2. Absicht rechtswidriger Zueignung
    2. Objektiver Tatbestand
      1. Fremde bewegliche Sache
      2. Wegnahme
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

Wie prüfst Du den objektiven Tatbestand des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB)?

  1. Täuschung über Tatsachen
  2. Irrtum (kausal durch Täuschung)
  3. Vermögensverfügung (kausal durch Irrtum)
  4. Vermögensschaden oder Vermögensgefährdung (kausal durch Vermögensverfügung)

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AN

Anonym

30.9.2021, 12:08:19

Hallo zusammen, Ich habe den SV persönlich nicht so ausgelegt, dass A dem S die Stiefel leiht und daher Frage 2 falsch beantwortet. Liege ich da völlig falsch? Gruß ans Team

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.10.2021, 17:17:03

Vielen Dank für Deine Frage! Ein Leihvertrag ist ein interessanter Gedanke. Bei uns wird der Sachverhalt allerdings durch unsere Illustrationen ergänzt. In dem Zusammenspiel aus Bild (hektisches Umschauen) und Text ("wegnehmen") würde ich es eher für fernliegend erachten, dass A mit der Wegnahme ihrer Stiefel einverstanden war und insofern ein tatbestandsausschließendes Einverständnis in Form eines Leihvertrages ablehnen (allerdings scheitert die Wegnahme an dem Gewahrsamsbruch, insofern liegt nach der Auffassung der Vorinstanz dennoch keine "Wegnahme" im Sinne des § 242 Abs. 1 StGB vor). Beste Grüße Lukas - für das Jurafuchs-Team

CHA

charmaine

26.5.2022, 22:43:09

Wieso ist in der Antwort die Rede von einer Leihe? War auch etwas verwundert, weil die Lösung in diesem Punkt keinen Bezug zum Sachverhalt hatte. Zudem finde ich es etwas ungünstig, dass die Frage darauf gerichtet ist, wie die Vorinstanz entschieden hat. Ich persönlich befasse mich eher weniger mit der Rechtsprechung des LG Kempten 😅

CECI

Cecilie

28.5.2022, 14:37:10

Es geht in der Antwort darum, dass die Bundeswehr der A (also der anderen Soldatin) die Stiefel leiht, das aber nicht die Eigentümerstellung der Bundeswehr berührt

KingintheNorth

KingintheNorth

6.4.2022, 22:45:21

Braucht es für die Bejahung der Bereicherungsabsicht den zwingend einer Vermögenssteigerung oder reicht nicht etwa die entsprechende Absicht des Täters zum Zeitpunkt der Tat aus ? Könnte es nicht ausreichen, dass der rechtswidrige Vermögensvorteil als sichere und erwünschte Folge seines Handelns Eintritt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.4.2022, 14:32:21

Hallo KingintheNorth, in der Tat genügt die Absicht zum Zeitpunkt der Tat. Sofern es dann nicht dazu kommt, so könnte man immer noch über eine Versuchsstrafbarkeit nachdenken. Hier hat das OLG aber schon die Absicht verneint, da der Täter eben auch nicht plante, die Schuhe seinem Vermögen zuzuführen :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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