Zivilrechtliche Nebengebiete

Handelsrecht

Haftung bei Übertragung eines kaufmännischen Unternehmens

Eintritt des Erwerbers eines Betriebs in bestehende Arbeitsverhältnisse, § 613a BGB

Eintritt des Erwerbers eines Betriebs in bestehende Arbeitsverhältnisse, § 613a BGB

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A ist Arbeitnehmerin bei der V-GmbH, welche ihr Textilunternehmen zum 01.01.2021 vollständig an die E-GmbH veräußert. Die V-GmbH war mit der Vergütung für A seit November 2020 im Rückstand. Da die E-GmbH noch keinen klaren Überblick über die Betriebsabläufe hat, versäumt auch sie die Vergütung bis einschließlich Februar 2021.

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Einordnung des Falls

Eintritt des Erwerbers eines Betriebs in bestehende Arbeitsverhältnisse, § 613a BGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei der Übertragung eines Betriebs bleiben die bestehenden Arbeitsverhältnisse in ihrer Gestalt vor Betriebsübergang bestehen (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Geht (1) der Betrieb auf einen neuen Inhaber über, tritt dieser kraft Gesetzes in die Rechte und Pflichten des Veräußerers (2) bestehender Arbeitsverhältnisses ein (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB), sofern (3) der Arbeitnehmer nicht widerspricht (§ 613a Abs. 6 BGB). Es findet ein Vertragspartnerwechsel auf der Arbeitgeberseite statt. Wie bei § 25 HGB besteht eine zeitlich befristete gesamtschuldnerische Nachhaftung des Veräußerers für Altverbindlichkeiten, die binnen eines Jahres nach dem Betriebsübergang fällig werden. Er haftet neben dem Erwerber für ein Jahr (§ 613 Abs. 2 S. 1 BGB).
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2. Zwischen A und der V-GmbH bestand ein Arbeitsverhältnis (§§ 611a Abs. 1, 613a Abs. 1 S.1 BGB).

Ja, in der Tat!

Ein Arbeitsverhältnis ist die Gesamtheit der durch einen Arbeitsvertrag begründeten Rechte und Pflichten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Ein Arbeitsvertrag ist ein privatrechtlicher Vertrag, aufgrund dessen der Arbeitnehmer im Dienste des Arbeitgebers zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (§ 611a Abs. 1 S. 1 BGB). Die wichtigsten Indizien für die persönliche Abhängigkeit sind wiederum Weisungsgebundenheit hinsichtlich Art und Weise, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit sowie die Eingliederung des Arbeitnehmers in fremde Betriebsorganisation. As Arbeitnehmereigenschaft ist im Sachverhalt vorgegeben. Es bestand daher ein Arbeitsverhältnis.

3. Es hat ein Betriebsübergang des Textilunternehmens von der V-GmbH auf die E-GmbH stattgefunden (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja!

Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn die wesentlichen sachlichen und immateriellen Betriebsmittel im Sinne einer identitätsbewahrenden wirtschaftlichen Einheit auf rechtsgeschäftlicher Grundlage auf einen neuen Inhaber übergehen (Art. 1 Abs. 1 RL 2001/23/EG). Entscheidend ist, dass die Leitungsmacht auf einen neuen Betriebsinhaber übergeht. Die V-GmbH hat ihr Textilunternehmen als wirtschaftliche Einheit mit allen dazugehörigen Sachen und Rechen vollständig auf die E-GmbH übertragen.

4. A hat dem Eintritt der E-GmbH in das Arbeitsverhältnis widersprochen (§ 613a Abs. 6 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats ab Zugang der Unterrichtung (§ 613a Abs. 5 BGB) schriftlich unter Angabe eines sachlichen Grundes widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden. Fehlt die ordnungsgemäße Unterrichtung (§ 613a Abs. 5 BGB), erlischt das Widerspruchsrecht nicht nach einem Monat. Der Widerspruch hat zur Folge, dass der bisherige Arbeitgeber Vertragspartner des Arbeitnehmers bleibt. A hat nicht widersprochen. Widerspricht der Arbeitnehmer, wird häufig die betriebsbedingte Kündigung wegen Arbeitsplatzwegfall die Folge sein.

5. Die E-GmbH ist seit dem 01.01.2021 Arbeitgeber der A (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Der neue Inhaber eines Betriebs tritt kraft Gesetzes in die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus dem Arbeitsverhältnis ein (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB). Es findet ein Vertragspartnerwechsel auf der Arbeitgeberseite statt. Die Voraussetzungen des Betriebsübergangs auf die E-GmbH liegen vor (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB). A hat dem Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht widersprochen (§ 613a Abs. 6 BGB).

6. A kann von der V-GmbH die Zahlung der Vergütung von November 2020 bis einschließlich Februar 2021 verlangen (§ 611a Abs. 2 BGB).

Nein!

Wie bei § 25 HGB besteht eine zeitlich befristete gesamtschuldnerische Nachhaftung des Veräußerers für Altverbindlichkeiten (§ 26 Abs. 1 S. 1 HGB), die vor Betriebsübergang entstanden sind und binnen eines Jahres nach dem Betriebsübergang fällig werden. Er haftet neben dem Erwerber für ein Jahr (§ 613 Abs. 2 S. 1 BGB). Der Vergütungsanspruch der A für November und Dezember 2020 sind vor dem Betriebsübergang noch im Betrieb der V-GmbH entstanden und fällig geworden (§ 614 S. 2 BGB). Die V-GmbH haftet somit für diese Forderungen noch bis einschließlich 01.01.2022 (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Die Vergütungsansprüche von Januar und Februar sind erst nach Betriebsübergang mit der E-GmbH als Arbeitgeber entstanden. Hierfür haftet die V-GmbH nicht.

7. Die Vergütungsansprüche von November und Dezember 2020 kann A von der V-GmbH und der E-GmbH verlangen (§§ 613a Abs. 2, 611a Abs. 2, 421 S. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Geht der Betrieb auf einen neuen Inhaber über, tritt dieser kraft Gesetzes in die Rechte und Pflichten des Veräußerers bestehender Arbeitsverhältnisses ein (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB). Für Altverbindlichkeiten, die vor Betriebsübergang entstanden sind und binnen eines Jahres nach dem Betriebsübergang fällig werden, haften neuer Arbeitgeber und Veräußerer als Gesamtschuldner. Der Veräußerer haftet neben dem neuen Arbeitgeber für ein Jahr fort (§ 613 Abs. 2 S. 1 BGB). Der Vergütungsanspruch der A für November und Dezember 2020 ist vor dem Betriebsübergang noch im Betrieb der V-GmbH entstanden und fällig geworden (§ 614 S. 2 BGB). V-GmbH und E-GmbH haften daher gesamtschuldnerisch für diese Forderungen (§ 613a Abs. 2 S.1, 421 S. 1 BGB).

8. Für die Vergütungsansprüche von Januar und Februar 2021 (§ 611a Abs. 2 BGB) haftet nur die E-GmbH (§§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Geht der Betrieb auf einen neuen Inhaber über, tritt dieser kraft Gesetzes in die Rechte und Pflichten des Veräußerers bestehender Arbeitsverhältnisses ein (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB), sofern der Arbeitnehmer nicht widerspricht (§ 613a Abs. 6 BGB). Es findet ein Vertragspartnerwechsel auf der Arbeitgeberseite statt. Die Voraussetzungen des Betriebsübergangs auf die E-GmbH liegen vor (§ 613a Abs. 1 S. 1 BGB). Diese ist damit am 01.01.2021 in das Arbeitsverhältnis mit A als Arbeitgeber eingetreten und hat die V-GmbH aus dieser Stellung verdrängt. Die Vergütungsansprüche (§ 611a Abs. 2 BGB) ab diesem Zeitpunkt sind damit nur mit der E-GmbH als Arbeitgeberin entstanden. Für diese im Betrieb der E-GmbH entstandenen Verbindlichkeiten haftet die V-GmbH nicht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

jomolino

30.9.2021, 15:41:32

Die drittletzte Antwort ist für mich nicht ganz eindeutig formuliert, die Formulierung indiziert dass zwei getrennte Haftungen für die beiden Abschnitte bestehen, das ist ja eigentlich gerade nicht gemeint oder? Also dass V nur für die ersten beiden Monate und. E nur für die Monate 01/02 haftet?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.10.2021, 18:25:33

Hallo nomamo, in der Tat haften die beiden nicht separat, sondern für die Monate November und Dezember gesamtschuldnerisch und für januar und Februar nur die E-GmbH. Dies wird in den letzten beiden Fragen noch einmal behandelt. Zudem haben wir die drittletzte Antwort auch noch einmal etwas eindeutiger gefasst. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Paul

Paul

24.4.2024, 14:25:59

Hi, zunächst vielen Dank für die tolle Aufgabe. Ich finde nur, dass die erste Frage so formuliert ist, dass sie leicht missverstanden werden kann. Man könnte sie doch auch so verstehen, dass wenn nur der Arbeitgeber im Vertrag wechselt und sich nur etwas ändert, wenn der Arbeitnehmer widerspricht, das Arbeitsverhältnis (an sich) also zunächst (grundsätzlich) in der Gestalt bestehen bleibt, wie vor der Übernahme, oder? Die Rechte und Pflichten der Parteien ändert sich doch (in diesem Fall) ohne Widerspruch nicht, richtig? So habe ich die Frage zumindest auch nach Lektüre der Norm verstanden. Beste Grüße Paul

GNA

Gnampf3000

18.6.2024, 23:38:19

Ich habe die Frage ebenfalls wie Paul verstanden. Vielleicht könnte man die Frage präzisieren.

JJO

JJO

22.6.2024, 18:29:21

Wie ist das Verhältnis des § 613a BGB zu den §§ 25 ff. HGB? Kann der Arbeitnehmer seine Ansprüche auch über §§ 25 ff. HGB gegenüber dem neuen Betriebsinhaber geltend machen oder ist § 613a BGB lex specialis?

LI

Lilyphant

28.7.2024, 08:05:16

Bei der sechten Frage heißt es: A kann von der V-GmbH die Zahlung der Vergütung von November 2020 bis einschließlich Februar 2021 verlangen (§ 611a Abs. 2 BGB). Die Aussage stimmt nicht. In der Erklärung heißt es aber dann, Veräußerer und Erwerber haften nebeneinander. Dann kann doch A aber auch von der V-GmbH Zahlung der Vergütung verlangen, weshalb ich auch "Die Aussage stimmt" genommen habe. Was ist denn nun richtig?

Johannes Nebe

Johannes Nebe

2.8.2024, 12:17:04

Ich hätte fast ins gleiche Horn geblasen. Aber es geht hier um Ansprüche ggü V, nicht E (auch wenn ich zunächst die Frage nach E erwartet und versehentlich so gelesen habe).

LI

Lilyphant

2.8.2024, 15:55:24

Mein Problem war wohl, dass ich das "bis einschließlich Februar" überlesen hatte. Für November und Dezember hat A den Anspruch (auch) gegen die V-GmbH, aber für Januar und Februar nur gegen E. Dann stimmt die Antwort natürlich nicht...

Eileen 🦊

Eileen 🦊

1.10.2024, 11:42:26

Nur eine kleine Bemerkung: Ihr habt den 613 statt den 613a in der Aufgabe zitiert. LG

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

7.10.2024, 11:33:08

Hallo Eileen 🦊, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

FO

forste35

29.10.2024, 14:49:33

Bei der Frage nach der Zeitspanne der Haftung für Altverbindlichkeiten wurde 613 statt 613a II 1 zitiert :)

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

30.10.2024, 14:37:53

Hallo forste35, vielen Dank für Deinen Hinweis! Wir haben den Fehler auf unsere Liste gesetzt und werden ihn im nächsten Korrekturgang beheben. Deine Aufmerksamkeit hilft uns, die Qualität unserer Inhalte hochzuhalten. Wir werden diesen Thread als erledigt markieren, sobald wir den Fehler behoben haben. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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