Öffentliches Recht

Grundrechte

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)

Verbreitung von erwiesen unrichtigen Tatsachen: Grundfall

Verbreitung von erwiesen unrichtigen Tatsachen: Grundfall

6. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Verschwörungstheoretiker V sagt in einem Radiointerview: "Den Holocaust hat es nie gegeben! Es ist alles erstunken und erlogen!" Staatsanwältin S hört zufällig zu und leitet Ermittlungen ein.

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Einordnung des Falls

Verbreitung von erwiesen unrichtigen Tatsachen: Grundfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Tatsachenbehauptungen sind vom sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) erfasst, wenn sie geeignet sind, zur Meinungsbildung beizutragen.

Genau, so ist das!

Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfasst Meinungen. Dabei werden Werturteile und Tatsachen unterschieden. Werturteile zeichnen sich durch ein subjektives Element der Stellungnahme oder des Dafürhaltens aus. Im Unterschied zum Werturteil sind Tatsachen dem Beweis zugänglich. Tatsachen kennzeichnet eine objektive Beziehung zur Realität, wodurch sie wahr oder falsch sein können. Tatsachenbehauptungen sind vom sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) erfasst, wenn sie geeignet sind, zur Meinungsbildung beizutragen.
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2. Die Aussage des V "Den Holocaust hat es nie gegeben! Es ist alles erstunken und erlogen!" ist eine unwahre Tatsachenbehauptung.

Ja, in der Tat!

Unter einer Tatsachenbehauptung versteht man jede Äußerung, die durch eine objektive Beziehung zur Realität gekennzeichnet ist, wodurch sie dem Beweis zugänglich ist. Sie kann wahr oder falsch sein. Ob es den Holocaust gegeben hat, ist dem historischen Beweis zugänglich. Auf Grundlage umfassender historischer Dokumentation ist ohne jeden Zweifel bewiesen, dass sich der millionenfache Mord europäischer Juden durch die Nationalsozialisten tatsächlich zugetragen hat. Vs Aussage ist eine unwahre Tatsachenbehauptung.

3. Unwahre Tatsachenbehauptungen fallen von vornherein aus dem sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG).

Nein!

Grundsätzlich sind auch unwahre Tatsachenbehauptungen von der Meinungsfreiheit (Art.5 Abs. 1 S. 1 GG) erfasst, sofern sie zur Meinungsbildung beitragen. Würde man unwahre Tatsachenbehauptungen generell ausschließen, litte die Funktion der Meinungsfreiheit erheblich. Diese besteht darin, die für die Demokratie konstitutive Meinungsbildung zu garantieren. Nicht selten ist allerdings im Zeitpunkt der Äußerung deren Wahrheitsgehalt ungewiss. Würden unwahre Tatsachenbehauptungen generell keinen Schutz genießen, bestünde die Gefahr, dass risikofrei nur noch unumstößliche Wahrheiten geäußert werden können.

4. Unwahre Tatsachenbehauptungen fallen auch dann noch in den sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG), wenn es sich dabei um erwiesene oder bewusste Falschinformationen oder Lügen handelt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Grenze zulässiger unwahrer Tatsachenbehauptungen ist bei erwiesener oder bewusster Falschinformation und Lüge erreicht. Die Tatsachenbehauptung darf nicht erwiesen oder bewusst unwahr sein. Grund: Eine solche Tatsachenbehauptung kann zur Meinungsbildung nichts beitragen. Vielmehr sind solche Tatsachenbehauptungen dazu geeignet, die Meinungsbildung zu manipulieren. Das Verbreiten bewusst oder erwiesen unwahrer Tatsachenbehauptungen ist deshalb kein schützenswertes Gut der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG).

5. Für die Aussage des V "Den Holocaust hat es nie gegeben! Es ist alles erstunken und erlogen!" ist der sachliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) eröffnet.

Nein, das trifft nicht zu!

Nicht vom sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind Tatsachenbehauptungen, die erwiesen oder bewusst unwahr sind. Die Leugnung des Holocausts (sog. Auschwitzlüge) ist angesichts umfassender historischer Beweise des Holocausts eine erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung. Sie verlässt den Boden der geschützten Meinungsbildung, indem sie bewusst falsche Informationen verbreitet. Im Unterschied dazu können relativierende Aussagen zur Schuld der Deutschen am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs von der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) erfasst sein. Grund: Es handelt sich um komplexe historische Beurteilungen, die zumeist nicht eindeutig wahr oder falsch sind.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

24.8.2022, 00:59:43

Demnach ist der absolute Großteil des Unsinna, der etwa durch die Twitter-Bubbles geistert, nicht vom Art. 5 GG gedeckt?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.8.2022, 18:03:09

Hallo DeliktusMaximus, wie in der Aufgabe auch schon angedeutet, muss man natürlich im

Einzelfall

sorgfältig abwägen, ob a) es sich wirklich um eine Tatsachenbehauptung oder eine bloße Meinungskundgabe handelt bzw. sie zur Meinungsbildung beiträgt und b) ob die Tatsachenbehauptung wirklich bewusst bzw. erwiesenermaßen falsch ist. Aber ja, soweit diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Aussage nicht mehr durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Dogu

Dogu

24.2.2024, 19:23:02

Naja viele absurde Verschwörungstheorien sind noch nicht explizit wissenschaftlich widerlegt, da sich keiner ernsthaft mit so einem Schwachsinn befassen will (Echsenmenschen etc.). Insoweit würde schon noch Art. 5 greifen, solange der Sprecher selbst davon überzeugt ist. Andere Theorien (flache Erde) dürften dagegen eindeutig als erwiesen objektiv unwahr einzustufen sein.


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