Öffentliches Recht
Grundrechte
Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)
Verbreitung von unrichtigen Tatsachen: Grenzfall 1 - wann ist der Nachweis der Unrichtigkeit erbracht?
Verbreitung von unrichtigen Tatsachen: Grenzfall 1 - wann ist der Nachweis der Unrichtigkeit erbracht?
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
N behauptet in einer öffentlichen Rede, dass Ministerin M in strafrechtlich relevante Korruptionsgeschäfte verwickelt ist. Zu diesem Zeitpunkt liegen keine Beweise in dieser Hinsicht vor. Später wird eindeutig bewiesen, dass die Vorwürfe unwahr sind. M erstattet Anzeige.
Diesen Fall lösen 74,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Verbreitung von unrichtigen Tatsachen: Grenzfall 1 - wann ist der Nachweis der Unrichtigkeit erbracht?
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Unwahre Tatsachenbehauptungen fallen von vornherein aus dem sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG).
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Schwelle zur Feststellung, dass eine behauptete Tatsache erwiesen unwahr ist und ihre Behauptung deshalb aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) herausfällt, ist niedrig anzusetzen.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Die Unwahrheit der Äußerung muss wegen der hohen Anforderungen, die an den Nachweis der Unwahrheit zu stellen sind, bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststehen.
Ja, in der Tat!
4. Der sachliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) ist in Bezug auf Ns Behauptungen im Rahmen seiner Rede eröffnet.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Ruben
25.11.2022, 19:07:02
Fällt eine Anschuldigung gegen eine Person die wegen in dubio pro reo freigesprochen wurde unter eine wahre oder eine unwahre Tatsachenbehauptung?
Nora Mommsen
28.11.2022, 12:21:29
Hallo Ruben, danke für diese interessante Frage. Weder Grüneberg noch Fischer äußern sich dazu. Allerdings ist ein Freispruch der aufgrund des in dubio pro reo Grundsatzes ergeht materiell-rechtlich nicht weniger wert als ein Freispruch aus anderen Gründen. Damit gilt der ehemals Angeklagte als freigesprochen und damit nicht der Tat schuldig. Insofern würde ich eher Richtung unwahrer Tatsachenbehauptung tendieren, ist aber - wie meistens - eine Frage des Einzelfalls. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team Hallo Ruben, danke für diese interessante Frage. Weder Grüneberg noch Fischer äußern sich dazu. Allerdings ist ein Freispruch der aufgrund des in dubio pro reo Grundsatzes ergeht materiell-rechtlich nicht weniger wert als ein Freispruch aus anderen Gründen. Damit gilt der ehemals Angeklagte als freigesprochen und damit nicht der Tat schuldig. Insofern würde ich eher Richtung unwahrer Tatsachenbehauptung tendieren, ist aber - wie meistens - eine Frage des Einzelfalls. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
HunzKunz
5.4.2024, 21:37:32
Würde sich N im vorliegenden Fall dann nicht der üblen Nachrede strafbar machen nach
§186 StGBals nachgewiesen wurde dass die Person XY nicht in die Korruption verwickelt war. Und würde dies dann keinen Widerspruch ergeben, wenn die Aussage des N gleichzeitig aber von Art 5 I GG geschützt ist. Oder habe ich da einen Denkfehler und jmd kanns mir erklären? Danke im Voraus :)
DDoubleYou
11.6.2024, 16:58:29
Meinst du „keinen“ oder „einen“ Widerspruch? Ich nehme mal an, dass du „einen“ Widerspruch meinst :) Auch dann besteht kein Widerspruch. Die Äußerung des N kann gleichzeitig in den Schutzbereich eines Grundrechts fallen und strafbar sein. Das heißt nicht, dass sein Handeln auf Ebene der „Rechtfertigung“ gerechtfertigt ist. Im Kapitel zur allgemeinen Handlungsfreiheit wird dies erläutert. Du sprichst zudem eine Abwandlung an: Nachdem nachgewiesen wurde, dass Person XY nicht in eine Korruption verwickelt war, darf N diese Äußerung nicht nochmals tätigen und fällt dann nicht mehr in den Schutzbereich von Art. 5 I 1 Alt. 1 GG. Da er die Aussage allerdings schon vor dem Nachweis tätigte, ist der Schutzbereich eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war die Unwahrheit noch nicht erwiesen. In der Rechtfertigung – im Wege der mittelbaren Drittwirkung – wird diese dann aber keinen Bestand haben.
Sassun
20.9.2024, 12:34:19
Reicht es denn nicht aus, dass N für sich denkt, die Korruptionsaffäre sei unwahr? Das sie erwiesen unwahr ist hätte ich als alternative und nicht kumulative Voraussetzung verstanden. Zur Erklärung: Aus dem Hinweis "Neider N", dem Bild und der Gesamtkonzeption hatte ich den Schluss gezogen, dass N weiß, dass kein Korruptionsverfahren läuft.
Leo Lee
21.9.2024, 09:24:31
Hallo Sassun, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! in der Tat ging aus der Beschreibung als "Neider" durchaus der Eindruck hervor, dass der N um die Unwahrheit wusste, weshalb wir diesen Teil rausgenommen haben. In der Tat ist auch aufgrund der hohen Schwelle eine "bewusst" unwahre Tatsachenbehauptung nötig, was eigentlich fast schon eine
positive Kenntnisvoraussetzt (da die Unwahrheit auch unzweifelhaft feststehen muss). Insofern hast du Recht mit deiner Forderung nach einem "kumulativen" Vorliegen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom Jarass/Pieroth GG 18. Auflage, Art. 5 Rn. 7 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo