Öffentliches Recht

Grundrechte

Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG)

Verbreitung von unrichtigen Tatsachen: Grenzfall 1 - wann ist der Nachweis der Unrichtigkeit erbracht?

Verbreitung von unrichtigen Tatsachen: Grenzfall 1 - wann ist der Nachweis der Unrichtigkeit erbracht?

7. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

N behauptet in einer öffentlichen Rede, dass Ministerin M in strafrechtlich relevante Korruptionsgeschäfte verwickelt ist. Zu diesem Zeitpunkt liegen keine Beweise in dieser Hinsicht vor. Später wird eindeutig bewiesen, dass die Vorwürfe unwahr sind. M erstattet Anzeige.

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Einordnung des Falls

Verbreitung von unrichtigen Tatsachen: Grenzfall 1 - wann ist der Nachweis der Unrichtigkeit erbracht?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Unwahre Tatsachenbehauptungen fallen von vornherein aus dem sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG).

Nein!

Grundsätzlich sind auch unwahre Tatsachenbehauptungen von der Meinungsfreiheit (Art.5 Abs. 1 S. 1 GG) erfasst, sofern sie zur Meinungsbildung beitragen. Würde man unwahre Tatsachenbehauptungen generell ausschließen, litte die Funktion der Meinungsfreiheit erheblich. Diese besteht darin, die für die Demokratie konstitutive Meinungsbildung zu garantieren. Nicht selten ist allerdings im Zeitpunkt der Äußerung deren Wahrheitsgehalt ungewiss. Würden unwahre Tatsachenbehauptungen generell keinen Schutz genießen, bestünde die Gefahr, dass risikofrei nur noch unumstößliche Wahrheiten geäußert werden können.
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2. Die Schwelle zur Feststellung, dass eine behauptete Tatsache erwiesen unwahr ist und ihre Behauptung deshalb aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) herausfällt, ist niedrig anzusetzen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Hürde zum Nachweis, dass eine Tatsache als erwiesen unwahr gilt, ist hoch anzusetzen. Grund: Die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) dient auch dem Schutz des Irrenden. Die Freiheit zum Irrtum ist elementarer Bestandteil der Meinungsfreiheit. Andernfalls würden Äußerungen aus Angst, sich zu irren, nicht getätigt. Darunter würde die konstitutive Bedeutung der Meinungsfreiheit für den freiheitlich-demokratischen Meinungsbildungsprozess enorm leiden.

3. Die Unwahrheit der Äußerung muss wegen der hohen Anforderungen, die an den Nachweis der Unwahrheit zu stellen sind, bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststehen.

Ja, in der Tat!

Oftmals ist im Zeitpunkt der getätigten Äußerung deren Wahrheitsgehalt ungewiss. Der Wahrheitsgehalt einer Tatsachenbehauptung ist oftmals Ergebnis eines Diskussionsprozesses sowie historisch-wissenschaftlicher Untersuchungen. Die Anforderungen an die Wahrheitspflicht müssen dabei mit Rücksicht auf die konstitutive Bedeutung der Meinungsfreiheit bemessen werden. Demnach fallen nur unwahre Tatsachenbehauptungen aus dem Schutzbereich, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht.

4. Der sachliche Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) ist in Bezug auf Ns Behauptungen im Rahmen seiner Rede eröffnet.

Ja!

Tatsachenbehauptungen sind vom sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) erfasst, wenn sie geeignet sind, zur Meinungsbildung beizutragen. Sie dürfen im Zeitpunkt der Äußerung nicht unzweifelhaft unwahr sein. Ob M tatsächlich in Korruptionsgeschäfte verwickelt war, ist dem Beweis zugänglich und kann entweder wahr oder falsch sein. Da zum Zeitpunkt der getätigten Äußerung keine Beweise vorlagen, stand auch nicht unzweifelhaft fest, dass die Korruptionsvorwürfe falsch sind. Der tatsächliche Wahrheitsgehalt der behaupteten Tatsache spielt im Rahmen der Abwägung auf Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eine Rolle.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RUBE

Ruben

25.11.2022, 19:07:02

Fällt eine Anschuldigung gegen eine Person die wegen in dubio pro reo freigesprochen wurde unter eine wahre oder eine unwahre Tatsachenbehauptung?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

28.11.2022, 12:21:29

Hallo Ruben, danke für diese interessante Frage. Weder Grüneberg noch Fischer äußern sich dazu. Allerdings ist ein Freispruch der aufgrund des in dubio pro reo Grundsatzes ergeht materiell-rechtlich nicht weniger wert als ein Freispruch aus anderen Gründen. Damit gilt der ehemals Angeklagte als freigesprochen und damit nicht der Tat schuldig. Insofern würde ich eher Richtung unwahrer Tatsachenbehauptung tendieren, ist aber - wie meistens - eine Frage des Einzelfalls. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team Hallo Ruben, danke für diese interessante Frage. Weder Grüneberg noch Fischer äußern sich dazu. Allerdings ist ein Freispruch der aufgrund des in dubio pro reo Grundsatzes ergeht materiell-rechtlich nicht weniger wert als ein Freispruch aus anderen Gründen. Damit gilt der ehemals Angeklagte als freigesprochen und damit nicht der Tat schuldig. Insofern würde ich eher Richtung unwahrer Tatsachenbehauptung tendieren, ist aber - wie meistens - eine Frage des Einzelfalls. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

HUN

HunzKunz

5.4.2024, 21:37:32

Würde sich N im vorliegenden Fall dann nicht der üblen Nachrede strafbar machen nach

§186 StGB

als nachgewiesen wurde dass die Person XY nicht in die Korruption verwickelt war. Und würde dies dann keinen Widerspruch ergeben, wenn die Aussage des N gleichzeitig aber von Art 5 I GG geschützt ist. Oder habe ich da einen Denkfehler und jmd kanns mir erklären? Danke im Voraus :)

DDoubleYou

DDoubleYou

11.6.2024, 16:58:29

Meinst du „keinen“ oder „einen“ Widerspruch? Ich nehme mal an, dass du „einen“ Widerspruch meinst :) Auch dann besteht kein Widerspruch. Die Äußerung des N kann gleichzeitig in den Schutzbereich eines Grundrechts fallen und strafbar sein. Das heißt nicht, dass sein Handeln auf Ebene der „Rechtfertigung“ gerechtfertigt ist. Im Kapitel zur allgemeinen Handlungsfreiheit wird dies erläutert. Du sprichst zudem eine Abwandlung an: Nachdem nachgewiesen wurde, dass Person XY nicht in eine Korruption verwickelt war, darf N diese Äußerung nicht nochmals tätigen und fällt dann nicht mehr in den Schutzbereich von Art. 5 I 1 Alt. 1 GG. Da er die Aussage allerdings schon vor dem Nachweis tätigte, ist der Schutzbereich eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war die Unwahrheit noch nicht erwiesen. In der Rechtfertigung – im Wege der mittelbaren Drittwirkung – wird diese dann aber keinen Bestand haben.

Sassun

Sassun

20.9.2024, 12:34:19

Reicht es denn nicht aus, dass N für sich denkt, die Korruptionsaffäre sei unwahr? Das sie erwiesen unwahr ist hätte ich als alternative und nicht kumulative Voraussetzung verstanden. Zur Erklärung: Aus dem Hinweis "Neider N", dem Bild und der Gesamtkonzeption hatte ich den Schluss gezogen, dass N weiß, dass kein Korruptionsverfahren läuft.

LELEE

Leo Lee

21.9.2024, 09:24:31

Hallo Sassun, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! in der Tat ging aus der Beschreibung als "Neider" durchaus der Eindruck hervor, dass der N um die Unwahrheit wusste, weshalb wir diesen Teil rausgenommen haben. In der Tat ist auch aufgrund der hohen Schwelle eine "bewusst" unwahre Tatsachenbehauptung nötig, was eigentlich fast schon eine

positive Kenntnis

voraussetzt (da die Unwahrheit auch unzweifelhaft feststehen muss). Insofern hast du Recht mit deiner Forderung nach einem "kumulativen" Vorliegen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom Jarass/Pieroth GG 18. Auflage, Art. 5 Rn. 7 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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