Gesamtstrafenbildung mit im Ausland begangener Tat

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Franzose F wird für einen Raub in Deutschland verurteilt. Diesen beging er, bevor er wegen anderer Raubüberfälle in Frankreich vor französischen Gerichten verurteilt wurde. Das Tatgericht nimmt in der Strafzumessung aufgrund der Verurteilungen im Ausland einen „Härteausgleich” vor, um „dem Gedanken des § 55 StGB Rechnung zu tragen”.

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Einordnung des Falls

Gesamtstrafenbildung mit im Ausland begangener Tat

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da die Tat vor den Verurteilungen im Ausland begangen wurde, hätte das Tatgericht eine nachträgliche Gesamtstrafe bilden müssen (§ 55 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Ausländische Verurteilungen sind nicht gesamtstrafenfähig, denn es müssten zwei völlig verschiedene Strafsysteme in Einklang gebracht werden. Auch entfiele durch die Gesamtstrafenbildung nach deutschem Recht die Vollstreckbarkeit des ausländischen Urteils. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in das Justizhoheitsrecht des anderen Staates. Das Tatgericht war hier also nicht gezwungen, eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden, da die ausländischen Vorverurteilungen nicht gesamtstrafenfähig waren.
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2. Liegt eine ausländische Vorverurteilung vor, die auch in Deutschland hätte verhandelt werden können, muss das Tatgericht aber einen Härteausgleich vornehmen.

Ja!

Eine ausländische Verurteilung ist zwar nicht gesamtstrafenfähig. Hätte allerdings die im Ausland und die im Inland begangene Straftat vom zeitlichen Ablauf her miteinander vor einem deutschen Gericht abgeurteilt werden können, ist ein Härteausgleich vorzunehmen. Denn dann greift der Rechtsgedanke des § 55 StGB, wonach der Angeklagte nicht besser und nicht schlechter stehen soll, als bei einer gemeinsamen Aburteilung. Für einen Härteausgleich muss immer ein Gerichtsstand (§§ 3ff. StGB) für die im Ausland begangene Tat auch in Deutschland gegeben gewesen sein. Dann besteht ein auszugleichender Nachteil.

3. Hätte man Fs im Ausland begangene Taten auch vor einem deutschen Gericht aburteilen können (§ 3ff. StGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Taten, die im Ausland begangen werden, können vor einem deutschen Gericht abgeurteilt werden, wenn sie (1) einen besonderen Inlandsbezug haben (§ 5 StGB), (2) sich gegen international geschützte Rechtsgüter (§ 6 StGB), (3) oder gegen deutsche Staatsbürger richten (§ 7 Abs. 1 StGB), (4) der Täter Deutscher war (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB) oder (5) ein Fall der stellvertretenden Strafrechtspflege vorliegt (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Die Raubüberfälle sind keine Katalogtaten der §§ 5, 6 StGB. Der Täter ist kein deutscher Staatsbürger. Auch dass die Opfer der ausländischen Taten deutsche Staatsbürger waren, ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig, dass die Voraussetzungen der stellvertretenden Strafrechtspflege jemals vorlagen. Dieser Tatbestand eröffnet also höchstens eine theoretische Möglichkeit der Aburteilung vor einem deutschen Gericht

4. Eine Revision der Staatsanwaltschaft hätte Erfolg, da das Tatgericht hier rechtsfehlerhaft einen „Härteausgleich” vornahm.

Ja, in der Tat!

Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung kommt bei Auslandsverurteilungen nicht in Betracht. Ein Härteausgleich ist aber vorzunehmen, wenn die Taten auch gemeinsam in Deutschland abgeurteilt werden konnten. Dieser scheidet jedoch aus, wenn wegen der im Ausland abgeurteilten Taten in Deutschland ein Strafverfahren nicht hätte durchgeführt werden können. Ein Gerichtsstand der §§ 5ff. StGB bestand hier nicht. Der bei nicht-deutschen Tätern eröffnete Aspekt der stellvertretenden Strafrechtspflege (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB) reicht nicht aus, da dieser einen Gerichtsstand höchstens theoretisch begründen konnte. Dies genügt nicht, um einen ausgleichungsfähigen Nachteil für F zu bejahen. Der Härteausgleich hätte also unterbleiben müssen.
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