Öffentliches Recht

Grundrechte

Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG)

Keine Beschränkung des Schutzbereichs auf friedliches Verhalten ("Friedlichkeitsvorbehalt")

Keine Beschränkung des Schutzbereichs auf friedliches Verhalten ("Friedlichkeitsvorbehalt")

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Krawallmacherin K zieht nachts durch die Straßen ihrer Stadt und schlägt mit einem Baseballschläger die Seitenspiegel der dort parkenden Autos ein. K ist davon überzeugt, dass ihr Handeln bei ihren nächtlichen Spaziergängen grundrechtlich geschützt ist.

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Einordnung des Falls

Keine Beschränkung des Schutzbereichs auf friedliches Verhalten ("Friedlichkeitsvorbehalt")

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG umfasst jedes beliebige menschliche Tun und Lassen. Wird auch unfriedliches Verhalten von K von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt?

Ja!

Die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG wird als umfassende Freiheitsgarantie und als Auffanggrundrecht verstanden. Der Schutzbereich ist deshalb im weitesten Sinne und thematisch universal auszulegen. Somit sind auch unfriedliche und gewalttätige Handlungen Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit. Der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG umfasst somit nicht nur friedliche Handlungen. Jedes beliebige Tun und Lassen erfasst alle Handlungen der K. Damit werden auch Handlungen der K, die unfriedlich und gewalttätig sind durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.
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2. Die Freiheit des Einzelnen findet ihre Grenzen in seinem Zusammenwirken mit der Gemeinschaft. Muss der Schutzbereich aller Grundrechte daher auf lediglich friedliches Verhalten beschränkt werden?

Nein, das ist nicht der Fall!

Dies ist eine in der Literatur vertreten Auffassung nach der der Schutzbereich aller Grundrechte einem Friedlichkeitsvorbehalt unterliegt. Demnach kollidiert unfriedliches Verhalten des Einzelnen immer mit Grundrechten Dritter, woraus eine Friedenspflicht abgeleitet wird. Die Ausübung physischer Gewalt soll dieser Auffassung nach allein dem Staat zustehen. Gewalttätiges Verhalten des Einzelnen darf daher nicht grundrechtlich geschützt sein. Dagegen spricht jedoch, dass der Schutzbereich eines Grundrechts vordergründig über dessen Wortlaut zu bestimmen ist. Demnach soll nicht schon jede Rechtsposition eines Dritten zur Einschränkung des Schutzbereichs führen können. Dies sagt auch noch nichts über das Ergebnis der Grundrechtsprüfung aus. Es wird aber immerhin die Möglichkeit eröffnet staatliches Handeln im Hinblick auf das möglicherweise betroffene Grundrecht zu genauer überprüfen. Dies bedeutet aber nicht, dass Grundrechte Dritter in der Prüfung keine Rolle spielen. Vielmehr stellt das eine Frage der Rechtfertigung dar. Dort sind spätestens bei der Verhältnismäßigkeit die sich gegenüberstehenden Grundrechtspositionen gegenüberzustellen und gegeneinander abzuwägen. Hierzu erfährst Du in einer der folgenden Einheiten mehr. Als systematisches Argument gegen einen allgemeinen Friedlichkeitsvorbehalt lässt sich anführen, dass Art. 8 Abs. 1 GG seinem Wortlaut nach nur das Recht schützt, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Wenn so ein Vorbehalt in Art. 8 Abs. 1 GG ausdrücklich formuliert ist, dann kann er nicht in ungeschriebener Form allgemein für alle Grundrechte gelten.

3. Wird Ks Einschlagen der Seitenspiegel bei ihren nächtlichen Spaziergängen vom Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG erfasst?

Ja, in der Tat!

Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG schützt als Auffanggrundrecht jedes beliebige menschliche Tun und Lassen. Nachts durch die Straßen zu ziehen und dabei Seitenspiegel der dort parkenden Autos einzuschlagen stellt ein menschliches Tun von K dar. Es fällt somit – auch als unfriedliches und gewalttätiges Verhalten – in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG. Es ist offenkundig, dass Ks Handeln strafbar ist (§ 303 StGB) und deshalb der Staat dagegen vorgehen kann. Ungeachtet des eröffneten Schutzbereichs der allgemeinen Handlungsfreiheit wären gegen dieses Vorgehen ergriffene staatliche Maßnahmen gerechtfertigt. Mehr dazu später.
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