Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Fahrlässigkeit

Herkunft der Sorgfaltspflichten – Sondernormen im engeren Sinne 2

Herkunft der Sorgfaltspflichten – Sondernormen im engeren Sinne 2

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Raserin R fährt mit 80km/h durch eine geschlossene Ortschaft. Als die unvorsichtige U auf die Straße tritt, kommt es zu einem Zusammenprall mit R, wobei U tödlich verletzt wird. Wäre R nur 50km/h gefahren, hätte sie noch rechtzeitig bremsen können.

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Einordnung des Falls

Herkunft der Sorgfaltspflichten – Sondernormen im engeren Sinne 2

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Eine Strafbarkeit der R wegen fahrlässiger Tötung setzt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung voraus (§ 222 StGB).

Ja!

Nach der Rspr. und hL setzt die Verwirklichung eines Fahrlässigkeitsdelikts zentral voraus, dass der Täter eine objektive Sorgfaltspflicht verletzt. Wann eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegt, ergibt sich allerdings nicht aus der verletzten Strafnorm selbst, sondern muss aus externen Quellen bestimmt werden. Der einfachste und eindeutigste Fall ist die Bestimmung von Sorgfaltspflichten unmittelbar oder mittelbar aus dem Gesetz (sog. Sondernormen). Wichtigste Beispiele dafür sind wohl die in der StVO befindlichen Verhaltensregeln oder die durch ein Verkehrsschild angeordneten Höchstgeschwindigkeiten.
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2. R hat sich objektiv sorgfaltswidrig verhalten.

Genau, so ist das!

Ein Sorgfaltsmaßstab für zulässige Höchstgeschwindigkeiten von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ergibt sich aus § 3 StVO. Danach beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften 50 km/h (§ 3 Abs. 3 StVO). R fuhr indes 80km/h und handelte daher sorgfaltspflichtwidrig.

3. Der Tod der U war auch objektiv vorhersehbar.

Ja, in der Tat!

Nach hM. setzt eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit voraus, dass die Tatbestandsverwirklichung objektiv vorhersehbar gewesen sein muss. Danach müssen der Erfolgseintritt sowie Kausalverlauf für einen Durchschnittsmenschen des jeweiligen Verkehrskreises absehbar gewesen sein. Dabei ist eine konkrete Wahrscheinlichkeitsbeurteilung vorzunehmen. Die generelle Möglichkeit theoretischer Entwicklungen reicht nicht aus. Für den durchschnittlichen Kraftfahrer ist es nicht unvorhersehbar, dass bei zu hohen Geschwindigkeiten die eigene Reaktionszeit nicht mehr ausreichend zur Kollisionsvermeidung sein und es so mitunter zu tödlichen Unfällen kommen kann.

4. Der Tod der U ist der R auch objektiv zurechenbar.

Ja!

Im Rahmen der objektiven Zurechnung muss auch bei Fahrlässigkeitsdelikten ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang bestehen. Dieser ist nach der Vermeidbarkeitstheorie gegeben, wenn der konkrete Erfolg bei pflichtgemäßen Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermeidbar gewesen wäre. Nach der Risikoerhöhungslehre indes muss das pflichtwidrige Verhalten das Risiko verglichen mit dem rechtmäßigen Alternativverhalten lediglich erhöht haben. Wäre R nur 50km/h gefahren, hätte sie noch rechtzeitig bremsen und den Unfall vermeiden können, sodass allenfalls ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang besteht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Rambo

Rambo

25.10.2022, 16:59:31

Hallo, es wird u.a. angeführt, dass sich Sorgfaltspflichtverletzungen nicht aus der "verletzten Strafnorm selbst" ergeben, sondern aus externen Quellen. Wie darf man "verletzte Strafnorm" hier verstehen? Wenn A mit 1,2 Promille einen Verkehrsunfall verursacht und hierdurch der B getötet wird, stellt sich im Rahmen der Prüfung des §222 StGB die Frage, welche Sorgfaltspflicht verletzt wurde. Diese ergibt sich einerseits aus § 24a StVG, andererseits aber auch aus

§316 StGB

.

§316 StGB

würde hier aber auch die "verletzte Strafnorm" sein (zumindest §316 II StGB). Daher frage ich mich, weshalb sich Sorgfaltspflichten nicht auch aus verletzten Strafnormen selbst ergeben können. Lieben Dank im Voraus!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.10.2022, 18:04:40

Hallo Rambo, vielen Dank für Deine gute Nachfrage! Ein zentraler Fehler, den man bei der Prüfung von

Fahrlässigkeitsdelikte

n vermeiden muss, ist, von dem Vorliegen des Taterfolgs (Tod einer Person, § 222 StGB; Verletzung einer Person, §

229 StGB

; betrunken gefahren,

§ 316 StGB

) auf ein Handlungsunrecht der Person zu schließen. Denn bei

Fahrlässigkeitsdelikte

n handelte der Täter nicht vorsätzlich. Vielmehr wirft man ihr vor, dass sie bei pflichtgemäßer Sorgfalt den Erfolgseintritt hätte vermeiden können. Würde man nämlich Rechtsgutsverletzung und Handlungsunrecht gleichsetzen, so liefe das Merkmal der "Sorgfaltspflichtverletzung" leer (so auch Kudlich, in BeckOK-StGB, 54.Ed. 01.08.2022, § 15 RdNr. 36). Woher kommen also nun Sorgfaltspflichten? Da kommen eine Reihe von Quellen in Betracht, zB (1) Sondernormen im engeren Sinne (zB Höchstgeschwindigkeiten in der StVO), (2) Standards und Gepflogenheiten in bestimmten Verkehrskreisen (zB Standards der ärztlichen Kunst im edizinischen Bereich), (3) Allgemeiner Maßstab des Durchschnittsbürgers (hier wird es nun schon schwammig, es handelt sich letztlich um eine Interessenabwägung zwischen

Rechtsgüter

schutz einerseits und Handlungsfreiheit andererseits, vgl. auch BGH NStZ 2002, 421 RdNr. 11; insgesamt Kudlich, in BeckOK-StGB, 54.Ed. 01.08.2022, § 15 RdNr. 38ff. ). Ich hoffe, jetzt wird es etwas klarer :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SN

Sniter

30.1.2023, 11:22:22

Liebes Team, würdet ihr den Streit zwischen

Vermeidbarkeitstheorie

und der Risikoerhöhungstl

ehre

hier bringen? Ich habe mir notiert, dass es auf diesen nur ankommt, wenn im jeweiligen Sachverhalt zweifelhaft ist, ob das hypothteische pflichtgemäße Alternativverhalten den Erfolg auch verhindert hätte. So liegt der Fall hier nicht...

iudexaquo

iudexaquo

15.5.2023, 18:31:29

Einen Streitstand sollte man ja generell nur dann näher ausführen, wenn die Meinungen tatsächlich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würden. In unproblematischen Fällen würde ich einfach schreiben, dass eine

objektive Zurechnung

nach beiden Ansichten (vorher die beiden Ansichten ggf kurz nennen) zu bejahen ist. Würde man hier in der Klausur einen riesen Fass aufmachen, wäre das mMn einefalsche Schwerpunktsetzung.

PLU

Primitiver Lurch

20.3.2024, 18:12:24

Sollte man bei einer derart formulierten Aufgabenstellung bei der objektiven Vorhersehbarkeit nicht kurz auf die Unvorsicht der U eingehen? Z.B. durch eine knappe Formulierung, dass auch ein unvorsichtiges Überqueren der Straße durch Fußgänger zum erwartbarem Verkehrsgeschehen gehört?

Gruttmann

Gruttmann

21.3.2024, 09:08:15

Ja, du musst dich quasi immer damit auseinandersetzen, ob der Erfolg objektiv vorhersehbar war. Da kann man dann immer selbst nochmal subsumieren. Wie du das gemacht hast, klingt das sehr gut! Ggf. könnte man den Vertrauensgrundsatz im Straßenverkehr kurz ansprechen, aber ich glaube der gilt nur für den Verkehr an sich, nicht für Fußgänger und auf garkein Fall für solche Fußgänger. LG, Gruttmann.


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