Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Fahrlässigkeit
Herkunft der Sorgfaltspflichten – Sondernormen im engeren Sinne 2
Herkunft der Sorgfaltspflichten – Sondernormen im engeren Sinne 2
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Raserin R fährt mit 80km/h durch eine geschlossene Ortschaft. Als die unvorsichtige U auf die Straße tritt, kommt es zu einem Zusammenprall mit R, wobei U tödlich verletzt wird. Wäre R nur 50km/h gefahren, hätte sie noch rechtzeitig bremsen können.
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Einordnung des Falls
Herkunft der Sorgfaltspflichten – Sondernormen im engeren Sinne 2
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Eine Strafbarkeit der R wegen fahrlässiger Tötung setzt eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung voraus (§ 222 StGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. R hat sich objektiv sorgfaltswidrig verhalten.
Genau, so ist das!
3. Der Tod der U war auch objektiv vorhersehbar.
Ja, in der Tat!
4. Der Tod der U ist der R auch objektiv zurechenbar.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Rambo
25.10.2022, 16:59:31
Hallo, es wird u.a. angeführt, dass sich Sorgfaltspflichtverletzungen nicht aus der "verletzten Strafnorm selbst" ergeben, sondern aus externen Quellen. Wie darf man "verletzte Strafnorm" hier verstehen? Wenn A mit 1,2 Promille einen Verkehrsunfall verursacht und hierdurch der B getötet wird, stellt sich im Rahmen der Prüfung des §222 StGB die Frage, welche Sorgfaltspflicht verletzt wurde. Diese ergibt sich einerseits aus § 24a StVG, andererseits aber auch aus
§316 StGB.
§316 StGBwürde hier aber auch die "verletzte Strafnorm" sein (zumindest §316 II StGB). Daher frage ich mich, weshalb sich Sorgfaltspflichten nicht auch aus verletzten Strafnormen selbst ergeben können. Lieben Dank im Voraus!
Lukas_Mengestu
25.10.2022, 18:04:40
Hallo Rambo, vielen Dank für Deine gute Nachfrage! Ein zentraler Fehler, den man bei der Prüfung von
Fahrlässigkeitsdelikten vermeiden muss, ist, von dem Vorliegen des Taterfolgs (Tod einer Person, § 222 StGB; Verletzung einer Person, §
229 StGB; betrunken gefahren,
§ 316 StGB) auf ein Handlungsunrecht der Person zu schließen. Denn bei
Fahrlässigkeitsdelikten handelte der Täter nicht vorsätzlich. Vielmehr wirft man ihr vor, dass sie bei pflichtgemäßer Sorgfalt den Erfolgseintritt hätte vermeiden können. Würde man nämlich Rechtsgutsverletzung und Handlungsunrecht gleichsetzen, so liefe das Merkmal der "Sorgfaltspflichtverletzung" leer (so auch Kudlich, in BeckOK-StGB, 54.Ed. 01.08.2022, § 15 RdNr. 36). Woher kommen also nun Sorgfaltspflichten? Da kommen eine Reihe von Quellen in Betracht, zB (1) Sondernormen im engeren Sinne (zB Höchstgeschwindigkeiten in der StVO), (2) Standards und Gepflogenheiten in bestimmten Verkehrskreisen (zB Standards der ärztlichen Kunst im edizinischen Bereich), (3) Allgemeiner Maßstab des Durchschnittsbürgers (hier wird es nun schon schwammig, es handelt sich letztlich um eine Interessenabwägung zwischen
Rechtsgüterschutz einerseits und Handlungsfreiheit andererseits, vgl. auch BGH NStZ 2002, 421 RdNr. 11; insgesamt Kudlich, in BeckOK-StGB, 54.Ed. 01.08.2022, § 15 RdNr. 38ff. ). Ich hoffe, jetzt wird es etwas klarer :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Sniter
30.1.2023, 11:22:22
Liebes Team, würdet ihr den Streit zwischen
Vermeidbarkeitstheorieund der Risikoerhöhungstl
ehrehier bringen? Ich habe mir notiert, dass es auf diesen nur ankommt, wenn im jeweiligen Sachverhalt zweifelhaft ist, ob das hypothteische pflichtgemäße Alternativverhalten den Erfolg auch verhindert hätte. So liegt der Fall hier nicht...
iudexaquo
15.5.2023, 18:31:29
Einen Streitstand sollte man ja generell nur dann näher ausführen, wenn die Meinungen tatsächlich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würden. In unproblematischen Fällen würde ich einfach schreiben, dass eine
objektive Zurechnungnach beiden Ansichten (vorher die beiden Ansichten ggf kurz nennen) zu bejahen ist. Würde man hier in der Klausur einen riesen Fass aufmachen, wäre das mMn einefalsche Schwerpunktsetzung.
Primitiver Lurch
20.3.2024, 18:12:24
Sollte man bei einer derart formulierten Aufgabenstellung bei der objektiven Vorhersehbarkeit nicht kurz auf die Unvorsicht der U eingehen? Z.B. durch eine knappe Formulierung, dass auch ein unvorsichtiges Überqueren der Straße durch Fußgänger zum erwartbarem Verkehrsgeschehen gehört?
Gruttmann
21.3.2024, 09:08:15
Ja, du musst dich quasi immer damit auseinandersetzen, ob der Erfolg objektiv vorhersehbar war. Da kann man dann immer selbst nochmal subsumieren. Wie du das gemacht hast, klingt das sehr gut! Ggf. könnte man den Vertrauensgrundsatz im Straßenverkehr kurz ansprechen, aber ich glaube der gilt nur für den Verkehr an sich, nicht für Fußgänger und auf garkein Fall für solche Fußgänger. LG, Gruttmann.