Schranken, Art. 5 Abs. 3 GG

30. Juni 2025

6 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der 1933 emigrierte Schriftsteller K schildert in seinem Roman "Mephisto" Aufstieg und Karriere des opportunistischen Schauspielers Hendrik H. in Nazideutschland. Vorlage war der echte Schauspieler Gustaf G., den K kannte. Dessen Alleinerbe erwirkt ein Verbot gegen Verleger V, "Mephisto" zu veröffentlichen.

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Einordnung des Falls

Schranken, Art. 5 Abs. 3 GG

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) unterliegt den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG.

Nein!

Die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG ist nach Wortlaut, Systematik und Telos vorbehaltlos gewährleistet. Einer „Schrankenleihe“ - also der Übertragung der Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG auf Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG - hat das BVerfG im Mephisto-Beschluss eine Absage erteilt. Dagegen spricht die eindeutige systematische Stellung der Kunstfreiheit nach den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG. Gleiches gilt für eine Übertragung der Schrankentrias der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, da diese gegenüber den speziellen Freiheitsrechten subsidiär ist. Du beweist Übersicht, wenn Du diese seit langem geklärte Problematik der „Schrankenleihe“ bei Art. 5 Abs. 3 GG in der Klausur - so wie hier ausgeführt - ganz knapp im Urteilsstil abhandelst.
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2. Bei Literatur oder Schauspiel können einzelne Teile der Erzählung herausgelöst und als Meinungsäußerungen qualifiziert werden. Sie unterfallen dem Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach Systematik, Historie und Telos ist die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG) lex specialis gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Sie ist kein Unterfall der Meinungsäußerungsfreiheit. Ein künstliches Aufspalten von Kunstwerken in Einzelbestandteile, die der Meinungsfreiheit unterfielen, verbietet sich. Das BVerfG führt für die vorbehaltlose Gewährleistung der Kunstfreiheit gerade auch die Erfahrungen aus der NS-Zeit an, in der „Kunst und Künstler in die völlige Abhängigkeit politisch-ideologischer Zielsetzungen versetzt oder zum Verstummen gebracht“ worden waren. Auch dies hatte den Verfassungsgeber veranlasst, die „Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit“ der Kunstfreiheit besonders zu garantieren.

3. Als vorbehaltslos gewährtes Grundrecht kann die Kunstfreiheit nicht eingeschränkt werden.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Grundrechte des GG gelten - mit Ausnahme der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) - nicht absolut, sondern können im Einzelfall eingeschränkt werden. Grundrechte mit einfachem oder qualifizierten Gesetzesvorbehalt können unter dessen jeweiligen Voraussetzungen eingeschränkt werden. Vorbehaltlos gewährte Grundrechte - wie die Kunstfreiheit - unterliegen (nur) den verfassungsimmanenten Schranken kollidierenden Verfassungsrechts. Sie sind mit kollidierenden Verfassungsgütern - also mit Grundrechten Dritter sowie sonstigen Verfassungswerten - in möglichst schonenden Ausgleich zu bringen (praktische Konkordanz). Die differenzierte Schrankensystematik des GG ist keine Selbstverständlichkeit. Die Europäische Grundrechtecharta (GRCh) unterwirft alle EU-Grundrechte einem einheitlichen Gesetzesvorbehalt (Art. 52 Abs. 1 GRCh). Für den Erfolg Deiner Klausur ist es zentral, dass Du die Schranke des einschlägigen Grundrechts zutreffend identifizierst, weil dies erhebliche Auswirkungen auf die Rechtfertigung von Eingriffen hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Kai

Kai

5.11.2024, 20:01:42

In Frage 2 heißt es: Bei Literatur oder Schauspiel können einzelne Teile der Erzählung herausgelöst und als Meinungsäußerungen qualifiziert werden. Sie unterfallen dem Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG. Als richtig wird mir hier "Stimmt nicht" angezeigt. Einzelne Teile von Literatur und Schauspiel können aber doch, sofern sie eine Meinungsäußerung enthalten, zusätzlich durch die Meinungsfreiheit geschützt sein und dann auch dem entsprechenden Schrankenvorbehalt unterfallen, oder? Oder geht es in dieser Frage vielmehr darum, deutlich zu machen, dass die

Kunstfreiheit

kein Unterfall der Meinungsfreiheit, sondern ein eigenes Grundrecht ist und daher keine "Qualifikation" stattfindet?

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

15.5.2025, 20:36:06

Hallo @[Kai](56411), theoretisch könnte man durchaus darüber nachdenken, ob man zusätzlich zur

Kunstfreiheit

auch den Schutzbereich der Meinungsfreiheit als eröffnet sehen möchte. So oder so darf man aber auf keinen Fall zu dem Ergebnis kommen, dass der Schrankenvorbehalt der Meinungsfreiheit dafür gilt. Denn das würde dazu führen, dass die starke Gewährleistung der

Kunstfreiheit

(schrankenlos) unterlaufen würde und der Staat den Künstler einfacher einschränken könnte. Generell gilt: Wenn zwei Grundrechte nebeneinander eröffnet sind, richten sich die Schranken nach demjenigen, dass sich weniger leicht einschränken lässt. Hier kommt zusätzlich noch die Spezialität der

Kunstfreiheit

gegenüber der Meinungsfreiheit hinzu, sodass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach der herrschenden Meinung schon nicht eröffnet ist und die Frage auf jeden Fall mit "Stimmt nicht" zu beantworten ist. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

AME

Amelie7

14.11.2024, 12:57:25

Ist die Problematik der

Schrankenleihe

auch bei anderen Freiheitsrechten zu erörtern? Wenn ja, bei welchen?

SM2206

SM2206

12.1.2025, 03:26:32

Zumindest die Frage, ob die Schranken des Art. 2 I GG auf dem Wortlaut nach vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte zu übertragen sind, kann man immer aufwerfen, dann aber mit einem Satz unter Hinweis auf die besondere Bedeutung, die eben in der vorbehaltlosen Gewährleistung zum Ausdruck kommt, verwerfen.

di203

di203

28.2.2025, 12:46:23

Woran liegt das eigentlich so ganz generell und rechtsphilosophisch, dass man Kunst verfassungsimmanent, aber Meinungen qualifiziert gesetzesvorbehaltlich einschränken kann? Also woher stammt diese Unterschiedung - Kunst ist ja schwerlich "wichtiger" als die Meinungsbildung /-äußerung, oder?

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

15.5.2025, 20:44:28

Hallo @[di203](256960), ich würde schon sagen, dass Kunst sozusagen eine qualifizierte Form der Meinungsäußerung ist. Denn zur Äußerung einer Meinung kommen bei der Kunst noch viele Facetten hinzu. Zudem würde ich meinen, dass Eingriffe in die künstlerische Ausdrucksfreiheit die Betroffenen härter treffen als Eingriffe in die Meinungsfreiheit, einfach weil Kunst in der Regel ein stärkerer Ausdruck der eigenen Gedanken und Sicht auf die Welt ist als eine geäußerte Meinung. Gleiches würde ich übrigens auch über die Wissenschafts-/Forschungsfreiheit sagen. Dabei handelt es sich im Wesentlichen auch um eine qualifizierte Form der Meinungsbildung und -äußerung. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team


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