Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Klassiker im Öffentlichen Recht
Voraussetzungen einer polizeilichen Meldeauflage (BVerwG, 25.07.2007)
Voraussetzungen einer polizeilichen Meldeauflage (BVerwG, 25.07.2007)
15. Mai 2025
2 Kommentare
4,7 ★ (13.606 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Der Polizei ist bekannt, dass der vorbestrafte linksextreme Gewalttäter G zum G-8-Gipfel nach Genua reisen will. Um die Begehung schwerer Gewalttaten in Italien zu verhindern, verfügt sie, dass G sich für die Dauer des Gipfels täglich bei der örtlichen Wache melden muss.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Voraussetzungen einer polizeilichen Meldeauflage (BVerwG, 25.07.2007)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 16 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die Verfügung hat sich mittlerweile durch Zeitablauf erledigt. Ist die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO) die statthafte Klageart?
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, sofern der Verwaltungsakt vor seiner Erledigung rechtswidrig war und K dadurch in seinen Rechten verletzt wurde (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Ja, in der Tat!
3. Gemäß § 17 Abs. 1 ASOG Berlin können die Ordnungsbehörde und die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren.
Ja!
4. Jede polizeiliche Maßnahme, die der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geht, kann auf die polizeiliche Generalklausel (hier § 17 Abs. 1 ASOG Berlin) gestützt werden.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. Die Anwendung der polizeirechtlichen Generalermächtigung (§ 17 Abs. 1 ASOG Berlin) auf die Meldeauflage wird durch die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG ausgeschlossen.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Jedoch schließen §§ 8 PassG, 2 Abs. 2 PersAuswG, der die Behörden zur Beschränkung des räumlichen Geltungsbereichs des Passes bzw. Ausweises ermächtigt, den Rückgriff auf die Generalklausel aus.
Nein!
7. Hier wurde die Meldeauflage zur Verhinderung der Teilnahme an einer Versammlung erlassen. Damit wird die Generalklausel durch die Spezialvorschriften des Versammlungsgesetzes verdrängt.
Nein, das ist nicht der Fall!
8. Ermächtigungen zu Grundrechtseingriffen bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit entspricht.
Ja, in der Tat!
9. Maßnahmen der Gefahrenabwehr, die auf der Grundlage der Generalermächtigung in die Freiheitsrechte der Bürger eingreifen, setzen eine konkrete Gefahrenlage voraus.
Ja!
10. Derartige Meldeauflagen werden zur Abwendung von Gewalttaten bei Großveranstaltungen standardmäßig angewendet. Deswegen war eine spezielle Ermächtigungsgrundlage erforderlich.
Nein, das ist nicht der Fall!
11. Die Meldeauflage soll G daran hindern, an einer auswärtigen Versammlung teilzunehmen. Sie greift damit in den Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) ein.
Ja, in der Tat!
12. Ein mit einer Meldeauflage verbundener Eingriff in die Versammlungsfreiheit erfordert eine spezielle Ermächtigungsgrundlage, sodass die Generalermächtigung als Grundlage für den Eingriff ausscheidet.
Nein!
13. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Generalklausel sind hier erfüllt.
Genau, so ist das!
14. Die Generalermächtigung räumt den Behörden Ermessen ein. Eine fehlerfreie Ermessensausübung erfordert insbesondere, dass die gewählte Maßnahme verhältnismäßig ist.
Ja, in der Tat!
15. Damit eine Maßnahme verhältnismäßig ist, muss sie insbesondere angemessen sein.
Ja!
16. Die Fortsetzungsfeststellungsklage des K ist begründet.
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Blackiel
27.10.2024, 14:36:24
Verstehe ich es richtig, dass § 15 I VersammlG als speziellere
Ermächtigungsgrundlagenicht greift, da aufgrund der polizeilichen Prognose, der Kläger mangels einer friedfertigen Versammlung nicht vom Art. 8 I GG geschützt wird und deshalb der Anwendungsbereich des VersammlG nicht eröffnet ist?

Wendelin Neubert
30.10.2024, 14:33:06
Danke für Deine Frage @[Blackiel](245258). Nein, das ist so nicht ganz richtig. Das BVerwG argumentiert so, dass der Erlass einer
Meldeauflagemit dem Ziel der Verhinderung der zukünftigen Versammlungsteilnahme nicht durch den Anwendungsvorrang des Versammlungsgesetzes ausgeschlossen wird, weil das Versammlungsgesetz (insb. § 15 Abs. 1 VersG) eine solche Vorfeldmaßnahme nicht regelt und deshalb keine
Sperrwirkungdahingehend entfaltet (RdNr. 30 der Entscheidung). Das könnte man unter Verweis auf den Vorfeldschutz freilich auch anders sehen; dann ist jedenfalls die Wertung von Art. 8 Abs. 1 GG im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der polizei
rechtlichen Maßnahme zu berücksichtigen. Die von Dir vorgebrachte Argumentation mit der fehlenden Friedfertigkeit der Versammlungsteilnahme und daher mit dem nicht eröffneten Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG ließe sich aber auch gut hören. Es hat sich jedenfalls durchgesetzt, gefahren
abwehrrechtliche
Meldeauflagen auch zum Schutz von zukünftigen Versammlungen als polizei
rechtliche Maßnahmen – und nicht als versammlungs
rechtliche Maßnahmen – zu qualifizieren. Problematischer an der Entscheidung ist fast noch, dass es mit Blick auf das Bestimmtheitsgebot zweifelhaft ist, die
Meldeauflageauf die
Generalklauselzu stützen. Deshalb haben immer mehr Bundesländer in ihren Landespolizeigesetzen eigenständige
Ermächtigungsgrundlagen für die
Meldeauflagen erlassen (z.B. § 29c ASOG Berlin). Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team