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VwGO
Typischerweise schnell erledigte Verwaltungsakte – Feststellungsinteresse? (BVerwG, Urteil vom 24.04.2024 - 6 C 2.22)
Typischerweise schnell erledigte Verwaltungsakte – Feststellungsinteresse? (BVerwG, Urteil vom 24.04.2024 - 6 C 2.22)
23. Juni 2025
17 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K beging früher als Hooligan verschiedene Straftaten im Zusammenhang mit Spielen des Vereins D. Am 27.04.2019 findet ein Derby zwischen D und S statt. Daher erteilt das Polizeipräsidium P dem K mit Bescheid vom selben Tag ein zeitlich begrenztes Betretungs- und Aufenthaltsverbot rund um Ds Stadion.
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Einordnung des Falls
Typischerweise schnell erledigte Verwaltungsakte – Feststellungsinteresse? (BVerwG, Urteil vom 24.04.2024 - 6 C 2.22)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 17 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Am 04.05.2019 erhebt K am zuständigen Verwaltungsgericht Klage gegen die Verfügung. Müsste zunächst der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein?
Ja, in der Tat!
2. Die Verfügung war zeitlich bis zum Abend des 27.04.2019 begrenzt und hat sich daher durch Zeitablauf erledigt (vgl. § 43 Abs. 2 VwVfG). Ist dennoch die Anfechtungsklage statthaft (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO)?
Nein!
3. Im Rahmen der Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage muss neben der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) auch ein besonderes Feststellungsinteresse vorliegen.
Genau, so ist das!
4. Zur Beurteilung, ob ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO vorliegt, haben sich verschiedene Fallgruppen herausgebildet.
Ja, in der Tat!
5. Anfang Mai bringt P in Erfahrung, dass K nicht mehr als Hooligan „aktiv“ ist, was tatsächlich der Fall ist. Besteht damit Wiederholungsgefahr bezüglich der Maßnahme vom 27.04.2019?
Nein!
6. Hat K die Absicht zum Ausdruck gebracht, einen Schadensersatzanspruch geltend machen zu wollen?
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Das Aufenthalts- und Betretungsverbot knüpft an die objektive Verursachung einer Gefahr, nicht an eine Schuld des Störers (K) an. Hat das Verbot damit eine generell stigmatisierende Wirkung, aus der sich Ks Rehabilitationsinteresse ergibt?
Nein, das trifft nicht zu!
8. Ks Feststellungsinteresse könnte sich daraus ergeben, dass P durch eine sich typischerweise kurzfristig erledigte Maßnahme (schwerwiegend) in seine Grundrechte eingegriffen hat.
Ja!
9. Nach dem BVerwG ist § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO eine begrenzte Ausnahmeregelung. Spricht dies dafür, dass eine Fortsetzungsfeststellungsklage gerade nicht allein deswegen zulässig sein kann, weil sich der Verwaltungsakt typischerweise schnell erledigt?
Genau, so ist das!
10. Würde man auf das zusätzliche Erfordernis eines „qualifizierten Grundrechtseingriffs“ verzichten, wäre Ks Feststellungsinteresse zu bejahen.
Ja, in der Tat!
11. Könnte man für die Ansicht des BVerwG argumentieren, dass der Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG) nicht danach unterscheidet, wie „schwer“ der Staat in ein Grundrecht eingegriffen hat?
Nein!
12. Wenn man annimmt, dass die Zulässigkeit eines Rechtsschutzbegehrens generell vom Vorliegen eines schutzwürdigen Interesses des Betroffenen abhängt, so ist die Ansicht des BVerwG mit Art. 19 Abs. 1 S. 4 GG vereinbar.
Genau, so ist das!
13. K führt gegen die Ansicht des BVerwG an, dass es für ihn als Kläger unmöglich zu erkennen sei, nach welchen Kriterien der qualifizierte Grundrechtseingriff bestimmt wird. Ist eine solche Unbestimmtheit in jedem Fall verfassungswidrig?
Nein, das trifft nicht zu!
14. Es kommt zunächst darauf an, in welchen Grundrechten K beeinträchtigt ist. Hat das räumlich eng begrenzte Verbot den Schutzbereich von Ks Grundrechte aus Art. 11 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG berührt?
Nein!
15. K war durch die Maßnahme jedenfalls in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit beeinträchtigt. Ist ein solcher Eingriff von vornherein immer besonders schwerwiegend?
Nein, das ist nicht der Fall!
16. Ks berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Betretungs- und Aufenthaltsverbots bestünde (nach Ansicht des BVerwG) nur, wenn das untersagte Verhalten eine gesteigerte Relevanz für Ks Persönlichkeitsentfaltung hätte.
Ja, in der Tat!
17. K hat demnach kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verbots. Ist Ks Klage zulässig?
Nein!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Whale
3.12.2024, 18:52:33
Ich habe eine Frage zu folgendem Satz: "Zudem habe P erklärt, er werde mit Blick auf die Wohlverhaltensperiode des Klägers (...) keine weiteren vergleichbaren Maßnahmen ergreifen." Dürfte man in der Klausur so sicher davon ausgehen, dass wirklich keine Wiederholungsgefahr mehr besteht, da keine im Wesentlichen gleichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände mehr bestehen, die eine Wiederholung der Maßnahme befürchten lassen? Handelt es sich bei der Aussage des P um eine Art Zusicherung? Welchen rechtlichen Gehalt hat sein "Versprechen"? Inwiefern darf man sich als Bürger:in auf solche Aussagen stützen? Des Weiteren habe ich zu diesem Satz eine Frage: "Zudem dürfe auf subjektive Gesichtspunkte, wie etwa den gesteigerten Erlebniswert der Fußballbegegnung gerade für K nicht abgestellt werden." Weshalb kann man hier nicht auf den gesteigerten Erlebniswert für eine mit Schutzgütern der übrigen Grundrechte vergleichbare Relevanz für die Persönlichkeitsentfaltung des Betroffenen ausgehen, um die
Erheblichkeitsschwellefür einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff, wie vom BVerwG gefordert, zu erreichen?

Sebastian Schmitt
6.1.2025, 10:21:39
Hallo @[Whale](252844), zu Deiner ersten Frage: Welche praktische und/oder Klausurrelevanz ein solcher Satz hat, lässt sich kaum abstrakt beantworten. Das BVerwG zieht diese Aussage auch iR des Urteils nicht allein, sondern lediglich unterstützend heran (NVwZ 2024, 1027, 1029, Rn 17). Es kommt also sicherlich darauf an, in welche Richtung die sonstigen Umstände des Sachverhalts deuten. Entsprechendes gilt für den rechtlichen Gehalt. Für eine rechtlich verbindliche "Zusicherung" iSd § 38 VwVfG wäre ua nach § 38 I 1 VwVfG die Schriftform erforderlich, über die wir nichts wissen. Im Originalfall heißt es nur, der Beklagte habe "erklärt", was ebenfalls gegen rechtliche Verbindlichkeit spricht. Eventuell handelt es sich also nur um eine formlose Mitteilung oder um eine Aussage iRd gerichtlichen Verfahrens ohne
Rechtsbindungswillen. Das Maß an Vertrauen, das man als Bürger in eine solche Aussage berechtigterweise haben darf, hängt dann natürlich entscheidend von dieser Einordnung ab. Zu Deiner zweiten Frage stellt das BVerwG maßgeblich darauf ab, dass durch die Berücksichtigung subjektiver Kriterien doch wieder die umfassende gerichtliche Klärung erledigter VA drohen könnte: "Auf subjektive Gesichtspunkte wie etwa den gesteigerten Erlebniswert der in Rede stehenden Fußballbegegnung und ihrer Begleitveranstaltungen gerade für den Kl. kann hierbei nicht abgestellt werden. Damit der sich aus dem Wortlaut des § 113 I 4 VwGO und dem systematischen Zusammenhang mit § 42 VwGO ergebende Grundsatz, dass die Verwaltungsgerichte nur ausnahmsweise für die Überprüfung erledigter Verwaltungsakte in Anspruch genommen werden können, nicht unterlaufen wird, ist vielmehr ein objektiver Maßstab anzulegen." (NVwZ 2024, 1027, 1032, Rn 42) Im Hintergrund spielt aber sicherlich eine Rolle, dass es sich insgesamt um einen vergleichsweise "leichten" Eingriff handelte - denn welcher Grundrechtseingriff soll schon sonst "nicht schwerwiegend" sein, wenn nicht einer (nur!) in die allg Handlungsfreiheit, dazu noch mit einer zeitlich und örtlich sehr beschränkten Maßnahme? Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
buttiful
3.12.2024, 19:34:51
hallo, Der Fall wurde bei uns an der uni bei der simulation einer mündlichen Prüfung abgefragt. Der Prüfer wollte explizit wissen, was der unterschied zwischen den in der Überschrift genannten Begriffen ist, vielleicht könnte mir jemand das nochmal erklären bzw. das als Hinweis aufgenommen wird (Sieht ja so als würde es den Prüfern darauf ankommen). Daran wurde ja in der Entscheidung über den 19 IV 1 GG also den effektiven Rechtsschutz, entschieden. Vielen Dank im Voraus!
Florian
11.12.2024, 19:29:30
Nach meinem Verständnis (ohne die Entscheidung gelesen zu haben) ist Normklarheit dann gegeben, wenn sich schon aus der Norm selbst ihr Inhalt ergibt. Bestimmtheit ist dann gegeben, wenn (etwa durch die Rechtsprechung) eine
Konkretisierungdes Norminhalts mit Blick auf den Wortlaut erfolgen konnte.

schwemmely
2.5.2025, 18:45:52
Ich habe ua. das jetzt mal gefunden, Was den Unterschied auf der 3. Seite kurz formuliert: https://www.bundestag.de/resource/blob/822430/731fb9782ae96f8f6bdbccce38782b29/wd-3-290-20-pdf-data.pdf die Normenklarheit verlangt, dass die rechtlichen Bestimmungen (sprachlich) klar und eindeutig formuliert sind, dh. verständlich und widerspruchsfrei. ->Hierbei kommt es auf den Horizont des (durchschnittlichen) Normadressaten an.(hier muss der Bürger die Norm auch verstehen) die Normenbestimmtheit fordert eine ausreichende Bestimmung der rechtlichen Regelungen, um eine vorhersehbare Anwendbarkeit zu gewährleisten ->stellt sicher, dass die Norm nicht zu offen oder zu allgemein ist, so dass sie zu willkürlichen oder unkontrollierbaren Entscheidungen führen könnte ->Hier reicht es wenn der professionelle Rechtsanwender die Norm versteht Normenklarheit = äußere Qualität Normenbestimmtheit = innere Qualität Vill. hilft das auch noch weiter :)) LG

kithorx
25.1.2025, 05:18:07
Hochwertig aufgearbeiteter Fall! Insbesondere die Fragestellungen sind mir hier positiv ins Auge gefallen - diese finde ich hier besonders kreativ, nicht so "vorhersehbar" und man muss teils erst um die Ecke denken.

Wendelin Neubert
29.1.2025, 09:53:35
Hallo kithorx, vielen Dank für dein Lob! Deine positive Rückmeldung motiviert uns, weiterhin unser Bestes zu geben. Beste Grüße, Wendelin Neubert, für das Jurafuchs-Team
sparfüchsin
29.5.2025, 13:08:41
Ich empfinde es genau anders herum. Die Fragestellungen helfen mir oft, sie entwickeln den Fall sozusagen und mir ist klar, warum diese oder jene Frage als Nächstes gestellt wird. Hier empfand ich es genau andersrum. Ich habe nicht gut verstanden, was die Frage mir sagen will, wo ich hin soll oder was genau geprüft wird. Aber dann scheint das wohl Ansichtssache zu sein :)
okalinkk
16.5.2025, 13:12:25
in eurer Grundrechtseinheit zu
Art 2 II 2 GGhabt ihr ausgeführt, dass es strittig ist, wie der Begriff der “Freiheit” zu verstehen ist: Nach der von euch als “Mindermeinung” dargestellten Ansicht soll die
Freiheit der Personnur als "
Fortbewegungsfreiheit" zu verstehen sein. Sie solle somit lediglich das Recht schützen, einen Ort ohne Zwang verlassen zu können, nicht jedoch das Recht, einen beliebigen (rechtlich und tatsächlich zugänglichen) Ort aufzusuchen und sich dort aufzuhalten. Hingegen soll laut BVerfG und h.L. (weites Verständnis) Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG auch die Freiheit schuetzen, einen (rechtlich und tatsächlich zugänglichen) Ort oder Raum aufzusuchen, sich dort aufzuhalten oder ihn zu verlassen. Dafür spreche, dass Art. 104 GG zwischen Freiheitsbeschränkungen und Freiheitsentziehungen unterscheide, sodass der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG sich nicht nur auf den Schutz vor Freiheitsentziehungen beschränken koenne. Ein
Platzverweisstellte nach eurer Ansicht (BVerfG und HL) ein Eingriff in
Art 2 II 2 GGdar. Wieso soll dies nun bei dem
Aufenthaltsverbotanders sein?