Verwertung der Vernehmung im Ermittlungsverfahren bei Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO (§ 252 StPO)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A wird vor dem Landgericht angeklagt. Sein Bruder B belastet ihn in einer ordnungsgemäßen polizeilichen Vernehmung. Im Prozess beruft B sich aber auf sein Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO). Polizist P, der B vernommen hatte, wird über Bs Aussage vernommen und A daraufhin verurteilt.

Einordnung des Falls

Verwertung der Vernehmung im Ermittlungsverfahren bei Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO (§ 252 StPO)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Vernehmung des P über Bs Aussage verstößt gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz (§ 250 StPO).

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Nein!

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen (§ 250 S. 1 StPO). Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des Vernehmungsprotokolls ersetzt werden (§ 250 S. 2 StPO).Zwar darf Bs Aussage nicht durch Verlesung eines Vernehmungsprotokolls ersetzt werden. Die Vernehmung des P als Zeuge vom Hörensagen fällt aber nicht unter die Norm, da P nicht von den Wahrnehmungen Bs, sondern von seinen eigenen Wahrnehmungen in der Vernehmung berichtet. Er ist also selbst unmittelbares Beweismittel. § 250 StPO enthält keinen allgemeinen Grundsatz, dass nur das sachnächste Beweismittel benutzt werden darf, also der Zeuge, der den Sachverhalt selbst wahrgenommen hat. Die Norm steht der Vernehmung Vs daher nicht entgegen.

2. Die Vernehmung Vs steht auch im Einklang mit § 252 StPO, da die Norm nur die Verlesung des Vernehmungsprotokolls verbietet.

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Nein, das ist nicht der Fall!

§ 252 StPO normiert explizit zwar nur, dass die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen nicht verlesen werden darf. Die Norm schützt das Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen aber umfassend. Der Schutz würde ausgehöhlt, wenn eine Vernehmung auf andere Weise als die Verlesung Eingang in den Prozess finden könnte. Es ist deshalb anerkannt, dass die Norm über ihren Wortlaut hinaus jegliche Einführung der Aussage in den Prozess umfasst, wozu grundsätzlich auch die Vernehmung des Vernehmungsbeamten als Zeuge zählt.Die Vernehmung Ps über die Aussage des B verstößt deshalb gegen § 252 StPO.Ein weiteres Argument hierfür ist, dass § 252 StPO, verstanden als reines Verlesungsverbot, nicht über den Gehalt des § 250 StPO hinausginge und damit überflüssig wäre.

3. A ist durch die Verletzung des § 252 StPO auch beschwert.

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Ja, in der Tat!

Der Angeklagte ist beschwert, wenn er durch den Verfahrensverstoß in seinem Rechtskreis betroffen ist.§ 252 StPO schützt Bs Zeugnisverweigerungsrecht und damit in erster Linie ihn. Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO schützt die Familienbande aber gerade auch zugunsten des Angeklagten. Damit kann auch A sich auf die Verletzung des § 252 StPO berufen.

4. A ist jedoch mit der Rüge der Verletzung des § 252 StPO präkludiert, da er der Verwertung der Aussage des P nicht schon in der Hauptverhandlung widersprochen hat.

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Nein!

Es ist nicht erforderlich, dass der Verwertung in der Hauptverhandlung widersprochen wird. Hinter der Widerspruchslösung steht der Gedanke, dass der Angeklagte über seine Verfahrensrechte frei disponieren kann. § 252 StPO knüpft aber an das Zeugnisverweigerungsrecht an, welches gerade dem Zeugen zusteht. Der Angeklagte kann über die Verwertung nicht disponieren, dies steht nur dem Zeugen zu. Auch der Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO bedarf es nicht, da die Rüge dann nicht erhoben werden muss, wenn dem Vorsitzenden kein Entscheidungsspielraum eröffnet ist. Denn § 238 Abs. 2 StPO soll gerade das Ermessen des Spruchkörpers als Ganzes aktivieren. § 252 StPO eröffnet aber keinen Ermessensspielraum.Auch ohne vorherige Rüge kann A somit die Verwertung der Aussage des V in der Revision geltend machen.

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