+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A wird vor dem Landgericht verurteilt, weil er von Oktober bis November 2014 mehrfach Betäubungsmittel an G verkaufte. Beisitzer B meldet kurz darauf dem Vorsitzenden, dass er als Staatsanwalt an - nunmehr eingestellten - Verfahren gearbeitet hatte, in denen A bis zum August 2014 Betäubungsmittel an G verkauft hatte.
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Einordnung des Falls
Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters, § 22 Nr. 4 StPO
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A kann erfolgreich in Revision gehen, wenn B in der Sache zuvor als Staatsanwalt tätig war (§ 22 Nr. 4 StPO).
Ja, in der Tat!
Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn am Urteil ein Richter mitgewirkt hat, der gemäß § 22 StPO kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist. Dies ist etwa der Fall, wenn er in der Sache als Beamter der Staatsanwaltschaft, als Polizeibeamter, als Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig gewesen ist (§ 22 Nr. 4 StPO). In diesem Fall besteht die Gefahr, dass der Richter der Sache nicht mit der gebotenen Distanz eines Unbeteiligten gegenübersteht, der am Ausgang des Verfahrens uninteressiert ist.
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2. Die Revision scheitert aber schon daran, dass A kein Ablehnungsgesuch gegen B nach § 24 Abs. 1 StPO stellte.
Nein!
Der Ausschluss der Gerichtsperson nach § 22 StPO tritt kraft Gesetzes ein und zwar unabhängig davon, ob der Ausschlussgrund den Beteiligten bekannt ist. Unerheblich ist auch, ob der Richter sich selbst befangen fühlt oder oder ob die Prozessbeteiligten mit dem Ausschluss einverstanden sind.
Das Gericht muss die Ausschlussgründe von Amts wegen beachten, es bedarf also keines Antrags. Die Beteiligten können aber trotzdem ein Ablehnungsgesuch nach § 24 Abs. 1 StPO stellen, wenn ein Ausschlussgrund vorliegt. Dieser hat zwar nur deklaratorische Bedeutung, zwingt das Gericht aber, sich mit dem Ausschlussgrund zu beschäftigen.
3. In der „Sache” ist B nur tätig gewesen, wenn es sich bei den abgeurteilten und den eingestellten Taten um eine prozessuale Tat handelt (§ 264 StPO).
Nein, das ist nicht der Fall!
Der Begriff der „Sache” im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO ist weit auszulegen. Denn § 22 StPO will schon den bloßen Schein der Parteilichkeit verhindern. „Sache” ist so grundsätzlich das Verfahren, welches die strafrechtliche Verfolgung einer bestimmten Straftat zum Gegenstand hat. Es kommt auf die Identität des historischen Ereignisses an, um dessen Aufklärung es zur Zeit der früheren Tätigkeit ging. Auch bei mehreren prozessualen Taten im Sinne des § 264 StPO kann eine Sache vorliegen, wenn sie in einem Prozess verhandelt werden oder wenn sie in engem, für das Urteil bedeutsamem Sachzusammenhang stehen.
4. Es liegt ein Verfahrensfehler vor, da B in der Sache zuvor als Staatsanwalt tätig war (§ 22 Nr. 4 StPO).
Ja, in der Tat!
„Sache” ist das Verfahren, welches die strafrechtliche Verfolgung einer bestimmten Straftat zum Gegenstand hat. Es kommt auf die Identität des historischen Ereignisses an. Auch bei mehreren prozessualen Taten im Sinne des § 264 StPO kann eine Sache vorliegen, wenn sie in einem Prozess verhandelt werden oder wenn sie in engem, für das Urteil bedeutsamem Sachzusammenhang stehen. Zwischen den abgeurteilten Taten und den Taten, wegen derer B zuvor ermittelt hatte, besteht ein enger Sachzusammenhang. Beide Komplexe betreffen unmittelbar aufeinanderfolgende Tatzeiträume, in denen A fortlaufend Betäubungsmittel an G verkaufte. Beide Zeitabschnitte stellen sich so als eng miteinander verknüpfte Vorgänge dar, die nicht völlig getrennt bewertet werden können.
5. Gemäß § 338 Nr. 1 StPO wird vermutet, dass das Urteil auf der fehlerhaften Beteiligung des B beruht.
Nein!
Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (§ 338 Nr. 1 StPO).
Das Gericht ist zwar falsch besetzt, da B als Beisitzer nicht an der Hauptverhandlung hätte teilnehmen dürfen. Für die Fälle des Ausschlusses kraft Gesetzes trifft § 338 Nr. 2 StPO jedoch eine Spezialregelung. § 338 Nr. 1 StPO ist auf den vorliegenden Fall hingegen nicht anwendbar.
Dies ist gerade im Hinblick darauf bedeutsam, dass die Möglichkeit der Rügepräklusion des § 338 Nr. 1 StPO in den Fällen der §§ 22, 23 StPO nicht besteht.