Öffentliches Recht

VwGO

Widerspruchsverfahren

Kein Vorverfahren: § 68 Abs. 1 S. 2 HS. 1 VwGO (Ausschluss durch Landesrecht)

Kein Vorverfahren: § 68 Abs. 1 S. 2 HS. 1 VwGO (Ausschluss durch Landesrecht)

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

H betreibt im Norden Niedersachsens das Hotel und Restaurant „Wattenkieker“. Die zuständige Behörde B widerruft aus heiterem Himmel Hs Gaststättenerlaubnis. H fragt Anwältin A, was H jetzt tun kann.

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Einordnung des Falls

Kein Vorverfahren: § 68 Abs. 1 S. 2 HS. 1 VwGO (Ausschluss durch Landesrecht)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Widerruf ist ein belastender Verwaltungsakt. Wäre daher grundsätzlich an einen Anfechtungswiderspruch (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO) zu denken?

Ja, in der Tat!

Begehrt der Rechtsschutzsuchende die Aufhebung eines Verwaltungsakts, ist an die Anfechtungsklage zu denken (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Vor der Erhebung der Anfechtungsklage muss der Rechtsschutzsuchende grundsätzlich gemäß § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO erfolglos ein Vorverfahren durchgeführt haben.B hat Hs Gaststättenerlaubnis (= Begünstigung) widerrufen. Der Widerruf ist ein Verwaltungsakt Hs Rechtsschutzziel ist, dass die Gaststättenerlaubnis wieder wirksam ist. Dies erreicht H damit, dass H den Widerrufsbescheid anficht. Es wäre daher grundsätzlich an ein Vorverfahren zu denken, welches den Widerrufsbescheid zum Gegenstand hat (§ 68 Abs. 1 S. 1 VwGO).
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2. Ein Vorverfahren kann – entgegen dem Grundsatz aus §§ 68 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO – entbehrlich sein.

Ja!

§§ 68 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO regeln, dass vor Erhebung der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage grundsätzlich ein Vorverfahren (§§ 68ff. VwGO) durchzuführen ist. Es kann jedoch Ausnahmen von diesem Grundsatz geben. Nach § 68 Abs. 1 S. 2 HS. 1 VwGO bedarf es keines Vorverfahrens, wenn ein Gesetz dies bestimmt. Für das Bundesrecht wirkt dieser Ausschluss des Vorverfahrens – wegen der lex specialis-Regel – nur deklaratorisch. Landesrechtliche abweichende Regelung finden auf alle Verwaltungsverfahren Anwendung, für die das Land zuständig ist. Die Norm ermöglicht nicht nur den völligen Ausschluss des Vorverfahrens, sondern auch eine reine Einschränkung.

3. In Niedersachsen ist das Vorverfahren nach § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 80 NJG grundsätzlich immer durchzuführen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 68 Abs. 1 S. 2 HS. 1 VwGO bedarf es keines Vorverfahrens, wenn ein Gesetz dies bestimmt. Die Länder haben besonders intensiven Gebrauch von dieser Öffnungsklausel gemacht. So auch Niedersachsen: Grundsätzlich bedarf es in Niedersachsen keiner Durchführung eines Vorverfahrens vor Erhebung der Anfechtungsklage (§ 80 Abs. 1 S. 1 NJG). § 80 Abs. 2, Abs. 3 NJG regelt wiederum Fälle (als Rückausnahme von § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO), in denen ein Vorverfahren dann doch wieder durchzuführen ist. Das Vorverfahren ist mittlerweile in den meisten Bundesländern (zumindest teilweise) abgeschafft. In einigen Bundesländern (z.B. Berlin, Brandenburg und Saarland) wird grundsätzlich am Vorverfahren festgehalten. Es gibt lediglich fachspezifische Bereichsausnahmen. § 80 NJG dient hier als ein Beispiel. Die Länder haben von § 68 Abs. 1 S. 2 HS. 1 VwGO ganz verschieden Gebrauch gemacht. Schaue Dir einmal die für dein Bundesland einschlägigen Normen an!

4. Hs Anfechtungsklage wäre auch ohne die erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens statthaft (§ 68 Abs. 1 S. 2 HS. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 NJG). Könnte H dennoch zulässigerweise einen Widerspruch bei B einlegen?

Nein, das trifft nicht zu!

Von der Frage der Notwendigkeit eines Vorverfahrens (i.S.e. Sachurteilsvoraussetzung für die verwaltungsrechtliche Klage) ist die Frage der Statthaftigkeit des Widerspruchsverfahrens zu trennen. Anders gesagt: Bleibt die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens weiterhin möglich, auch wenn es nicht nötig ist? Hier kommt es auf die konkrete Ausschlussform an: In der Regel führt ein gesetzlicher Ausschluss dazu, dass der Widerspruchsverfahren auch unstatthaft wird. Einige landesrechtliche Normen (wie z.B. Art. 12 Abs. 1 S. 1 BayAGVwGO) enthalten aber die Möglichkeit eines sog. fakultativen Widerspruchs für bestimmte Bereiche. In diesen Fällen steht es dem Bürger offen, ob er zunächst ein Widerspruchsverfahren durchführen lassen oder direkt Klage erheben will. In Niedersachsen ist der Widerspruch grundsätzlich unstatthaft. In Hs Fall ist keine Ausnahme ersichtlich. H steht nur der Klageweg offen.
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