Examensrelevante Rechtsprechung: Rücktritt vom gemeinschaftlichen Mordversuch - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Das unwissende Opfer L gerät in eine Falle, die ihm drei Täter gestellt haben. C täuscht einen Schock vor, während A und B hinter L ihm aufmuntern.

A, B und C planen, L zu töten. C soll L ablenken, A und B ihn von hinten erschlagen. C täuscht einen Schock vor, woraufhin sich L zu ihm beugt. A überlegt es sich anders. Er lässt den verborgenen Hammer in sein Hosenbein rutschen, wo er ihn nicht mehr ergreifen kann. Er weiß nicht, dass B seinen Hammer in der Umhängetasche gelassen hat und ebenfalls nicht zuschlagen kann. L passiert nichts.

Einordnung des Falls

Der nachfolgenden Entscheidung des BGH lag der Mordversuch dreier Jugendliche an ihrem Lehrer zugrunde. Nahezu lehrbuchhaft lässt sich an ihr die Frage nachvollziehen, wann bei mittäterschaftlicher Tatbegehung der Übergang vom Vorbereitungsstadium zum Versuch erfolgt und unter welchen Voraussetzungen ein Mittäter von der gemeinschaftlichen Handlung zurücktreten kann.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Könnte sich A, indem er mit dem Hammer hinter L getreten ist, des versuchten mittäterschaftlichen Mordes strafbar gemacht haben (§§ 211, 25 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB)?

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Genau, so ist das!

§ 211 StGB setzt voraus, dass der Täter vorsätzlich den Tod eines anderen Menschen herbeiführt. Zusätzlich muss (mindestens) ein Mordmerkmal erfüllt sein. Auch der Versuch ist strafbar (§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).A und B wollten L unter Ausnutzung seiner Arg- und Wehrlosigkeit heimtückisch töten, sie hatten also Tatentschluss hinsichtlich eines Mordes (§ 211 Abs. 1, 2 Gruppe 2 Var. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB). L ist nicht gestorben, sodass ein strafbarer Versuch in Betracht kommt.

2. Genügt es bei Mittätern für das unmittelbare Ansetzen (§ 22 StGB), wenn einer der Mittäter tatplangemäß unmittelbar zur Tatbestandsverwirklich ansetzt?

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Ja, in der Tat!

Mittäter treten einheitlich in das Versuchsstadium ein, wenn einer der Mittäter absprachegemäß zur tatbestandlichen Ausführungshandlung unmittelbar ansetzt. Ein unmittelbares Ansetzen (§ 22 StGB) liegt bei Handlungen vor, die nach der Tätervorstellung in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Dies ist der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum ‚Jetzt geht es los‘ überschreitet und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne wesentliche Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht.

3. Hat A bereits unmittelbar zum mittäterschaftlichen Mordversuch angesetzt (§ 22 StGB)?

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Ja!

BGH: Nach seiner Vorstellung setzte A spätestens dann unmittelbar an, als er sich bei L positionierte, um diesen zu erschlagen. Die Mittäter hatten ihre Falle vollständig und erfolgreich gestellt. Der Tatbegehung hätten danach keine Hindernisse mehr entgegengestanden. Vielmehr sollten L nach dessen Hinabbeugen die tödlichen Hammerschläge versetzt werden und das Tun der Mittäter ohne weitere Zwischenakte in die Tatbestandsverwirklichung einmünden. (RdNr. 18)Der BGH hatte es insbesondere verworfen, in dem Herausziehen des Hammers einen gesonderten Zwischenakt zu sehen (RdNr. 19).

4. Ist ein Rücktritt nur möglich, wenn alle Mittäter gemeinsam zurücktreten?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Beim Rücktritt handelt es sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. Er wird deshalb für jeden Tatbeteiligten gesondert zu prüfen und wirkt nur für denjenigen, der die Rücktrittsvoraussetzungen selbst erfüllt.Bei arbeitsteiligem Vorgehen bietet sich grundsätzlich eine gemeinsame Prüfung der Mittäter an. Anders ist dies, wenn - wie hier - ein persönlicher Strafaufhebungsgrund in Betracht kommt (Rücktritt). Da dieser nur für den jeweiligen Täter gilt, ist eine unterschiedliche Strafbarkeit der Täter möglich ist. In diesem Fall solltest Du die Mittäter in der Klausur separat prüfen.

5. War der Versuch nach As Vorstellung fehlgeschlagen, sodass ein Rücktritt nicht mehr in Betracht kommt?

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Rücktritt (§ 24 StGB) hat drei Voraussetzungen: (1) Der Versuch darf nicht fehlgeschlagen sein und (2) der Täter muss die jeweiligen Anforderungen für sein Rücktrittsverhalten (§ 24 StGB) (3) freiwillig erfüllen. Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Erfolgseintritt nach der letzten Ausführungshandlung im unmittelbaren Handlungsfortgang und mit nahe liegenden Mitteln objektiv nicht mehr möglich ist und der Täter dies erkennt oder wenn der Täter den Erfolg subjektiv nicht mehr für möglich hält.A ging davon aus, dass B die Tat noch vollenden kann. Nach seiner subjektiven Sicht war der Versuch damit nicht fehlgeschlagen.Irrelvant ist es, dass B objektiv die Tat nicht vollenden konnte, weil er seinen Hammer weit entfernt liegen hatte.

6. Richten sich die Anforderungen an das Rücktrittsverhalten des A nach § 24 Abs. 1 StGB?

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Nein!

§ 24 Abs. 1 StGB regelt die Rücktrittsvoraussetzungen für Alleintäter; § 24 Abs. 2 StGB regelt den Rücktritt mehrerer Tatbeteiligter. § 24 Abs. 2 S. 1 StGB verlangt – egal ob der Versuch beendet oder unbeendet ist – die bewusste Verhinderung der Tatvollendung. Wird die Tat ohne Zutun des Täters nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen, genügt für die Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern (§ 24 Abs. 2 S. 2 StGB).A handelte gemeinsam mit B und C. Ein Rücktritt setzt also eine Rücktrittshandlung nach § 24 Abs. 2 StGB voraus.

7. Setzt die Verhinderung der Tatvollendung iSv § 24 Abs. 2 S. 1 StGB stets aktives Tun voraus?

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Nein, das ist nicht der Fall!

BGH: Für § 24 Abs. 2 S. 1 StGB gelte dasselbe wie für den Rücktritt vom beendeten Versuch. Das Verhalten des Zurücktretenden müsse für das Ausbleiben der Vollendung zumindest mitursächlich sein, es könne aber auch in einem schlichten Unterlassen liegen, wenn nach der Tätervorstellung die Tat ohne ihn nicht zu verwirklichen ist, etwa wenn nur er über erforderliche Fertigkeiten verfügt. Gehe der Täter hingegen von der Gefahr der Tatvollendung durch die übrigen Mittäter aus, bedürfe es wie bei § 24 Abs. 1 Alt. 2 StGB eines auf die Erfolgsabwendung gerichteten aktiven Tuns (RdNr. 22).

8. B konnte objektiv die Tat ohne As Zutun nicht vollenden, da er seinen Hammer in der Tasche gelassen hatte. Ist A dadurch, dass er den Hammer in sein Hosenbein rutschen ließ, vom Mordversuch zurückgetreten?

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Nein, das trifft nicht zu!

Für die Prüfung des Fehlschlags und des erforderlichen Rücktrittsverhaltens kommt es nicht auf die objektive Lage an. Vielmehr ist stets die subjektive Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung entscheidend (sog. Rücktrittshorizont). A ging nicht davon aus, dass die Tat dadurch verhindert sei, dass er seinen Hammer herunterrutschen ließ. Denn nach seiner Vorstellung hatte B noch seinen Hammer zur Verfügung und konnte auf L einschlagen. Dass die Situation objektiv anders war als A dachte, spielt für den Rücktritt keine Rolle. BGH: Mit Blick auf die aus Sicht des A drohende Gefahr durch B sei er untätig geblieben und habe keine neue Kausalkette in Gang gesetzt.

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