Strafrecht
Examensrelevante Rechtsprechung SR
Entscheidungen von 2021
Versuch einer erfolgsqualifizierten Straftat auch ohne schwere Folge strafbar
Versuch einer erfolgsqualifizierten Straftat auch ohne schwere Folge strafbar
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A will B töten. B schläft im Schlafzimmer seines Hauses, das er mit seiner Familie bewohnt. A nimmt eine mit Benzin befüllte Flasche, zündet eine darin steckende Lunte an und wirft die Flasche durch das offene Schlafzimmerfenster. A weiß und billigt, dass B schlafend im Bett liegt und dass er die Wirkung des Brandsatzes von nun an nicht mehr beherrschen zu können. Ein Feuer entzündet sich nicht.
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Einordnung des Falls
Der BGH hat ein Urteil über den Versuch von erfolgsqualifizierten Straftaten erlassen. Das Gericht klärte, dass ein Versuch einer erfolgsqualifizierten Straftat, wie Brandstiftung mit tödlichen Folgen, auch dann vorliegen kann, wenn die Grundtat im Versuchsstadium bleibt und die beabsichtigte schwere Folge nicht eintritt. Das Urteil hebt die verschiedenen Formen von Versuchen bei erfolgsqualifizierten Straftaten hervor, einschließlich des erfolgsqualifizierten Versuchs und des Versuchs der Erfolgsqualifikation.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat A sich durch den Benzinflaschenwurf wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht (§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat A sich auch wegen versuchten Mordes (Heimtücke, gemeingefährliche Mittel) zulasten des B strafbar gemacht (§§ 211 Abs. 1, 2 Var. 5, 7, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Ja!
3. Hat A sich zudem wegen versuchter schwerer Brandstiftung strafbar gemacht (§ 306a Abs. 1 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Genau, so ist das!
4. Hat A sich schließlich auch wegen vollendeter Brandstiftung mit Todesfolge strafbar gemacht (§ 306c StGB)?
Nein, das trifft nicht zu!
5. Scheidet eine Versuchsstrafbarkeit bei Erfolgsqualifikationen grundsätzlich aus?
Nein!
6. Gibt es fünf verschiedene Formen der Versuchsstrafbarkeit bei Erfolgsqualifikationen?
Nein, das ist nicht der Fall!
7. Wird eine Strafbarkeit in der dritten Konstellation – Grunddelikt und qualifizierter Erfolg sind nur versucht – aus der versuchten Erfolgsqualifikation vom BGH abgelehnt?
Nein, das trifft nicht zu!
8. Sprechen für eine Versuchsstrafbarkeit in Fällen Wortlaut und Systematik?
Ja!
9. Sprechen Sinn und Zweck der Versuchsregeln gegen eine Versuchsstrafbarkeit?
Nein, das ist nicht der Fall!
10. Hat sich A wegen versuchter Brandstiftung mit Todesfolge strafbar gemacht (§§ 306c, 22, 23 Abs. 1 StGB)?
Ja, in der Tat!
11. Wird die versuchte Brandstiftung mit Todesfolge (§§ 306c, 22, 23 Abs. 1 StGB) vom versuchten Mord auf Konkurrenzebene verdrängt?
Nein!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Rick-energie🦦
28.3.2023, 08:05:35
Klarstellungsbedürfnis wg der ebenfalls versuchten Sachbeschädigung und konkreten Gefährdung?
cann1311
28.3.2023, 08:53:44
Denke einfach weil sich ein ganz anderes Unrecht realisiert hat.
Nora Mommsen
4.7.2023, 10:05:08
Hallo Rick-dich, und danke cann1311 für deine Antwort. Genauso ist es - mit dem Brandanschlag hat sich ein ganz anderes Unrecht realisiert, als "nur" durch Totschlag. Die Gefährlichkeit einer (auch nur versuchten) Brandstiftung ist wegen der Unkontrollierbarkeit von Feuer um ein vielfaches höher, als der Tötungsversuch einer Person mit anderen Mitteln. Dies zeigt auch die hohe Strafan
drohungder
Brandstiftungsdelikte. Aus diesem Grund tritt er nicht zurück, sondern bleibt zur Klarstellung daneben stehen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
David
10.1.2024, 08:46:42
Ich weiß, der Kommentar ist bereits etwa älter. Mir stellt sich jetzt aber die Frage, wieso sich den „ein ganz anderes Unrecht verwirklicht“. Zwar kommt im versuchten Totschlag nicht die besondere Gefährlichkeit des Mittels zum Ausdruck. Bejaht wurde allerdings auch der versuchte Mord wegen Heimtücke und einem
gemeingefährlichen Mittel. Mit Ausnahme von § 306 I StGB drücken alle
Brandstiftungsdeliktedie besondere
Gemeingefährlichkeit aus, wofür sogar die Überschrift des 28. Abschnitts spricht. Deshalb leuchtet mir das zusätzliche Klarstellungsbedürfnis nicht wirklich ein.
kaan00
29.1.2024, 09:52:15
Stimmt, gute Frage
leeoon
18.4.2023, 14:09:39
Examenstreffer Berlin 2023/I
Lukas_Mengestu
18.4.2023, 15:57:34
Vielen Dank für die Meldung, leeon!
InDubioProsecco
13.6.2023, 16:45:03
Wie ist hier das Verhältnis zu § 306b Abs. 1 StGB? Ist nicht auch dieser Tatbestand versucht? Oder ist der Tod als schwere Folge spezieller?
Nora Mommsen
4.7.2023, 10:08:33
Hallo InDubioProsecco, das Verhältnis zu § 306b Abs. 1 StGB ist derart, dass der § 306c spezieller ist. Er verweist sogar auf den § 306b StGB als "Grundtatbestand". Daher tritt letzterer zurück, wenn § 306c StGB einschlägig ist. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Dominic
15.8.2023, 14:49:35
Hinsichtlich der Heimtücke und des darauf bezogenen
Vorsatzes sollte der Sachverhalt präzisiert werden. Der Täter muss zwar nicht notwendigerweise davon ausgehen, dass das Opfer schläft, aber zumindest muss er
Vorsatzdahingehend haben, dass das Opfer wehrlos ist. Das er dies für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, geht aber aus dem Sachverhalt nicht hervor
Leo Lee
18.8.2023, 11:16:59
Hallo Dominic, vielen Dank für den Hinweis! Wir haben nun den Aufgabentext entsprechend angepasst. Beachte noch, dass der A in der Illustration ebenfalls sieht, dass der B schläft :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
juralette
12.9.2023, 14:52:42
Examenstreffer 2023/II Bayern
Nora Mommsen
14.9.2023, 14:59:39
Danke dir juralette! Das haben wir getagt. Weiterhin viel Erfolg - Nora, für das Jurafuchs-Team
Reformatorin
12.10.2023, 16:34:48
Die erste Frage ist für Referendare irreführend, da der versuchte Totschlag wegen der Mordmerkmale nicht mehr anzusprechen wäre
Nora Mommsen
13.10.2023, 11:08:09
Hallo Tey Sa, in der Tat unterscheiden sich die Bearbeitungsstile zwischen dem ersten und zweiten Examen erheblich. Im materiellen Recht sind alle Aufgaben im Gutachtenstil gelöst, sodass diese nicht dem Stil im zweiten Examen entsprechen. Des Weiteren ist die Frage auch für einen Referendar inhaltlich richtig, denn der versuchte Totschlag ist materiell-rechtlich gegeben. Er wäre nur im Urteil nicht anzusprechen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Reformatorin
13.10.2023, 11:50:47
Mir ging es darum, dass der Hinweis dass die Bearbeitung aus der Literatursicht folgt, zur ersten Frage geschoben wird, da nach meiner Lösung nach BGH 212 gerade nicht in Betracht kommt, denn dieser in einem Exklusivitätsverhältnis zu 211 steht ;)
se.si.sc
13.10.2023, 12:52:19
Evtl missverstehst du den Begriff der "Exklusivität", den du hier für die Rspr nennst. Damit ist nicht gemeint, dass Mord und Totschlag sich gegenseitig ausschließen und nie gleichzeitig vorliegen können, sondern nur, dass es sich um getrennt voneinander zu betrachtende Tatbestände handelt, die nicht in einem Qualifikations-Grundtatbestand-Verhältnis stehen (so aber die hL). Konsequenterweise kann die Rspr zB ohne Weiteres Tateinheit zwischen versuchtem Mord und vollendetem Totschlag an demselben Opfer annehmen, wenn der Täter das Opfer tötet und dabei irrig von einem Mordmerkmal ausgeht. Die Frage hier fragt allein danach, ob A sich wegen Totschlags strafbar gemacht hat. Die Antwort darauf ist eindeutig ja, ob jetzt vor oder nach dem 1. Examen, weil alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und A auch rechtswidrig und schuldhaft handelte. Dass der Totschlag auf Konkurrenzebene hinter dem Mord zurücktritt, mag ja sein, ändert aber nichts an der grds gegebenen Strafbarkeit wegen Totschlags. Insoweit scheinen sich mE Rspr und die Ansicht der Literatur nicht zu unterscheiden.
Reformatorin
13.10.2023, 13:15:44
Vielen Dank für deine ausführliche und prägende Antwort. Ne, das ist mir bewusst, und mir ging es wirklich nur darum, dass ich in einer Assessorklausur in so einer Konstellation nicht mit 212 anfange und dann noch 211 bejahe, sondern direkt auf 211 eingehe, da die Mordmerkmale wie vorliegend offensichtlich in Betracht kommen um damit die Systematik der 212 und 211 zu zeigen - Fischer, 211 Rn 89 - "allerdings ist die vorsätzliche Tötung gem 212 notwendig in 211 enthalten". Würdest du im Assessor- Examen anders mit der Lösung umgehen und doch 212 ansprechen?
se.si.sc
13.10.2023, 14:55:11
Für eine Assessorexamensklausur fängst du hier natürlich mit § 211 StGB an, wobei man das mE auch in einer Referendarexamensklausur nicht zwingend anders machen müsste. In der Assessorexamensklausur würde ich zu § 212 StGB höchstens (!) einen Satz zur Klarstellung schreiben, nachdem ich § 211 StGB bejaht habe. Der Aufbau der Fragen hier erhebt ja nicht den Anspruch, zwingend die Prüfungsreihenfolge in einer Klausur abzubilden, sondern kann auch mal aus didaktischen Gründen so gewählt sein. Nur, weil die erste Frage die nach der Strafbarkeit wegen Totschlags ist, impliziert das mE nicht, dass das auch unbedingt die Prüfungsreihenfolge in einer Klausur sein muss.
cattyha
12.4.2024, 08:37:44
Nur zum Verständnis: Kommt die grausame Tötung nicht in Betracht? Ich bin bislang immer davon ausgegangen, dass der Tod durch Feuer als grausam einzuordnen ist.
Merle_Breckwoldt
12.4.2024, 11:04:05
Hallo cattyha, danke für die gute Frage! In der Tat hat der BGH spätestens mit Urteil vom 06.12.2023 (5 StR 281/23, BeckRS 2023, 36771) festgestellt, dass eine Tötung durch Verbrennen "im Regelfall" grausam ist. Im hier zugrundeliegenden Fall hat die Vorinstanz zwar nur Var. 5 und 7 geprüft. Wenn Du darüber hinaus § 211 Abs. 1 Var. 6 StGB (Grausamkeit) (an-)prüfst, beachte bloß die nach h.M. subjektiv erforderliche gefühllose und unbarmherzige Gesinnung sowie ggf., dass B im Zeitpunkt der
Tathandlungschläft. Im Übrigen halte ich Deinen Gedanken für sehr gut und die Annahme von Grausamkeit in jedem Fall vertretbar. Beste Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team