Versuch einer erfolgsqualifizierten Straftat auch ohne schwere Folge strafbar - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: A wirft einen Molotowcocktail durch das offene Fenster in das Zimmer, in dem B gerade schläft. Ein Feuer entzündet sich aber nicht.
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Klassisches Klausurproblem

A will B töten. B schläft im Schlafzimmer seines Hauses, das er mit seiner Familie bewohnt. A nimmt eine mit Benzin befüllte Flasche, zündet eine darin steckende Lunte an und wirft die Flasche durch das offene Schlafzimmerfenster. A weiß und billigt, dass B schlafend im Bett liegt und dass er die Wirkung des Brandsatzes von nun an nicht mehr beherrschen zu können. Ein Feuer entzündet sich nicht.

Einordnung des Falls

Der BGH hat ein Urteil über den Versuch von erfolgsqualifizierten Straftaten erlassen. Das Gericht klärte, dass ein Versuch einer erfolgsqualifizierten Straftat, wie Brandstiftung mit tödlichen Folgen, auch dann vorliegen kann, wenn die Grundtat im Versuchsstadium bleibt und die beabsichtigte schwere Folge nicht eintritt. Das Urteil hebt die verschiedenen Formen von Versuchen bei erfolgsqualifizierten Straftaten hervor, einschließlich des erfolgsqualifizierten Versuchs und des Versuchs der Erfolgsqualifikation.

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Bayern 2023
Examenstreffer Berlin/Brandenburg 2023

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat A sich durch den Benzinflaschenwurf wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht (§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB)?

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Ja, in der Tat!

Der Versuch (§ 22 StGB) einer Straftat setzt tatbestandlich (1) Tatentschluss und (2) unmittelbares Ansetzen voraus. Tatentschluss erfordert Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale sowie das Vorliegen sonstiger subjektiver Unrechtselemente. Unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschreiten und objektiv zur tatbestandsmäßigen Handlung ansetzt, sodass sein Tun ohne wesentliche Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergeht. A hatte Tötungsvorsatz hinsichtlich B. Der Benzinflaschenwurf sollte nach seiner Vorstellung unmittelbar zum Brand des Wohnhauses und zum Tod des B führen.

2. Hat A sich auch wegen versuchten Mordes (Heimtücke, gemeingefährliche Mittel) zulasten des B strafbar gemacht (§§ 211 Abs. 1, 2 Var. 5, 7, 22, 23 Abs. 1 StGB)?

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Ja!

Heimtückisch tötet, wer die Arglosigkeit und die infolge der Arglosigkeit bestehende Wehrlosigkeit des Angegriffenen bewusst zur Begehung der Tat ausnutzt. Das Mordmerkmal der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln greift ein, wenn der Täter ein Mittel zur Tötung einsetzt, das in der konkreten Tatsituation eine unbestimmte Mehrzahl von Menschen an Leib oder Leben gefährden kann, weil er die Gefahr nicht beherrscht. B rechnete mit keinem Angriff (Arglosigkeit) und lag daher schlafend in seinem Bett (Wehrlosigkeit). Durch den beabsichtigten Brand drohte das ganze Haus zu brennen und weitere Menschen zu gefährden.Der Aufbau orientiert sich hier an der Auffassung der h.L. die den Mord als Qualifikation des Totschlags versteht.

3. Hat A sich zudem wegen versuchter schwerer Brandstiftung strafbar gemacht (§ 306a Abs. 1 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB)?

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Genau, so ist das!

Wegen schwerer Brandstiftung macht sich strafbar, wer ein Gebäude, dass der Wohnung von Menschen dient, in Brand setzt (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Ein Tatobjekt ist in Brand gesetzt, wenn ein wesentlicher Teil derart vom Feuer erfasst ist, dass er aus eigener Kraft (dh ohne Fortwirken des Zündstoffes) weiter brennt.A beabsichtigte, jedenfalls wesentliche Teile von Bs Wohnhaus in Brand zu setzen und setzte durch den Flaschenwurf unmittelbar hierzu an.

4. Hat A sich schließlich auch wegen vollendeter Brandstiftung mit Todesfolge strafbar gemacht (§ 306c StGB)?

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Nein, das trifft nicht zu!

Die vollendete Brandstiftung mit Todesfolge setzt voraus, dass der Täter durch eine Brandstiftung nach den §§ 306 bis 306b StGB wenigstens leichtfertig den Tod eines anderen Menschen verursacht.Hier hat A nicht den Tod eines anderen Menschen verursacht. Weil die schwere Folge nicht eingetreten ist, kommt auch eine Vollendungsstrafbarkeit nicht in Betracht.

5. Scheidet eine Versuchsstrafbarkeit bei Erfolgsqualifikationen grundsätzlich aus?

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Nein!

Erfolgsqualifikationen sind als Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen (Vorsatz bzgl. Grunddelikt, wenigstens Fahrlässigkeit bzgl. der schweren Folge (§ 18 StGB)) insgesamt als Vorsatzdelikte zu behandeln (§ 11 Abs. 2 StGB). Vorsatzdelikte sind nach den allgemeinen Regeln sowohl teilnahme- als auch versuchsfähig. Auch der Versuch eines erfolgsqualifizierten Delikts ist daher unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 StGB grundsätzlich möglich.

6. Gibt es fünf verschiedene Formen der Versuchsstrafbarkeit bei Erfolgsqualifikationen?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Es kommen regelmäßig drei Konstellationen in Betracht: (1) Das Grunddelikt ist nur versucht, die schwere Folge jedoch eingetreten (sog. erfolgsqualifizierter Versuch); Beispiel zu § 227 StGB: versuchte Körperverletzung und das Opfer stirbt bei seinem Ausweichmanöver). (2) Das Grunddelikt ist vollendet, der qualifizierte Erfolg nur versucht (sog. versuchte Erfolgsqualifikation). (3) Sowohl Grunddelikt als auch qualifizierter Erfolg sind nur versucht.

7. Wird eine Strafbarkeit in der dritten Konstellation – Grunddelikt und qualifizierter Erfolg sind nur versucht – aus der versuchten Erfolgsqualifikation vom BGH abgelehnt?

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Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Der Versuch des erfolgsqualifizierten Delikts sei möglich durch bloßes unmittelbares Ansetzen zum Grunddelikt mit dem Vorsatz der Herbeiführung der schweren Folge. Bleibe die Folge aus, handele es sich dennoch um einen - strafbaren - Unterfall der versuchten Erfolgsqualifikation (RdNr. 10). Deshalb sei etwa § 251 StGB (Raub mit Todesfolge) versucht, wenn das Opfer die Gewaltanwendung entgegen dem Tatplan überlebe und auch die Wegnahme fehlschlage. Auch für den Versuch einer schweren Körperverletzung sei es unerheblich, ob der Schütze, der dem Opfer die Zeugungsfähigkeit nehmen will, es in den Unterleib treffe oder danebenschieße (§ 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB) (RdNr. 14).

8. Sprechen für eine Versuchsstrafbarkeit in Fällen Wortlaut und Systematik?

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Ja!

Für eine Versuchsstrafbarkeit spreche (1) der Wortlaut des § 22 StGB. Denn wer beim Versuch des Grunddelikts auch Vorsatz in Bezug auf die schwere Folge hat, setzt nach seiner Vorstellung von der Tat sowohl unmittelbar zum Grunddelikt als auch zur Verursachung der schweren Folge an. (2) Systematisch sei nach § 11 Abs. 2 StGB das „Zwittergebilde“ erfolgsqualifiziertes Delikt insgesamt als vorsätzliche Tat anzusehen, weshalb die allgemeinen Versuchsbestimmungen gelten. Diese verlangen aber nur unmittelbares Ansetzen und keine Tatbestandsverwirklichung.

9. Sprechen Sinn und Zweck der Versuchsregeln gegen eine Versuchsstrafbarkeit?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Auch Sinn und Zweck der Versuchsregeln sprechen für eine Versuchsstrafbarkeit. BGH: Grund für die Versuchsstrafbarkeit sei ausschließlich die in den Vorstellungen des Täters liegende Gefährlichkeit seines Tuns (Handlungsunwert). Auf den herbeigeführten Erfolg komme es nicht an. Die erfolgsqualifizierten Delikte sollten vielmehr den besonderen (Todes-)Gefahren entgegenwirken, die von ihren Grundtatbeständen ausgehen. Es entspreche daher der ratio legis, auch denjenigen Täter zu ahnden, der Grunddelikt und Qualifikation intendiert und an beiden Zielen scheitere. (RdNr. 13).

10. Hat sich A wegen versuchter Brandstiftung mit Todesfolge strafbar gemacht (§§ 306c, 22, 23 Abs. 1 StGB)?

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Ja, in der Tat!

A hatte Tatentschluss hinsichtlich des Grunddelikts (§ 306a Abs. 1 Nr. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) und des Todes des B, also der schweren Folge im Sinne des § 306c StGB. Nach seiner Vorstellung sollte der Tod auch gerade durch die dem Grunddelikt innewohnende Gefährlichkeit (Inbrandsetzen eines Wohngebäudes) herbeigeführt werden (spezifischer Gefahrzusammenhang). A hat sowohl zum Grunddelikt als auch zur Verwirklichung der schweren Folge unmittelbar angesetzt, als er die Benzinflasche durch das Fenster warf. Hierbei handelte er auch rechtswidrig und schuldhaft.

11. Wird die versuchte Brandstiftung mit Todesfolge (§§ 306c, 22, 23 Abs. 1 StGB) vom versuchten Mord auf Konkurrenzebene verdrängt?

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Nein!

Zwischen §§ 211, 212 StGB und § 306c StGB besteht nach hM aus Klarstellungsgründen Tateinheit (§ 52 StGB).Deshalb musst Du in der Klausur, obwohl der Mordversuch schon bejaht ist, noch umfassend § 306c StGB prüfen. Anders wäre das im Verhältnis von Mord zur Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB): Diese tritt zurück und ist neben dem Mord nicht erwähnenswert.

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