Öffentliches Recht
Verwaltungsrecht AT
Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten
Rücknahme eines begünstigenden VAs: Sonderfall: Verstoß gegen EU-Recht (Subventionen): Fall 2: Ermessensreduzierung und Modifizierung der Jahresfrist
Rücknahme eines begünstigenden VAs: Sonderfall: Verstoß gegen EU-Recht (Subventionen): Fall 2: Ermessensreduzierung und Modifizierung der Jahresfrist
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Die EU-Kommission erklärt eine von Bundesland B an E erteilte Subvention wegen eines Verstoßes gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV für materiell unionsrechtswidrig und beschließt, dass B den Bescheid zurückzunehmen muss. B nimmt den Bescheid zurück, obwohl die Jahresfrist bereits abgelaufen ist.
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Einordnung des Falls
Rücknahme eines begünstigenden VAs: Sonderfall: Verstoß gegen EU-Recht (Subventionen): Fall 2: Ermessensreduzierung und Modifizierung der Jahresfrist
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Subventionsbescheid verstößt gegen Unionsrecht und ist damit rechtswidrig. Die Aufhebung richtet sich daher nach § 48 VwVfG.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Das Rücknahmeermessen von B ist auf Null reduziert, sobald der Beschluss der Kommission bestandskräftig ist. B muss dann E's Bescheid zurücknehmen.
Ja!
3. B durfte den Bescheid nicht zurücknehmen, weil die Jahresfrist (§ 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG) bereits verstrichen war.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Jose
3.8.2021, 18:45:43
Könnte der B einen Schadensersatzanspruch gegen den Staat haben? Bzw. müsste er sich tatsächlich verschulden, wenn er vollständig
entreichertwäre?
seffm
7.9.2021, 21:32:26
Hallo Jose, der EuGH hat im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch begründet. Aus diesem folgt, dass ein Mitgliedsstaat für die Schäden aufkommen muss, die daraus resultieren, dass dieser gegen das EU-Recht verstoßen hat. Dieser Anspruch wäre m.E. auch hier einschlägig. Viele Grüße
Eileen 🦊
7.8.2024, 10:58:29
Gem. 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG beginnt die Frist mit Kenntnis der
Behördeüber die Tatsachen, welche die Rücknahme rechtfertigen. Ich hab mich gefragt, ob die Kenntnis der deutschen
Behördeerst mit dem rechtswirksamen Beschluss der EU Kommission vorliegt. Danach wäre sie noch nicht abgelaufen. Wo liegt hier mein Denkfehler? LG
bayilm
9.8.2024, 12:34:25
Der Sachverhalt sagt ja, dass die
Behördeerst den VA zurücknimmt als die Jahresfrist abgelaufen ist.
Sebastian Schmitt
26.10.2024, 17:47:35
Hallo @[Eileen 🦊](190132), ob die Frist hier erst mit der Entscheidung der EU-Kommission oder schon vorher zu laufen beginnt, ist eine Einzelfallfrage. Die Antwort dürfte ua maßgeblich davon abhängen, welche Umstände der deutschen
Behördeschon vor der Entscheidung der Kommission bekannt waren und ob die
Behördedarauf aufbauend schon
positive Kenntnisvon den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen hatte (zu den Einzelheiten zB BeckOK-VwVfG/Müller, 64. Ed, Stand 1.4.2024, § 48 Rn 111 ff). In unserem Fall ist nach der Sachverhaltsdarstellung die Frist eindeutig abgelaufen, wie @[bayilm](190202) richtig sagt, da gibt es mE keinen Raum für Diskussion. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Juraddicted
23.10.2024, 23:13:13
wieso gibt es dann die Jahresfrist, wenn sie nicht eingehalten werden muss? vielen Dank :)
Sebastian Schmitt
26.10.2024, 17:58:32
Hallo @[Juraddicted](96780), die Antwort auf Deine Frage steht ja letztlich schon in unserer Lösung. Vor dem Hintergrund EU-rechtlicher Vorgaben und dem Effektivitätsprinzip des Art. 4 III EUV können nationale Regelungen eben so auszulegen sein, dass sie mit dem EU-Recht im Einklang stehen bzw die intendierten Wirkungen EU-rechtlicher Regelungen nicht aushebeln. Die Frist des § 48 IV 1 VwVfG gilt im BeihilfeR deshalb nach der Rspr des EuGH grds nicht (EuGH Urt v 20.3.1997, Rs. C-24/95, NJW 1998, 47). Anderenfalls könnten nämlich Beihilfen wegen Ablaufs der Frist nicht zurückgefordert werden, obwohl das EU-rechtlich erforderlich wäre und auch so entschieden wurde. Der Beihilfeempfänger sei ohnehin nicht schutzwürdig, denn er wisse ja schon ab der ablehnenden Entscheidung der EU-Kommission, dass die
Behördedie Beihilfen zurückzufordern hat (EuGH Urt v 20.3.1997, Rs. C-24/95, NJW 1998, 47; BeckOK-VwVfG/Müller, 64. Ed, Stand 1.4.2024, § 48 Rn 147). Zu einem evtl verbleibenden restlichen Anwendungsberech des § 48 IV 1 VwVfG in Beihilfefragen BeckOK-VwVfG/Müller, 64. Ed, Stand 1.4.2024, § 48 Rn 158. Jedenfalls gilt die dortige Frist natürlich weiterhin für sonstige, insbesondere rein nationale (deutsche) Sachverhalte ohne Auslandsbezug. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
Felix
10.11.2024, 14:24:17
Das Unionsrecht muss ja im Endeffekt auch durchgesetzt werden können. Würde die Frist unverändert gelten, könnten die mitgliedsstaatlichen
Behörden die Frist einfach verstreichen lassen und die - idR für die Mitgliedstaaten gute - Beihilfe an inländische Unternehmen könnte einfach ausgezahlt bleiben und die
Behördekönnte ohne großen Aufwand die Beihilfevorschriften der union übergehen.