Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht AT

Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten

Rücknahme eines begünstigenden VAs: Sonderfall: Verstoß gegen EU-Recht (Subventionen): Fall 2: Ermessensreduzierung und Modifizierung der Jahresfrist

Rücknahme eines begünstigenden VAs: Sonderfall: Verstoß gegen EU-Recht (Subventionen): Fall 2: Ermessensreduzierung und Modifizierung der Jahresfrist

24. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Die EU-Kommission erklärt eine von Bundesland B an E erteilte Subvention wegen eines Verstoßes gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV für materiell unionsrechtswidrig und beschließt, dass B den Bescheid zurückzunehmen muss. B nimmt den Bescheid zurück, obwohl die Jahresfrist bereits abgelaufen ist.

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Einordnung des Falls

Rücknahme eines begünstigenden VAs: Sonderfall: Verstoß gegen EU-Recht (Subventionen): Fall 2: Ermessensreduzierung und Modifizierung der Jahresfrist

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Subventionsbescheid verstößt gegen Unionsrecht und ist damit rechtswidrig. Die Aufhebung richtet sich daher nach § 48 VwVfG.

Ja, in der Tat!

Ein Bescheid, der gegen das Beihilfeverbot des Art. 107 Abs. 1 AEUV verstößt, ist materiell rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit steht fest, wenn die Kommission einen entsprechenden bestandskräftigen Beschluss (Art. 288 Abs. 1 AEUV) gefasst hat, der den Unionsrechtsverstoß verbindlich feststellt. Die Kommission hat festgestellt, dass die an E gewährte Subvention gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV verstößt. Der Subventionsbescheid ist damit rechtswidrig.
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2. Das Rücknahmeermessen von B ist auf Null reduziert, sobald der Beschluss der Kommission bestandskräftig ist. B muss dann E's Bescheid zurücknehmen.

Ja!

Grundsätzlich hat die Behörde ein Rücknahmeermessen (§ 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG). Das heißt, sie kann dann entscheiden, den Verwaltungsakt zurückzunehmen, wenn das Interesse des Begünstigten am Fortbestand des Verwaltungsakt nicht das öffentliche Interesse an der Rücknahme überwiegt. Dieses Ermessen ist im Falle eines bestandskräftigen Kommissionsbeschlusses nach Art. 108 Abs. 2 AEUV wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts auf Null reduziert. Das heißt, die Behörde muss den Subventionsbescheid zurücknehmen.

3. B durfte den Bescheid nicht zurücknehmen, weil die Jahresfrist (§ 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG) bereits verstrichen war.

Nein, das ist nicht der Fall!

Für die Rücknahme von begünstigenden Verwaltungsakten gilt eine einjährige Frist (§ 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG). Ist der Verwaltungsakt unionsrechtswidrig, muss die Behörde aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts und seiner einheitlichen Anwendung in allen Mitgliedsstaaten den Bescheid auch zurückfordern, wenn die Frist verstrichen ist. Andernfalls hätte die nationale Behörde die Möglichkeit, über eine Verzögerung des Verfahrens ein unionsrechtliches Rückforderungsbegehren zu blockieren (Verstoß gegen Effektivitätsprinzip des Art. 4 Abs. 3 EUV = „Effet utile“). B konnte und musste den Bescheid trotz Ablauf der Frist aus § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG zurücknehmen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

Jose

3.8.2021, 18:45:43

Könnte der B einen Schadensersatzanspruch gegen den Staat haben? Bzw. müsste er sich tatsächlich verschulden, wenn er vollständig

entreichert

wäre?

seffm

seffm

7.9.2021, 21:32:26

Hallo Jose, der EuGH hat im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch begründet. Aus diesem folgt, dass ein Mitgliedsstaat für die Schäden aufkommen muss, die daraus resultieren, dass dieser gegen das EU-Recht verstoßen hat. Dieser Anspruch wäre m.E. auch hier einschlägig. Viele Grüße

Eileen 🦊

Eileen 🦊

7.8.2024, 10:58:29

Gem. 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG beginnt die Frist mit Kenntnis der

Behörde

über die Tatsachen, welche die Rücknahme rechtfertigen. Ich hab mich gefragt, ob die Kenntnis der deutschen

Behörde

erst mit dem rechtswirksamen Beschluss der EU Kommission vorliegt. Danach wäre sie noch nicht abgelaufen. Wo liegt hier mein Denkfehler? LG

BAY

bayilm

9.8.2024, 12:34:25

Der Sachverhalt sagt ja, dass die

Behörde

erst den VA zurücknimmt als die Jahresfrist abgelaufen ist.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

26.10.2024, 17:47:35

Hallo @[Eileen 🦊](190132), ob die Frist hier erst mit der Entscheidung der EU-Kommission oder schon vorher zu laufen beginnt, ist eine Einzelfallfrage. Die Antwort dürfte ua maßgeblich davon abhängen, welche Umstände der deutschen

Behörde

schon vor der Entscheidung der Kommission bekannt waren und ob die

Behörde

darauf aufbauend schon

positive Kenntnis

von den die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen hatte (zu den Einzelheiten zB BeckOK-VwVfG/Müller, 64. Ed, Stand 1.4.2024, § 48 Rn 111 ff). In unserem Fall ist nach der Sachverhaltsdarstellung die Frist eindeutig abgelaufen, wie @[bayilm](190202) richtig sagt, da gibt es mE keinen Raum für Diskussion. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Juraddicted

Juraddicted

23.10.2024, 23:13:13

wieso gibt es dann die Jahresfrist, wenn sie nicht eingehalten werden muss? vielen Dank :)

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

26.10.2024, 17:58:32

Hallo @[Juraddicted](96780), die Antwort auf Deine Frage steht ja letztlich schon in unserer Lösung. Vor dem Hintergrund EU-rechtlicher Vorgaben und dem Effektivitätsprinzip des Art. 4 III EUV können nationale Regelungen eben so auszulegen sein, dass sie mit dem EU-Recht im Einklang stehen bzw die intendierten Wirkungen EU-rechtlicher Regelungen nicht aushebeln. Die Frist des § 48 IV 1 VwVfG gilt im BeihilfeR deshalb nach der Rspr des EuGH grds nicht (EuGH Urt v 20.3.1997, Rs. C-24/95, NJW 1998, 47). Anderenfalls könnten nämlich Beihilfen wegen Ablaufs der Frist nicht zurückgefordert werden, obwohl das EU-rechtlich erforderlich wäre und auch so entschieden wurde. Der Beihilfeempfänger sei ohnehin nicht schutzwürdig, denn er wisse ja schon ab der ablehnenden Entscheidung der EU-Kommission, dass die

Behörde

die Beihilfen zurückzufordern hat (EuGH Urt v 20.3.1997, Rs. C-24/95, NJW 1998, 47; BeckOK-VwVfG/Müller, 64. Ed, Stand 1.4.2024, § 48 Rn 147). Zu einem evtl verbleibenden restlichen Anwendungsberech des § 48 IV 1 VwVfG in Beihilfefragen BeckOK-VwVfG/Müller, 64. Ed, Stand 1.4.2024, § 48 Rn 158. Jedenfalls gilt die dortige Frist natürlich weiterhin für sonstige, insbesondere rein nationale (deutsche) Sachverhalte ohne Auslandsbezug. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

FEL

Felix

10.11.2024, 14:24:17

Das Unionsrecht muss ja im Endeffekt auch durchgesetzt werden können. Würde die Frist unverändert gelten, könnten die mitgliedsstaatlichen

Behörde

n die Frist einfach verstreichen lassen und die - idR für die Mitgliedstaaten gute - Beihilfe an inländische Unternehmen könnte einfach ausgezahlt bleiben und die

Behörde

könnte ohne großen Aufwand die Beihilfevorschriften der union übergehen.


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