Analoge Anwendung der §§ 349, 350 HGB auf geschäftsführende (Allein-)Gesellschafter einer GmbH


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Lernplan ZR Handels- und Gesellschaftsrecht (100%)

Adelheit ist Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin der A-GmbH, welche E-Scooter per App vermietet. Die A-GmbH möchte bei der Bank B ein Darlehen aufnehmen, um mehr E-Scooter erwerben zu können und die Flotte zu erweitern. B verlangt die Bürgschaft der privat sehr reichen A.

Einordnung des Falls

Analoge Anwendung der §§ 349, 350 HGB auf geschäftsführende (Allein-)Gesellschafter einer GmbH

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A haftet ohnehin als Alleingesellschafterin mit ihrem Privatvermögen für Gesellschaftsverbindlichkeiten der A-GmbH, sodass die Bürgschaft nicht notwendig ist.

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Nein, das trifft nicht zu!

Die GmbH haftet für ihre Verbindlichkeiten unbeschränkt mit ihrem gesamten Gesellschaftsvermögen. Die Gesellschafter einer GmbH haften nicht für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 13 Abs. 2 GmbHG). Als Gesellschafterin der GmbH haftet A nicht mit ihrem Privatvermögen für die Gesellschaftsverbindlichkeiten. Dass A einzige Gesellschafterin der GmbH und auch Geschäftsführerin ist (Ein-Personen-GmbH), macht keinen Unterschied. Zur Tilgung des Darlehens stünde daher nur das Gesellschaftsvermögen zur Verfügung. Die Haftung von GmbH-Gesellschaftern kommt nur ausnahmsweise in Gestalt der Durchgriffshaftung in Betracht, oder wenn ein besonderer Verpflichtungsgrund vorliegt.

2. Wenn für den Bürgen die Bürgschaft ein Handelsgeschäft (§§ 343, 344 HGB) ist, greifen die besonderen Vorschriften der §§ 349, 350 HGB. Der Bürge ist dann weniger schutzbedürftig.

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Ja!

Auf eine Bürgschaft, die für den Bürgen ein Handelsgeschäft darstellt (§ 343 HGB), findet die Formvorschrift des § 766 S. 1 und 2 BGB keine Anwendung (§ 350 HGB). Auch die Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) steht dem Bürgen dann nicht zu (§ 349 HGB). Diese Regelungen tragen der besonderen Geschäftserfahrung von Kaufleuten und dem Bedürfnis des Handelsverkehrs nach einfacher und schneller Abwicklung Rechnung.

3. Für A stellt die Bürgschaft ein Handelsgeschäft (§§ 343, 344 HGB) dar.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Handelsgeschäfte sind alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehören (§ 343 Abs. 1 HGB). Die Betriebszugehörigkeit wird vermutet (§ 344 Abs. 1 HGB). Die GmbH ist rechtsfähige Kapitalgesellschaft. Sie ist als juristische Person alleinige Trägerin des Unternehmens und Betreiberin des Handelsgewerbes. Nur die GmbH ist Kaufmann kraft Rechtsform (§ 13 Abs. 3 GmbHG, § 6 Abs. 1 HGB). Die nicht persönlich haftenden Gesellschafter sind keine Kaufleute. A fehlt daher die Kaufmannseigenschaft, die Bürgschaft stellt für sie kein Handelsgeschäft dar und §§ 349, 350 HGB finden keine Anwendung. Die Bürgschaftserklärung muss schriftlich erfolgen (§ 766 BGB) und A steht die Einrede der Vorausklage zu (§ 771 S. 1 BGB).

4. In der Literatur wird teilweise eine analoge Anwendung von § 350 HGB auf geschäftsführende (Allein-) Gesellschafter einer GmbH gefordert.

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Ja, in der Tat!

Teilweise wird gefordert, § 350 HGB auf geschäftsführende Gesellschafter von Kapitalgesellschaften analog anzuwenden, soweit sich die Bürgschaft auf den Geschäftsbetrieb der Gesellschaft beziehe. Das Gesetz gehe bei der Befreiung des Formerfordernisses von Kaufleuten als erfahrenen Geschäftsleuten aus, was gerade auf geschäftsführende (Allein-)Gesellschafter ebenfalls zutreffe. Herrschende Meinung und Rechtsprechung lehnen eine Analogie ab. Die Schutzfunktionen der Schriftform bei Sicherungsgeschäften müssen erhalten bleiben. Auch im Kontext des Verbraucherkreditrechts (§§ 491 ff. BGB) werden geschäftsführende Gesellschafter als Verbraucher eingeordnet und somit von den Formanforderungen erfasst (§§ 492, 494 BGB).

5. Für eine analoge Anwendung von § 349 HGB auf geschäftsführende (Allein-) Gesellschafter einer GmbH besteht kein Bedarf.

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Ja!

Die Formvorschriften des § 766 BGB sind zwingend, sodass die analoge Anwendung des § 350 HGB zu einer erheblichen Erleichterung beim Abschluss eines Bürgschaftsvertrags führen würde. Im Gegensatz hierzu ist § 771 BGB dispositiv. Durch die vertragliche Vereinbarung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft (§ 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und die damit einhergehende Abbedingung der Einrede der Vorausklage (§ 771 BGB) kann auch ohne analoge Anwendung des § 349 HGB dessen Rechtsfolge mit privatautonomen Mitteln herbeigeführt werden.

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