Form der Bürgschaftserklärung, 350 HGB (Erstreckung der Formerfordernisse auf eine Vollmacht)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Kaufmann Ks Tochter T studiert in Kassel Promenadologie. Da K momentan reiseunfähig ist, erteilt er seinem in Kassel wohnenden Freund V mündlich Vollmacht für die Erteilung einer Bürgschaft für die Mietforderungen des Vermieters gegen seine Tochter. V gibt schriftlich für K die Bürgschaftserklärung gegenüber dem Vermieter ab.

Einordnung des Falls

Form der Bürgschaftserklärung, 350 HGB (Erstreckung der Formerfordernisse auf eine Vollmacht)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Vollmacht zur Abgabe einer Bürgschaftserklärung bedarf der Form, der auch die Bürgschaftserklärung unterliegt (§ 167 Abs. 2 BGB).

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Genau, so ist das!

Nach herrschender Meinung und Rechtsprechung gelten die Formanforderungen, die an die Bürgschaftserklärung gestellt werden, auch für eine Vollmacht zur Abgabe einer Bürgschaftserklärung. § 167 Abs. 2 BGB ist dahingehend teleologisch zu reduzieren. Stellt die Bürgschaft für den Bürgen ein Handelsgeschäft dar (§§ 343, 344 HGB) ändert dies nichts an der Formfreiheit der Vollmacht (§ 167 Abs. 2 BGB), denn dann kann die Bürgschaft auch formfrei erklärt werden (§ 350 HGB). Im Fall der Anwendbarkeit des § 766 S. 1 BGB („Normalfall“) muss die Vollmacht jedoch auch schriftlich erteilt werden. Die Warnfunktion liefe leer, wenn man die Gefahr einer Bürgschaftserklärung bereits durch mündliche Vollmachterteilung begründen könnte.

2. Die Bürgschaft stellte für K ein Handelsgeschäft (§§ 343, 344 HGB) dar, sodass die Bürgschaftserklärung formfrei abgegeben werden konnte (§ 350 HGB).

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Nein, das trifft nicht zu!

Auf eine Bürgschaft, die für den Bürgen ein Handelsgeschäft darstellt, finden die Formvorschriften des § 766 BGB keine Anwendung (§ 350 HGB). Handelsgeschäfte sind alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betrieb seines Handelsgewerbes gehören (§ 343 Abs. 1 HGB). Die Betriebszugehörigkeit wird vermutet (§ 344 Abs. 1 HGB). Die Bürgschaft für die Mietschulden seiner Tochter hat K erkennbar nicht im Zusammenhang mit seinem Handelsgewerbe, sondern als Privatperson abgebeben. Die Vermutung wird widerlegt (§ 344 Abs. 1 HGB). Es liegt kein Handelsgeschäft vor (§ 343 Abs. 1 HGB) und § 350 HGB findet keine Anwendung. Die Bürgschaftserklärung bedurfte daher der Schriftform, § 766 S. 1 BGB.

3. K konnte die Vollmacht zur Abgabe der Bürgschaftserklärung formfrei erteilen (§ 167 Abs. 2 BGB).

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Nein!

Die Formanforderungen, die an die Bürgschaftserklärung gestellt werden, gelten nach herrschender Meinung entgegen § 167 Abs. 2 BGB auch für eine Vollmacht zur Abgabe eines Bürgschaftsvertrages. Es kommt also auf die Formbedürftigkeit der Bürgschaftserklärung an. K hat die Bürgschaft nicht in seiner Funktion als Kaufmann erteilt, sodass § 350 HGB keine Anwendung findet und die Bürgschaftserklärung der Schriftform unterlag (§ 766 S. 1 BGB). Die Vollmacht hätte K dem V demnach ebenfalls schriftlich erteilen müssen. V hatte mithin bei der Abgabe der Bürgschaftserklärung keine Vertretungsmacht und die Bürgschaftserklärung ist schwebend unwirksam (§ 177 Abs. 1 BGB).

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LAURA

Laura

3.1.2024, 14:05:46

Müsste dann K auch die Genehmigung für die schwebend unwirksame Bürgschaftserklärung ebenfalls schriftlich erteilen? Das wäre ja sonst nur konsequent oder stellt man dann drauf ab, dass durch die Genehmigung die Warnfunktion umfangreich gewahrt wurde?


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