Ausnahmen von Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 S. 2 VwGO)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A besitzt illegal Waffen. Polizeibehörde P fordert A auf, diese bei der Behörde abzugeben. Nachdem der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist, brennt As Haus ab. Die Waffen werden vollständig vernichtet. A will gerichtlich gegen den Verwaltungsakt vorgehen.
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Einordnung des Falls
Ausnahmen von Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 S. 2 VwGO)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. A hätte zunächst innerhalb der Klagefrist die Anfechtungsklage erheben können.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Verwaltungsakt ist bestandskräftig geworden. Rechtsschutz gegen den Verwaltungsakt scheidet damit im vorliegenden Fall aus.
Nein, das trifft nicht zu!
3. Grundsätzlich schließt die (verfristete) Möglichkeit, eine Gestaltungsklage zu erheben, die Statthaftigkeit der Feststellungsklage aus.
Ja!
4. In § 43 Abs. 2 S. 2 VwGO findet sich eine Ausnahme des Subsidiaritätsgrundsatzes. As Nichtigkeitsfeststellungsklage ist statthaft.
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Blackpanther
3.2.2022, 13:56:00
Bei der Verpflichtungsklage auf Rücknahme ist des nichtigen VA ist "Rücknahme" untechnisch zu verstehen oder? Oder handelt sich dabei um eine Rücknahme eines rechtswidrigen VA gem. § 48 VwVfG? Wenn nicht, wäre die Formulierung "VPK auf Aufhebung des nichtigen VA" ggf. präziser.
Victor
3.2.2022, 15:37:12
Meiner Meinung geht die Verpflichtungsklage hier gar nicht. Nur Anfechtungsklage, ausnahmsweise aus Gründen der Rechtssicherheit, und die
Nichtigkeitsfeststellungsklage. Etwas nichtiges muss an sich gar nicht zurückgenommen werden, da es keinerlei Rechtswirkungen entfaltet.
Blackpanther
3.2.2022, 17:02:02
Mir war auch neu, dass in diesen Fälle eine VPK erhoben werden kann. Bin gespannt, was die Moderatoren dazu sagen.
Linne_Karlotta
9.2.2022, 10:14:21
Hallo Blackpanther, hallo Viktor. Danke für Eure Nachfrage und die Diskussion! In der Tat ist die Formulierung “Verpflichtungsklage gerichtet auf die Aufhebung des Verwaltungsakts” (Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 17. A. 2020, RdNr. 446) an dieser Stelle ziemlich ungenau. Gemeint ist die Verpflichtungsklage gerichtet darauf, dass die
Behördedie Nichtigkeit des Verwaltungsakts durch den Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts feststellen (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 26. A. 2020, § 43, RdNr. 20). Diese ist aus Gründen der Rechtssicherheit statthaft, da es für Laien nicht erkennbar ist, ob ein Verwaltungsakt nichtig oder rechtswidrig ist. Gerade, wenn die Anfechtungsklage verfristet ist, kann es sein, dass die Verpflichtungsklage erhoben wird.
Linne_Karlotta
9.2.2022, 10:17:05
Schaut auch gerne in meine Ausführungen, die ich zu Viktors Frage zu diesem Fall gemacht hat. Dort sind auch Argumente gegen die
Statthaftigkeitder Verpflichtungsklage zu finden. Ich hoffe, ich konnte Euch weiterhelfen! Beste Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team
Victor
3.2.2022, 15:35:41
Ist die Rücknahme eines nichtigen VA überhaupt möglich/notwendig? Er entfaltet doch schon keinerlei Rechtswirkungen mehr. Zudem kommt mir bei solchen Fällen von nichtigen VA nur die
Nichtigkeitsfeststellungsklageund ausnahmsweise auch die Anfechtungsklage aus Rechtssicherheitsgründen in den Sinn
Linne_Karlotta
9.2.2022, 10:01:23
Hallo Victor, danke für Deine Frage. Du hast vollkommen Recht damit, dass ein nichtiger Verwaltungsakt keine Rechtswirkung entfaltet (§ 43 Abs. 3 VwVfG) und deswegen auch nicht aufgehoben werden muss. Allerdings ist es für die Bürger*innen oft nicht erkennbar, ob ein Verwaltungsakt nichtig oder „nur" rechtswidrig ist. Aus diesen Gründen kann ja auch - wie Du schon richtig erwähnt hast - die Anfechtungsklage gerichtet auf die „Aufhebung“ des nichtigen Verwaltungsakts statthaft sein. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes wird nicht nur die Anfechtungsklage gerichtet auf die Aufhebung eines nichtigen Verwaltungsakts als statthaft anerkannt, sondern nach h.M. auch die Verpflichtungsklage gerichtet auf die Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts durch die
Behörde.
Linne_Karlotta
9.2.2022, 10:03:06
(Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 26. A. 2020, § 43, RdNr. 20). Die hier primär verwendete Quelle (Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 17. A. 2020, RdNr. 446) spricht in diesem Zusammenhang etwas ungenau von der „Verpflichtungsklage gerichtet auf die Rücknahme eines nichtigen Verwaltungsakts.“ Diese Formulierung ist in der Tat etwas verwirrend und wir werden das im Fall ausbessern.
Linne_Karlotta
9.2.2022, 10:04:07
Die betroffene Person hat jedenfalls nach h.M. die Wahl, ob sie die
Nichtigkeitsfeststellungsklageoder die Verpflichtungsklage erhebt. Gegen diese Ansicht kann argumentiert werden, dass die
Nichtigkeitsfeststellungsklageunmittelbar zur Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts führt, wohingegen die
Behördenach einer erfolgreichen Verpflichtungsklage „nur“ verpflichtet wird, die Nichtigkeit des Verwaltungsakts durch den Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts festzustellen. Mit dem Argument der Spezialität und des intensiveren Rechtsschutzes ist es daher auch gut vertretbar, die
Statthaftigkeitder Verpflichtungsklage im Zusammenhang mit nichtigen Verwaltungsakten abzulehnen (siehe auch Schenke, JuS 2016, 101f.).
Linne_Karlotta
9.2.2022, 10:04:33
In der Klausur wird sich die Problematik i.d.R. nicht stellen, da Du im Gutachten sowieso auf die
Statthaftigkeitder
Nichtigkeitsfeststellungsklageabstellen würdest. In der Praxis kann es aber durchaus vorkommen, dass eine Verpflichtungsklage erhoben wird. In diesen Fällen ist es m.E. sinnvoll, die nun mal erhobene Klage dann auch als statthaft anzusehen. Ich hoffe, ich konnte Deine Frage damit beantworten! Beste Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team
Busches Bester
29.12.2023, 12:00:37
ist hier nicht eher die FFK anwendbar, da der VA sich wegen Wegfalls des Bezugsobjekts erledigt hat und die FFK in diesem Fall als amputierte Anfechtungsklage der
Nichtigkeitsfeststellungsklagesogar vorrangig wäre?
Busches Bester
29.12.2023, 12:28:11
Okay, Selbstkorrektur. Der Mandant will hier nicht die Feststellung der Rechtswidrigkeit des ursprünglich wirksamen aber jetzt erledigten VA, sondern die Feststellung der Nichtigkeit des VA in seiner jetzigen Form.
Leo Lee
30.12.2023, 22:09:20
Hallo Busches Bester, vielen Dank für diese sehr gute Frage! In der Tat könnte man meinen, dass der VA sich erledigt habe. Beachte allerdings noch, dass neben dem Beg
ehren des Klägers auch die Bestandskraft des VAs ein Problem sein dürfte (wenn man mal die Nichtigkeit außen vorlässt). Denn selbst wenn man die FFK wählt, darf dadurch eine an sich unzulässige AK nicht bewirkt werden (deshalb gibt es die ganze Problematik bei der FFK bzgl. des Vorverfahrens). Hier dürfte also – neben dem Beg
ehren – fraglich sein, wie es sich auswirkt, dass der VA bereits bestandskräftig war. Denn bei einem bestandskräftigen VA ist die Klage i.d.R. unzulässig (meistens wegen einer verpassen Widerspruchsfrist) :). Einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht dir das Jurafuchsteam!