Öffentliches Recht

VwGO

Feststellungsklage

Ausnahmen von Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 S. 2 VwGO)

Ausnahmen von Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 S. 2 VwGO)

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A besitzt illegal Waffen. Polizeibehörde P fordert A auf, diese bei der Behörde abzugeben. Nachdem der Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist, brennt As Haus ab. Die Waffen werden vollständig vernichtet. A will gerichtlich gegen den Verwaltungsakt vorgehen.

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Einordnung des Falls

Ausnahmen von Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 S. 2 VwGO)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hätte zunächst innerhalb der Klagefrist die Anfechtungsklage erheben können.

Genau, so ist das!

Die Anfechtungsklage ist statthaft, wenn der Kläger begehrt, dass ein Verwaltungsakt gerichtlich aufgehoben wird (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Eine Anfechtungsklage ist innerhalb der Frist des § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO zu erheben. Danach wird der Verwaltungsakt bestandskräftig und kann nicht mehr angegriffen werden. Bei der Aufforderung, ihre Waffen bei der Polizei anzugeben, handelt es sich um einen Verwaltungsakt (§ 35 S. 1 VwVfG). Dieser ist bereits bestandskräftig geworden, das heißt, dass die Frist des § 74 Abs. 1 S. 1 VwGO abgelaufen sein muss. Eine Anfechtungsklage gerichtet darauf, den Verwaltungsakt aufzuheben, scheidet damit aus.
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2. Der Verwaltungsakt ist bestandskräftig geworden. Rechtsschutz gegen den Verwaltungsakt scheidet damit im vorliegenden Fall aus.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein zunächst bestandskräftiger Verwaltungsakt kann nachträglich nichtig werden. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn nachträgliche tatsächliche Umstände eintreten, die dazu führen, dass niemand dem Verwaltungsakt nachkommen kann (§ 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG). Gegen nichtige Verwaltungsakte der Betroffene vor allem die Nichtigkeitsfeststellungsklage (§ 43 Abs. 1 Var. 3 VwGO) erheben. Nach h.M. kommt aus Gründen des Rechtsschutzes auch die Verpflichtungsklage, gerichtet auf den Erlass eines die Nichtigkeit des ursprünglichen Verwaltungsakts feststellenden Verwaltungsakts, in Betracht. Beide Klagen sind gerade nicht fristgebunden. Durch das Feuer sind die abzugebenden Waffen der A vollständig vernichtet wurden. Es wäre niemandem mehr möglich, die Waffen bei der Polizeibehörde abzugeben.

3. Grundsätzlich schließt die (verfristete) Möglichkeit, eine Gestaltungsklage zu erheben, die Statthaftigkeit der Feststellungsklage aus.

Ja!

Nach dem Subsidiaritätgrundsatz (§ 43 Abs. 2 S. 1 VwGO) kann eine Feststellungsklage nicht erhoben werden, wenn das Klagebegehren mit einer Leistungs- oder Gestaltungsklage erreicht werden kann. Dies gilt auch dann, wenn eine Anfechtungs-, Verpflichtungs- oder Fortsetzungsfeststellungsklage an sich zwar statthaft, im konkreten Fall aber trotzdem unzulässig sind, weil eine spezifische Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt. Relevant sind vor allem die Fälle, in denen eine Klagefrist abgelaufen ist. Die verfristete Anfechtungsklage würde zunächst die Möglichkeit einer Feststellungsklage ausschließen. Ab dem Zeitpunkt der Nichtigkeit des Verwaltungsakts käme dann eine Verpflichtungsklage auf Rücknahme des Verwaltungsakts als vorrangige Klageart in Betracht.

4. In § 43 Abs. 2 S. 2 VwGO findet sich eine Ausnahme des Subsidiaritätsgrundsatzes. As Nichtigkeitsfeststellungsklage ist statthaft.

Genau, so ist das!

§ 43 Abs. 2 S. 2 VwGO bestimmt, dass die Subsidiaritätsklausel dann keine Anwendung findet, wenn der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts begehrt. Nach einer (umstrittenen) Meinung verdrängt in diesen Fällen sogar die Nichtigkeitsfeststellungsklage als speziellere Klageart die anderen Klagemöglichkeiten. Unstrittig ist jedenfalls, dass die Statthaftigkeit der Nichtigkeitsfeststellungsklage nicht vom Subsidiaritätsgrundsatz berührt wird. Der Verwaltungsakt ist durch die Vernichtung der Waffen nichtig geworden (§ 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG). Die Möglichkeit, die Verpflichtungsklage gerichtet auf die Aufhebung des nichtigen Verwaltungsakts zu erheben, schließt die Möglichkeit der Nichtigkeitsfeststellungsklage nicht aus.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Blackpanther

Blackpanther

3.2.2022, 13:56:00

Bei der Verpflichtungsklage auf Rücknahme ist des nichtigen VA ist "Rücknahme" untechnisch zu verstehen oder? Oder handelt sich dabei um eine Rücknahme eines rechtswidrigen VA gem. § 48 VwVfG? Wenn nicht, wäre die Formulierung "VPK auf Aufhebung des nichtigen VA" ggf. präziser.

VIC

Victor

3.2.2022, 15:37:12

Meiner Meinung geht die Verpflichtungsklage hier gar nicht. Nur Anfechtungsklage, ausnahmsweise aus Gründen der Rechtssicherheit, und die

Nichtigkeitsfeststellungsklage

. Etwas nichtiges muss an sich gar nicht zurückgenommen werden, da es keinerlei Rechtswirkungen entfaltet.

Blackpanther

Blackpanther

3.2.2022, 17:02:02

Mir war auch neu, dass in diesen Fälle eine VPK erhoben werden kann. Bin gespannt, was die Moderatoren dazu sagen.

Linne_Karlotta

Linne_Karlotta

9.2.2022, 10:14:21

Hallo Blackpanther, hallo Viktor. Danke für Eure Nachfrage und die Diskussion! In der Tat ist die Formulierung “Verpflichtungsklage gerichtet auf die Aufhebung des Verwaltungsakts” (Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 17. A. 2020, RdNr. 446) an dieser Stelle ziemlich ungenau. Gemeint ist die Verpflichtungsklage gerichtet darauf, dass die

Behörde

die Nichtigkeit des Verwaltungsakts durch den Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts feststellen (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 26. A. 2020, § 43, RdNr. 20). Diese ist aus Gründen der Rechtssicherheit statthaft, da es für Laien nicht erkennbar ist, ob ein Verwaltungsakt nichtig oder rechtswidrig ist. Gerade, wenn die Anfechtungsklage verfristet ist, kann es sein, dass die Verpflichtungsklage erhoben wird.

Linne_Karlotta

Linne_Karlotta

9.2.2022, 10:17:05

Schaut auch gerne in meine Ausführungen, die ich zu Viktors Frage zu diesem Fall gemacht hat. Dort sind auch Argumente gegen die

Statthaftigkeit

der Verpflichtungsklage zu finden. Ich hoffe, ich konnte Euch weiterhelfen! Beste Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team

VIC

Victor

3.2.2022, 15:35:41

Ist die Rücknahme eines nichtigen VA überhaupt möglich/notwendig? Er entfaltet doch schon keinerlei Rechtswirkungen mehr. Zudem kommt mir bei solchen Fällen von nichtigen VA nur die

Nichtigkeitsfeststellungsklage

und ausnahmsweise auch die Anfechtungsklage aus Rechtssicherheitsgründen in den Sinn

Linne_Karlotta

Linne_Karlotta

9.2.2022, 10:01:23

Hallo Victor, danke für Deine Frage. Du hast vollkommen Recht damit, dass ein nichtiger Verwaltungsakt keine Rechtswirkung entfaltet (§ 43 Abs. 3 VwVfG) und deswegen auch nicht aufgehoben werden muss. Allerdings ist es für die Bürger*innen oft nicht erkennbar, ob ein Verwaltungsakt nichtig oder „nur" rechtswidrig ist. Aus diesen Gründen kann ja auch - wie Du schon richtig erwähnt hast - die Anfechtungsklage gerichtet auf die „Aufhebung“ des nichtigen Verwaltungsakts statthaft sein. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes wird nicht nur die Anfechtungsklage gerichtet auf die Aufhebung eines nichtigen Verwaltungsakts als statthaft anerkannt, sondern nach h.M. auch die Verpflichtungsklage gerichtet auf die Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts durch die

Behörde

.

Linne_Karlotta

Linne_Karlotta

9.2.2022, 10:03:06

(Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 26. A. 2020, § 43, RdNr. 20). Die hier primär verwendete Quelle (Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 17. A. 2020, RdNr. 446) spricht in diesem Zusammenhang etwas ungenau von der „Verpflichtungsklage gerichtet auf die Rücknahme eines nichtigen Verwaltungsakts.“ Diese Formulierung ist in der Tat etwas verwirrend und wir werden das im Fall ausbessern.

Linne_Karlotta

Linne_Karlotta

9.2.2022, 10:04:07

Die betroffene Person hat jedenfalls nach h.M. die Wahl, ob sie die

Nichtigkeitsfeststellungsklage

oder die Verpflichtungsklage erhebt. Gegen diese Ansicht kann argumentiert werden, dass die

Nichtigkeitsfeststellungsklage

unmittelbar zur Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsakts führt, wohingegen die

Behörde

nach einer erfolgreichen Verpflichtungsklage „nur“ verpflichtet wird, die Nichtigkeit des Verwaltungsakts durch den Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts festzustellen. Mit dem Argument der Spezialität und des intensiveren Rechtsschutzes ist es daher auch gut vertretbar, die

Statthaftigkeit

der Verpflichtungsklage im Zusammenhang mit nichtigen Verwaltungsakten abzulehnen (siehe auch Schenke, JuS 2016, 101f.).

Linne_Karlotta

Linne_Karlotta

9.2.2022, 10:04:33

In der Klausur wird sich die Problematik i.d.R. nicht stellen, da Du im Gutachten sowieso auf die

Statthaftigkeit

der

Nichtigkeitsfeststellungsklage

abstellen würdest. In der Praxis kann es aber durchaus vorkommen, dass eine Verpflichtungsklage erhoben wird. In diesen Fällen ist es m.E. sinnvoll, die nun mal erhobene Klage dann auch als statthaft anzusehen. Ich hoffe, ich konnte Deine Frage damit beantworten! Beste Grüße, Linne - für das Jurafuchs-Team

Busches Bester

Busches Bester

29.12.2023, 12:00:37

ist hier nicht eher die FFK anwendbar, da der VA sich wegen Wegfalls des Bezugsobjekts erledigt hat und die FFK in diesem Fall als amputierte Anfechtungsklage der

Nichtigkeitsfeststellungsklage

sogar vorrangig wäre?

Busches Bester

Busches Bester

29.12.2023, 12:28:11

Okay, Selbstkorrektur. Der Mandant will hier nicht die Feststellung der Rechtswidrigkeit des ursprünglich wirksamen aber jetzt erledigten VA, sondern die Feststellung der Nichtigkeit des VA in seiner jetzigen Form.

LELEE

Leo Lee

30.12.2023, 22:09:20

Hallo Busches Bester, vielen Dank für diese sehr gute Frage! In der Tat könnte man meinen, dass der VA sich erledigt habe. Beachte allerdings noch, dass neben dem Beg

ehre

n des Klägers auch die Bestandskraft des VAs ein Problem sein dürfte (wenn man mal die Nichtigkeit außen vorlässt). Denn selbst wenn man die FFK wählt, darf dadurch eine an sich unzulässige AK nicht bewirkt werden (deshalb gibt es die ganze Problematik bei der FFK bzgl. des Vorverfahrens). Hier dürfte also – neben dem Beg

ehre

n – fraglich sein, wie es sich auswirkt, dass der VA bereits bestandskräftig war. Denn bei einem bestandskräftigen VA ist die Klage i.d.R. unzulässig (meistens wegen einer verpassen Widerspruchsfrist) :). Einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht dir das Jurafuchsteam!


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