Zivilrecht

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Zivilprozessrecht

Zulässigkeit eines Teil-Vorbehaltsurteils bei Primäraufrechnung

Zulässigkeit eines Teil-Vorbehaltsurteils bei Primäraufrechnung

31. Mai 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Assessorexamen

Ingenieurin I verklagt B auf Zahlung von €50.000 für Planungsleistungen. B erkennt nur €25.000 an und erklärt hiergegen die Aufrechnung, da aufgrund von Is schlechter Bauüberwachung Mängel am Bauwerk entstanden seien (€70.000). Hinsichtlich der Restforderung (€45.000) erhebt B Widerklage. B wird durch Teil-Vorbehaltsurteil zur Zahlung von €25.000 verurteilt.

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Einordnung des Falls

Zulässigkeit eines Teil-Vorbehaltsurteils bei Primäraufrechnung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. I steht aufgrund Ingenieurvertrags dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch gegen B zu.

Ja, in der Tat!

Durch einen Ingenieurvertrag wird der Besteller zur Entrichtung der vereinbarten Vergütung verpflichtet (§ 650q Abs. 1, 631 Abs. 1 BGB). Das Bestehen des Ingenieursvertrag hat B unstreitig gestellt, indem er anerkannte, dass er I jedenfalls €25.000 schulde.Bei den Regelungen nach §§ 650a ff. BGB handelt es sich um Modifikationen des Werkrechts. Soweit hier keine abweichende Regelung zum Werkvertrag getroffen wird, kann auf die werkvertraglichen Regelungen zurückgegriffen werden.
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2. B stünde ein Schadensersatzanspruch zu, wenn infolge mangelhafter Bauüberwachung durch I Mängel am Bauwerk entstanden sind und I dies zu vertreten hätte.

Ja!

Ein Anspruch könnte sich aus §§ 650q Abs. 1, 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB ergeben. Dies setzt voraus: (1) Schuldverhältnis, (2) Pflichtverletzung, (3) Vertretenmüssen. Der Ingenieurvertrag ist ein Schuldverhältnis. Sofern I den Bau tatsächlich mangelhaft überwacht hat, so stellt dies eine Pflichtverletzung dar (§ 650p BGB). Diese müsste I auch zu vertreten gehabt haben, wobei dies vermutet würde (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Bei dem behaupteten Anspruch handelt es sich um einen Schadensersatz neben der Leistung, da die Mängel am Bauwerk durch eine Nacherfüllung der I nicht entfielen. Denn I schuldete nicht die mangelfreie Errichtung des Bauwerks, sondern die Planung und Überwachung. Auch durch Nachholung dieser Leistung, würden die behaupteten Mängel nicht entfallen.

3. Sofern der Schadensersatzanspruch des B besteht, wäre der Anspruch der I auf Vergütung nicht durchsetzbar (§ 273 Abs. 1 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB besteht, wenn der Schuldner einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger aus demselben rechtlichen Verhältnis hat. Eine Zurückbehaltung ist aber ausgeschlossen, wenn die beiderseitigen Ansprüche gleichartig sind. Denn eine „Zurückbehaltung“ einer fälligen Geldforderung wegen einer gleichfalls fälligen Gegenforderung auf Geld liefe auf eine Aufrechnung hinaus, deren Voraussetzungen nicht unterlaufen werden dürfen. Sowohl der Schadensersatz- als auch der Vergütungsanspruch sind auf Geld gerichtet und damit gleichartig. Es besteht kein Zurückbehaltungsrecht. Die Aufrechnung geht vor.

4. Die Voraussetzungen des § 302 Abs. 1 ZPO zum Erlass eines Vorbehaltsurteils über Is Lohnforderung lagen vor.

Ja, in der Tat!

Ein Vorbehaltsurteil kann nach dem Wortlaut des § 302 Abs. 1 ZPO ergehen, wenn (1) der Beklagte die Aufrechnung mit einer Gegenforderung erklärt hat und (2) nur die Verhandlung über die Klageforderung entscheidungsreif ist. Die Wirkung einer materiell-rechtlich begründeten Aufrechnung wird vorübergehend ausgesetzt. Entscheidungsreife besteht, sobald klar ist, ob der Klage stattzugeben ist oder sie als unzulässig oder als unbegründet abgewiesen werden muss. Vorliegend bestand die Forderung der I unstreitig i.H.v. €25.000. Die Gegenforderung des B, mit der er die Aufrechnung erklärt hatte, ist dagegen streitig und somit nicht entscheidungsreif.

5. Allerdings ist ein Vorbehaltsurteil unzulässig, wenn eine vorläufige Durchsetzbarkeit der Forderung das Synallagma verletzen würde.

Ja!

Durch Vorbehaltsurteil erhält der Kläger einen Titel über eine Forderung, die ggf. schon nach § 389 BGB erloschen ist. Dies nimmt der Gesetzgeber hin, um eine Prozessverschleppung mit unberechtigten Gegenforderungen zu verhindern. Allerdings ist ein Vorbehaltsurteil unzulässig, wenn der Beklagte ggü. der Klageforderung mit einer aus demselben Vertragsverhältnis erwachsenen Gegenforderung aufrechne, durch die das Synallagma hergestellt werden soll (z.B. Werklohn und Schadensersatz wegen Mängelbeseitigungskosten). Denn der Kläger dürfe nicht davon profitieren, den Vertrag nicht erfüllt zu haben und zudem der Nacherfüllungsaufforderung nicht nachgekommen zu sein (RdNr. 17).

6. Vorliegend verletzt die vorläufige Durchsetzbarkeit der Lohnforderung das Synallagma des Ingenieursvertrags, sodass das Vorbehaltsurteil unzulässig ist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Vorbehaltsurteil ist unzulässig, wenn der Besteller ggü. der Klageforderung mit einem Anspruch aufrechnet, der dazu dient, das durch den Vertrag geschaffene Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung herzustellen. Bei dem behaupteteten Anspruch wegen der im Bauwerk verkörperten Planungsmängel geht es um Schadensersatz neben der Leistung. Die geltend gemachten Schäden wären selbst durch eine rechtzeitige Nacherfüllung nicht entfallen, da die Ingenieurin nie die Errichtung des Bauwerks, sondern nur dessen Planung geschuldet hat. Der Sekundäranspruch erwuchs damit nicht aus einem vormals bestehenden Leistungsverweigerungsrecht (§ 320 BGB) aufgrund Nacherfüllungsanspruchs, sodass ein Vorbehaltsurteil das Äquivalenzverhältnis nicht berühren würde.

7. Vorliegend erging nicht nur ein Vorbehaltsurteil, sondern ein Teil-Vorbehaltsurteil.

Ja, in der Tat!

Das Gericht entschied zwar über Is Lohnforderung, wobei es sich eine Entscheidung über die Aufrechnung mit der Gegenforderung des B vorbehielt (=Vorbehaltsurteil). Es sprach I aber nicht die von ihr verlangten €50.000, sondern nur €25.000, mithin bloß einen Teil des einheitlichen Anspruchs, zu (=Teilurteil). Über den restlichen Teil der Lohnforderung entscheidet das Gericht durch sog. Schlussurteil, das auch ein Teilurteil darstellt.

8. Damit hinsichtlich Is Lohnforderung ein Teilurteil ergehen kann, müssen die Voraussetzungen des § 301 Abs. 1 ZPO vorliegen.

Ja!

Ist nur ein Teil des in einer Klage geltend gemachten Anspruchs entscheidungsreif, so hat das Gericht Teilurteil zu erlassen. Entscheidungsreife besteht, sobald klar ist, ob der Klage stattzugeben ist oder sie als unzulässig oder als unbegründet abgewiesen werden muss. Vorliegend ist Is Lohnforderung zumindest i.H.v. €25.000 entscheidungsreif, da B die Forderung zumindest in dieser Höhe anerkannt hat. Wenn die ZPO in § 301 ZPO von „Anspruch" spricht, ist nicht der materielle Anspruch (§194 BGB), sondern der dem Streitgegenstand entsprechende „prozessuale Anspruch“ gemeint.

9. Allerdings war der Erlass eines Teilurteils unzulässig, da hinsichtlich der vorbehaltenen Entscheidung über die Aufrechnung die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen besteht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Teilurteil ist grundsätzlich unzulässig, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen besteht. Eine solche ist anzunehmen, wenn es in dem Teilurteil um eine Frage geht, die sich im weiteren Verfahren noch einmal stellen kann.BGH: Das Bestehen des Ingenieursvertrags sei zwar auch im Nachverfahren über die Gegenforderung relevant. Trotzdem sei das Teilurteil zulässig. Früher war ein Vorbehaltsurteil nach § 302 ZPO a.F. unzulässig, wenn die Gegenforderung in rechtlichem Zusammenhang zur Klageforderung stand. Indem der Gesetzgeber nunmehr ein Vorbehaltsurteil auch bei konnexen Forderungen zulasse – wo sich im Nachverfahren oft dieselben Vorfragen stellen – erkenne er auch die Zulässigkeit eines Teilurteils in diesem Fall an (RdNr. 26f.).

10. Allerdings war der Erlass eines Teilurteils unzulässig, da zwischen Vorbehaltsurteil und der Widerklageentscheidung einander widersprechende Entscheidungen drohen.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Teilurteil ist grundsätzlich unzulässig, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen besteht. Eine solche ist anzunehmen, wenn es in dem Teilurteil um eine Frage geht, die sich im weiteren Verfahren noch einmal stellen kann. Auch i.R.d. Widerklage ist das Rechtsverhältnis zwischen I und B relevant. Jedoch besteht keine größere Gefahr der Widersprüchlichkeit als bzgl. des Schlussurteils (s.o.). Vielmehr unterliefe es den Zweck der Änderung des § 302 Abs. 1 ZPO, wenn ein Teilvorbehaltsurteil unzulässig wäre, weil die Gegen- die Klageforderung übersteige und der überschießende Teil widerklagend geltend gemacht werde. Denn dies sei nicht die Ausnahme, sondern der Regelfall (RdNr. 29f.).

11. Allerdings ist das Teilvorbehaltsurteil nach § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO unzulässig.

Nein!

Ein Teilurteil ist bei einem einheitlichen Anspruch, der nach Grund und Höhe streitig ist nur zulässig, wenn zugleich ein Grundurteil über die Restforderung ergeht. Der Lohnanspruch der I ist nur der Höhe nach streitig, sodass § 301 Abs. 1 S. 2 ZPO nicht direkt greift. Ob Teilurteile in diesen Fällen stets zulässig sind, lässt der BGH offen. Jedenfalls wenn - wie hier - zugleich eine Primäraufrechnung vorliege, bedürfe es eines widersprüchliche Urteile ausschließenden Grundurteils nicht. Bs Aufrechnung stelle ein eingeschränkt widerrufliches Geständnis (§§ 288, 290 ZPO) hinsichtlich des Bestehens des Ingenieursvertrages und damit des Anspruchsgrundes dar. Zudem würde B durch abweichenden Vortrag im Nachverfahren seiner eigenen Aufrechnung die Grundlage entziehen.

12. I kann noch vor Abschluss des übrigen Prozesses gegenüber B in Höhe von €25.000 vollstrecken.

Genau, so ist das!

Aus einem Vorbehaltsurteil kann bereits die Zwangsvollstreckung stattfinden, §§ 302 Abs. 3, 704 ZPO. Das Vorbehaltsurteil verhilft dem Kläger so zu einem schnellen, wenn auch vorläufigen Titel. Wird der Rechtsstreit nach Verkündung eines Vorbehaltsurteils fortgesetzt, so kann das Gericht auf Antrag jedoch Einschränkungen anordnen (§ 707 Abs. 1 S. 1 ZPO). Soweit sich die Gegenforderung im Nachverfahren als berechtigt erweist, so ist der Kläger verschuldensunabhängig zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Beklagten durch die Zwangsvollstreckung entstanden ist (§ 302 Abs. 4 S. 3 ZPO).
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Eine Besprechung von:
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