Gerichtsstandsvereinbarung

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T betreibt einen Tauchladen auf Sizilien. Für diesen deckt sich T bei Unternehmerin U aus Deutschland ein. T und U vereinbaren per E-Mail, dass für Streitigkeiten aus dem Vertrag Barcelona maßgeblicher Gerichtsstandort sein soll. Tatsächlich haben die Taucheranzüge Löcher. ‌

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Einordnung des Falls

Gerichtsstandsvereinbarung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Damit Barcelona als Gerichtsstandort in Frage kommt, müssten T und U eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung (Art. 25 Abs. 1 EuGVVO) getroffen haben.

Ja, in der Tat!

Keine der Parteien hat einen relevanten Bezug zu Spanien und Barcelona, sodass eine Zuständigkeit allein durch eine Gerichtsstandsvereinbarung in Betracht kommt. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 EuGVVO setzt voraus, dass (1) der Anwendungsbereich des Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO eröffnet ist. (2) Es muss sodann eine Willenseinigung über den Gerichtsstand getroffen worden sein (=Vereinbarung). (3) Diese muss bestimmt sein und (4) die formalen Anforderungen (Art. 25 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 EuGVVO) erfüllen.
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2. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO setzt voraus, dass beide Vertragsparteien aus einem Mitgliedsstaat kommen.

Nein!

Art. 25 EuGVVO erfordert nicht, dass die Parteien des Rechtsstreits selbst ihren Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat haben. Entscheidend für die Anwendung der EuGVVO ist allein die Vereinbarung der Zuständigkeit von Gerichten eines Mitgliedsstaats (=internationale Zuständigkeit), beziehungsweise eines konkreten Gerichts in einem Mitgliedsstaat (=örtliche Zuständigkeit). Die EuGVVO ist also auch anwendbar, wenn beide Vertragsparteien ihren Wohnsitz nicht in einem Mitgliedsstaat haben. T und U haben Barcelona als Gerichtsstandort gewählt, also die internationale und örtliche Zuständigkeit eines Gerichts in einem Mitgliedstaat vereinbart. Die EuGVVO findet somit Anwendung.

3. T und U haben eine Vereinbarung über den Gerichtsstandort getroffen (Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO).

Genau, so ist das!

Der Begriff der (Gerichtsstands-)Vereinbarung ist verordnungsautonom auszulegen. Die Vereinbarung stellt einen selbstständigen, vom Hauptvertrag in seiner Wirksamkeit unabhängigen, Vertrag dar. Die Vereinbarung muss sich auf eine entstandene Streitigkeit oder auf künftige, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Streitigkeit beziehen. T und U haben für künftige Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis – dem Kaufvertrag über die Taucheranzüge – Barcelona als Gerichtsstandort gewählt (örtliche Zuständigkeit). Bestehen Fragen über die materielle Wirksamkeit der Vereinbarung, sind diese nach dem Recht des Mitgliedsstaates zu beurteilen, dessen Zuständigkeit gewählt wurde (lex fori-Prinzip, vgl. Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO, Erwägungsgrund 20).

4. Da T und U die Vereinbarung lediglich per E-Mail getroffen haben, fehlt es an der notwendigen Form (Art. 25 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 EuGVVO).

Nein, das trifft nicht zu!

Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a) Alt. 1 EuGVVO fordert zwar grundsätzlich die Schriftform für Gerichtsstandsvereinbarungen. Der Schriftform gleichgestellt ist aber auch die elektronische Übermittlung (Art. 25 Abs. 2 EuGVVO). T und U haben die Vereinbarung per E-Mail getroffen. Der Vertragsschluss per E-Mail stellt eine elektronische Übermittlung dar, welche eine dauerhafte Aufzeichnung ermöglicht. Sie wird also den formalen Anforderungen gerecht. Es liegt somit eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung zwischen T und U vor. Ob die Schriftform (Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a) Alt. 1 EuGVVO), wie im deutschen Recht (§ 126 BGB), eine Unterschrift erfordert, ist umstritten.

5. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung begründet einen zusätzlichen Gerichtsstand neben dem allgemeinen und den besonderen Gerichtsständen (Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuGVVO).

Nein!

Eine Gerichtsstandsvereinbarung hat grundsätzlich zwei Wirkungen. Der Prorogationseffekt begründet die Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts, beziehungsweise der Gerichte des vereinbarten Staats. Zugleich wird aber vermutet, dass dadurch auch andere Gerichtsstände ausgeschlossen werden (sog. Derogationseffekt, Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuGVVO). Es handelt sich dann um einen sog. ausschließlichen Gerichtsstand. Die Vermutung ist aber widerlegbar. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung schließt also den allgemeinen und besondere Gerichtsstände aus.Aber Achtung: Ausschließliche Gerichtsstände nach Art. 24 EuGVVO können nicht derogiert werden (Art. 25 Abs. 4 EuGVVO). Außerdem gelten für die Schutzgerichtsstände besondere Anforderungen an die Gerichtsstandsvereinbarung.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

WO

Wolli

19.2.2024, 15:27:26

Voraussetzung bleibt aber weiterhin, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem EU Mitgliedsstaat hat, oder? Sonst wäre doch der allgemeine Anwendungsbereich der VO nicht eröffnet...

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

16.3.2024, 13:17:53

Wegen Erwgr. 13 der EuGVO hätte ich auch gesagt, dass wenigsten eine Partei der Gerichtsdtandsvereinbarung seinen Sitz in einem Mitgliedsstaat haben muss.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

16.3.2024, 13:26:54

Die Kommentierung zu Art 25 sieht es jedoch anders: „Während es nach der Fassung von 2001 und im LugÜ darauf ankommt, dass wenigstens eine Partei ihren Sitz/Wohnsitz in einem Mitglied-/Vertragsstaat hat, ist der Wohnsitz der Parteien oder ihre Staatsangehörigkeit nunmehr völlig irrelevant.“ (Gottwald, MüKo ZPO, Art. 25 Rn. 2)


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