Herausgabe einer Wohnung – Verknüpfung fristloser mit hilfsweise ordentlicher Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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V vermietet M eine Wohnung. M zahlt drei aufeinander folgende Monate die Miete nicht rechtzeitig. V erklärt die fristlose Kündigung, hilfsweise die fristgerechte Kündigung. M zieht nicht aus. V klagt auf Räumung. Einen Tag später zahlt M die rückständige Miete.

Einordnung des Falls

Herausgabe einer Wohnung – Verknüpfung fristloser mit hilfsweise ordentlicher Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wenn V Eigentümer der Wohnung ist, hat er daneben auch einen Anspruch gegen M auf Herausgabe der Wohnung aus § 985 BGB, wenn er den Mietvertrag wirksam beendet hat.

Ja!

Nach Ablauf von Mietverhältnissen ist neben § 546 Abs. 1 auch § 985 BGB anwendbar. § 546 Abs. 1 BGB ist allerdings als vertragliche Anspruchsgrundlage spezieller. Sie gibt auch dem Vermieter, der nicht selbst Eigentümer der Mietsache ist, einen Anspruch auf Herausgabe.

2. Die fristlose Kündigung des V wurde unwirksam (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB), als M die Miete nachträglich gezahlt hat.

Genau, so ist das!

In § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB (nur auf Wohnraum anwendbar!) wird dem Mieter eine einmalige (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 HS. 1) Schonfrist von zwei Monaten nach Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs eingeräumt. Zahlt er die Miete und die nach § 546a Abs. 1 BGB fällige Entschädigung (oder verpflichtet sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung) in diesem Zeitraum vollständig, wird die fristlose Kündigung „unwirksam“. Durch die nachträgliche Zahlung der Miete durch M wurde die fristlose Kündigung unwirksam. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ist Ausdruck des sozialen Mietrechts und dient der Vermeidung von Obdachlosigkeit (Wöstmann, in: BeckOK BGB, § 569, RdNr. 16).

3. V hat einen Anspruch auf Herausgabe der Wohnung aus § 546 Abs. 1 BGB, wenn er den Mietvertrag wirksam beendet hat.

Ja, in der Tat!

Nach Ablauf des Mietverhältnisses hat der Vermieter einen Anspruch gegen den Mieter auf Rückgabe der Mietsache.

4. Indem V hilfsweise die fristgerechte Kündigung erklärte, hat er zum Ausdruck gebracht, dass diese dann Wirkung entfalten soll, wenn die Erklärung der fristlosen Kündigung fehlschlägt.

Ja!

Die Kündigungserklärung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie ist nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen (§§ 133, 157 BGB). Daran gemessen ergibt sich, dass V wenigstens die fristgerechte Kündigung erklären wollte, sofern die vorrangig gewollte fristlose Kündigung nicht zur angestrebten Beendigung führt (BGH, Urteil vom 19.09.2018 - VIII ZR 261/17, RdNr. 26).

5. Wenn die fristlose Kündigung „unwirksam“ wird (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB), bedeutet dies, dass sie ex tunc unwirksam wird, d.h. dass der ursprüngliche Mietvertrag wiederauflebt.

Genau, so ist das!

Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass das alte Mietverhältnis beendet bleibt, jedoch durch die Zahlung ein neuer Mietvertrag mit gleichem Inhalt entsteht. Der BGH sieht das mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm anders: Der Mieter, der das finanzielle Interesse des Vermieters befriedigt hat, solle so stehen, als ob das Mietverhältnis nicht beendet worden wäre (RdNr. 33ff.).

6. Die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung von Wohnraum lagen vor.

Ja, in der Tat!

Ein wichtiger Grund liegt nach §§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 lit. a), 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB vor, wenn der Mieter für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete (oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete) in Verzug ist. § 543 Abs. 2 S. 2 schließt die Kündigung aus, wenn der Mieter den Vermieter vor Kündigung befriedigt. Hier hat M jedoch erst nach Zugang der Kündigungserklärung gezahlt.

7. Die hilfsweise erklärte fristgerechte Kündigung des Mietverhältnisses war wirkungslos, weil das Mietverhältnis bereits durch die – zunächst wirksame – fristlose Kündigung beendet war. Folglich konnte das Mietverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs der Erklärung nicht mehr beendet werden.

Nein!

BGH: Die Kündigung als Gestaltungsrecht stellt bei vernünftiger, lebensnaher und objektiver Betrachtung auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt ab. Eine Betrachtung, die die Elemente Zahlungsverzug, Kündigung und nachträgliche Befriedigung des Vermieters trennt, würde zu einer Aufspaltung des einheitlichen Lebenssachverhalts in einzelne Bestandteile führen.

8. Die fristgerechte Kündigung unter einer Bedingung („hilfsweise“) verstößt gegen den Grundsatz, dass Gestaltungsrechte nicht an Bedingungen geknüpft werden dürfen. Sie war deshalb unwirksam.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Ausübung von Gestaltungsrechten ist grundsätzlich bedingungsfeindlich, weil der Erklärungsempfänger vor der Ungewissheit des Schwebezustandes geschützt werden soll. BGH: Hier sei die Erklärung aber unter keine Bedingung gestellt worden. Vielmehr habe der Kündigende beide Kündigungen gleichzeitig und unbedingt ausgesprochen. Die fristgerechte Kündigung sollte lediglich nachrangig geprüft werden, nämlich immer dann, wenn die fristlose Kündigung keine Wirkung entfaltet (RdNr. 50).

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ZAV

Zavviny

19.9.2020, 15:16:21

In der Antwort auf die letzte Frage fehlt mir persönlich der Hinweis, dass es sich um eine zulässige sog. Rechtsbedingung handelt, bei der die Erklärung nur von der bestehenden Rechtslage abhängig gemacht wird. Diese ist sowohl gegenwärtig als auch gewiss und den Parteien allenfalls unbekannt. Eine echte Bedingung im Rechtssinne (§ 158 BGB) setzt demgegenüber voraus, dass ein Rechtsgeschäft von einem künftigen und ungewissen Ereignis abhängig gemacht wird.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

12.11.2021, 11:28:19

Hallo Zavviny, in der Tat stellt die Rechtsbedingung keine Bedingung iSv § 158 Abs. 1 BGB dar. Ein Beispiel wäre zB die Eventual

aufrechnung im Prozess

, die unter die Bedingung gestellt wird, dass der Beklagte mit seinem Klageabweisungsantrag scheitert und deswegen hilfsweise mit einer anderen Forderung aufrechnet. Hier liegt kein ungewisses Ereignis vor, denn die Rechtslage ist ja von Anfang "klar", nur weiß der Beklagte nicht, wie der Richter sie sieht. Der BGH hat in diesem Fall aber entschieden, dass die "hilfsweise" erklärte Kündigung nicht nur unter der Bedingung erfolgt, dass die fristlose Kündigung unwirksam sei. Vielmehr spricht er beide Kündigungen gleichzeitig aus. Das Wort "hilfsweise" soll lediglich die Prüfungsreihenfolge vorgeben. Insofern fehle es hier gänzlich an einer Bedingung, weswegen die Kündigungserklärung wirksam sei. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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