+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Hells-Angel H sieht den verfeindeten Bandido B auf dessen Motorrad sitzen und schießt ihm ins Bein. B verlangt bei der Polizei die Strafverfolgung des H. Später sagt B dem Staatsanwalt S, dass er doch kein Vorgehen gegen H mehr wünsche, er wolle die Sache selber regeln.

Einordnung des Falls

Strafanzeige/Antrag auf Strafverfolgung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Anfangsverdacht besteht.

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Genau, so ist das!

Voraussetzung für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist der Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO). Ein Anfangsverdacht besteht, wenn aufgrund konkreter tatsächlichen Anhaltspunkte nach kriminalistischer Erfahrung (= tatsächliche Komponente) die Begehung einer verfolgbaren Straftat (= rechtliche Komponente) möglich erscheint. An den Anfangsverdacht werden nur geringe Anforderungen gestellt. Aufgrund der Schilderungen und Verletzung des B erscheint es zumindest möglich, dass H eine gefährliche Körperverletzung begangen hat.

2. B hat ursprünglich eine reine Strafanzeige gegen H gestellt.

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Nein, das trifft nicht zu!

Eine Strafanzeige ist die (formlose) Mitteilung über einen Sachverhalt, der aus Sicht der mitteilenden Person Anlass zur Strafverfolgung bietet (§ 158 Abs. 1 Alt. 1 StPO). Es handelt sich um eine Anregung zur Prüfung des Anfangsverdachts. Ein Strafantrag im weiteren Sinne (Antrag auf Strafverfolgung) liegt hingegen vor, wenn ausdrücklich eine Strafverfolgung gewünscht wird (§ 158 Abs. 1 Alt. 2 StPO). Dies ist gegebenenfalls durch Auslegung der Erklärung zu ermitteln. B hat nicht nur den Sachverhalt mitgeteilt, sondern ausdrücklich die Strafverfolgung des H verlangt. Deshalb hat B auch einen Antrag auf Strafverfolgung gestellt (§ 158 Abs. 1 Alt. 2 StPO).

3. Weil B seinen Strafantrag zurückgenommen hat, kann S den H nicht verfolgen.

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Nein!

Zur Verfolgung mancher Delikte ist ein Strafantrag im engeren Sinne erforderlich (§ 158 Abs. 2 StPO, §§ 77ff. StGB). Die gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) ist jedoch kein Antragsdelikt. Vielmehr handelt es sich um ein Offizialdelikt, welches von Amts wegen zu verfolgen ist. Deshalb ist die Staatsanwaltschaft unabhängig vom Willen des B zur Strafverfolgung verpflichtet, sobald sie Kenntnis vom Anfangsverdacht erlangt (Legalitätsprinzip, § 152 Abs. 2 StPO).

4. Strafanzeige und Strafantrag im weiteren Sinne unterscheiden sich durch den Verfolgungswillen nur formal.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Die Strafanzeige (§ 158 Abs. 1 Alt. 1 StPO) ist ein reiner Hinweis an die Staatsanwaltschaft. Der Antrag auf Strafverfolgung (§ 158 Abs. 2 Alt. 2 StPO) gibt dem Antragsteller zusätzlich Anspruch auf einen begründeten Bescheid, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt (§ 171 StPO). Ist der Antragsteller zugleich Verletzter, kann er gegen die Einstellungsentscheidung Beschwerde erheben und das Klageerzwingungsverfahren anstreben (§ 172ff. StPO).

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fannybracht

fannybracht

18.7.2023, 11:37:51

Wie wäre es, wenn es sich um ein reines Antragsdelikt gehandelt hätte? Könnte B dann den Antrag zurückziehen und die StA würde aufhören zu ermitteln?

AB

Abi

27.7.2023, 22:47:21

Ja! Siehe $ 77d StGB. Es soll dem Verletzten obliegen, ob die Straftat verfolgt wird oder nicht.


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