Klageerzwingungsverfahren 1

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T sagt zu O, dass er ihm die Zunge abschneiden werde, wenn O weiter so viel über ihn lästert. O verlangt von der Staatsanwältin S die Strafverfolgung, diese stellt das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts ein (§ 170 Abs. 2 StPO).

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Einordnung des Falls

Klageerzwingungsverfahren 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. O ist Verletzter der Bedrohung (§ 241 StGB).

Ja!

Verletzter ist jeder, der durch die behauptete Tat in seinen Rechten, Rechtsgütern oder rechtlich anerkannten Interessen beeinträchtigt ist. Es geht dabei um das berechtigte Genugtuungsinteresse (Vergeltungsbedürfnis). Der Begriff ist grundsätzlich weit auszulegen. Verletzte sind beispielsweise auch die Eltern oder der Ehegatte eines Mordopfers oder jemand, zu dessen Nachteil bei § 267 StGB eine gefälschte Urkunde in den Rechtsverkehr gelangt ist. O wurde in seinem Rechtsfrieden und seiner Handlungsfreiheit durch T verletzt.
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2. O muss für eine Klageerzwingung zunächst einen Strafantrag gestellt haben.

Genau, so ist das!

Das Klageerzwingungsverfahren kann nur betreiben, wer zuvor zumindest konkludent einen Strafantrag im weiteren Sinne (§ 158 Abs. 1 Alt. 2 StPO) gestellt hat (§ 172 Abs. 1 S. 1 StPO iVm § 171 StPO). O hat die Strafverfolgung des T verlangt.

3. O kann gegen den Einstellungsbescheid sofort beim OLG einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Verletzte muss zunächst gegen Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft beim Generalstaatsanwalt Beschwerde einlegen (§ 172 Abs. 1 StPO). Bleibt die Beschwerde erfolglos, kann der Antragsteller binnen eines Monats Antrag auf gerichtliche Entscheidung beim OLG stellen und damit das eigentliche Klageerzwingungsverfahren betreiben (§ 172 Abs. 3, 4 StPO). O muss zunächst Beschwerde beim Generalstaatsanwalt einlegen.

4. Ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung begründet, erhebt das OLG selbst Anklage gegen T.

Nein!

Verwirft das OLG den Antrag als unzulässig oder unbegründet gem. § 174 Abs. 1 StPO, erfolgt keine Anklage. Ist der Antrag dagegen zulässig und begründet, ordnet das OLG per Beschluss die Erhebung der öffentlichen Klage an (§ 175 S. 1 StPO). Die Staatsanwaltschaft ist an diesen Beschluss gebunden und hat entsprechend Klage zu erheben (§ 175 S. 2 StPO).

5. Für den Erfolg und die Begründetheit des Antrages ist es notwendig, dass ein dringender Tatverdacht besteht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Antrag ist begründet, wenn sich bei sachlicher Prüfung desjenigen Lebensvorganges, der dem Gericht durch den Antrag als Prüfungsmaßstab vorgelegt wurde, der hinreichende Verdacht einer Straftat ergibt und als Rechtsfolge keine Verfahrenseinstellung nach Opportunitätsgrundsätzen gem. §§ 153 ff. StPO angezeigt erscheint. Nach hM kann das OLG bei Bejahung des hinreichenden Tatverdachts das Ermittlungsverfahren aus Opportunitätsgründen selbst einstellen, sofern der Beschuldigte und die Staatsanwaltschaft zustimmen (§§ 153 Abs. 2, 153a Abs. 2 StPO analog). Es ist also nicht dringender, sondern hinreichender Tatverdacht erforderlich.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Leporello

Leporello

22.5.2021, 14:01:18

Die Fragestellung halte ich für missverständlich. Es könnte ein „nur“ vor das „begründet“ eingefügt werden. Denn bei dringenden Tatverdacht dürfte der Antrag stets begründet sein, aber halt nicht nur dann.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

22.5.2021, 14:26:07

Ich denke, man muss differenzieren: Für den Antrag ist hinreichender Tatverdacht erforderlich. „Nur“ dringender Tatverdacht reicht nicht aus. Anders formuliert: Ein dringender Tatverdacht ist nicht ausreichend. Insofern würde m. E. das von Dir vorgeschlagene „nur begründet“ nichts an dieser Bewertung ändern.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

22.5.2021, 14:28:24

* Dringender TV ist stets dynamisch und kann sich entwickeln. Hinreichender TV meint, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung höher ist als die eines Freispruches. Somit sind die Anforderungen höher als bei dringendem Tv.

Leporello

Leporello

22.5.2021, 14:49:22

Dem Grade nach ist der dringende Tatverdacht stärker als der hinreichende Tatverdacht (vgl. Meyer – Goßner § 112 Rn. 6). Auch wenn der dringende Tatverdacht dynamisch ist und den hinreichenden nicht zwingend voraussetzt, ist die vorliegende Fragestellung meines Erachtens zumindest missverständlich, wenn man „stimmt nicht“ auswählen muss, wenn dringender Tatverdacht vorliegt (dann ja hier im Kontext auch zu dem Zeitpunkt, da der hinreichende vorliegen muss). Wenn nach der

Begründetheit

gefragt wird, dann ist in diesem Moment ja wohl der Zeitpunkt der Anklagehebung gemeint, und zu diesem Zeitpunkt muss der dringende Tatverdacht stärker sein als der hinreichende.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

22.5.2021, 15:24:47

Dem stimme ich Dir zu, dass der dringende TV dem Grade nach stärker ist als der hinreichende TV. Dennoch geht man bei letzterem weiter: Beim dringendem TV (zB für einen Antrag auf U-Haft, §§ 112 ff. StPO) sind nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen die hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte an einer Straftat / Handlung beteiligt war. Demgegenüber kommt es bei diesem Verdachtsgrad gerade nicht darauf an, ob auch eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als keine. Der hinreichende TV zeichnet sich durch eine „doppelte Prognoseentscheidung“ aus: Neben der o.g. Wahrscheinlichkeit (zur Tat) kommt hinzu, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung höher ist als die eines Freispruches. Anders gesagt: Beim hinreichenden TV kommt in der Prüfung nochwas „hinzu“ (nämlich eine Rechtsprüfung!) was beim dringenden TV nicht geprüft wird. Das ist mE davon zu trennen, dass - wie Du richtig sagst - der Verdachtsgrade an sich unterschiedlich ausgeprägt sind. —————— Natürlich könnte man gerne den Text etwas präzisieren 😇

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.5.2021, 16:30:20

Hallo zusammen, wir haben den Fragetext jetzt etwas umformuliert, um die Zielrichtung etwas deutlicher zu machen. Letztlich ist es nach meiner Erfahrung indes wenig ratsam, die beiden Begriffe zwingend in ein Stufenverhältnis zu bringen. Denn sie werden zu unterschiedlichen Zeiten des Ermittlungsverfahrens und bei verschiedenen Normen relevant. Der unmittelbare Vergleich, welcher "stärker" ist, ist insofern nur bedingt hilfreich. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

17.9.2021, 11:11:48

Hallo Ihr Lieben, zu dieser Aufgabenstellung hätte ich eine Frage: Läuft die Beschwerde beim

Klageerzwingungsverfahren

( § 172 I StPO) zunächst immer an den Generalstaatsanwalt beim OLG? LG.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.11.2021, 11:11:39

Hallo Paci, nach §172 Abs. 1 S. 1 StPO entscheidet über die Beschwerde der "vorgesetzte Beamte der Staatsanwaltschaft". Dies ist nach §§ 145, 147 GVG der erste Beamte der StA, die der einstellenden StA nach den landesrechtlichen Organisationsbestimmungen übergeordnet ist. In der Regel ist dies der Generalstaatsanwalt beim OLG (vgl. KK-StPO/Moldenhauer, 8.A.2019, § 172 RdNr. 5). Die Beschwerde kann aber auch bei der Staatsanwaltschaft eingelegt werden und wird dann an den Generalstaatsanwalt weitergeleitet. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SabrinaAusBerlin

SabrinaAusBerlin

10.6.2024, 16:30:45

Wer Verletzter iSd StPO ist, bestimmt § 373b StPO. "Im Sinne dieses Gesetzes sind Verletzte diejenigen, die durch die Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, in ihren

Rechtsgüter

n unmittelbar beeinträchtigt worden sind oder unmittelbar einen Schaden erlitten haben.", § 373b Absatz 1 StPO In Absatz 2 ist dann aufgezählt, wer "Verletzten im Sinne des Absatzes 1 gleichgestellt" ist.

TR

Tobias R

21.8.2024, 08:57:57

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Be

drohung

(§ 241 StGB) um ein Privatklagedelikt i.S.d. § 374 StPO handelt. Wird das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung (§ 241 Abs. 5 i.V.m. § 230 Abs. 1 StGB) von den Ermittlungs

behörde

n verneint, dann ist der Verletzte gemäß § 170 Abs. 2 i.V.m. §§ 374, 376 StPO auf den Privatklageweg zu verweisen. Zu einem

Klageerzwingungsverfahren

kommt es dann wegen § 172 Abs. 2 S. 3 StPO überhaupt nicht mehr.


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