Ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts bei schlafendem Schöffen? – Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: Auf der Richerbank eines Gerichtssaals sitzt neben dem Richter ein Schalfender Schöffe.

Während der Staatsanwalt die Anklage verliest, hat Schöffe S die Augen zu und den Mund geöffnet. Verteidiger V weist Richter R darauf hin. R erwidert, dass S wach sei. S reagiert nicht. Erst als sich die anderen Richter zu S wenden, öffnet S die Augen. Er benötigt einen Moment, um sich zu sammeln. Die Verlesung der Anklage wird nicht wiederholt. Das LG verurteilt den Angeklagten A.

Einordnung des Falls

Ein drei Monate andauernder Prozess muss aufgrund eines bei der Anklageverlesung schlafenden Schöffen komplett wiederholt werden – dies hat nun der BGH entschieden. Damit war das Gericht bei einem wesentlichen Teil der Hauptverhandlung nicht ordnungsgemäß besetzt. Somit liegt ein absoluter Revisionsgrund vor.

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Kann A gegen das Urteil Revision einlegen (§ 333 StPO)?

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Genau, so ist das!

Gegen erstinstanzliche Urteile des Landgerichts ist nur die Revision statthaft (§ 333 StPO). Bei der Revision wird das Urteil rechtlich überprüft. Das Revisionsgericht prüft, ob das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§ 337 StPO).

2. Ist für die Revision das Oberlandesgericht zuständig?

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Nein, das trifft nicht zu!

Über Revisionen gegen erstinstanzliche Urteile des Landgerichts entscheidet der Bundesgerichtshof (§ 135 Abs. 1 GVG). Die Oberlandesgerichte sind letztinstanzlich zuständig für die Sprungrevisionen gegen erstinstanzliche Urteile der Amtsgerichte und für Revisionen gegen Berufungsurteile der Landgerichte (§ 121 Abs. 1 GVG). Hier handelt es sich um ein erstinstanzliches Urteil eines Landgerichts. Deshalb ist der BGH zuständig.

3. Kann die Revision darauf gestützt werden, dass das Gericht bei einem wesentlichen Teil der Verhandlung nicht vorschriftsmäßig besetzt war (§ 338 Nr. 1 StPO)?

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Ja!

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen (absoluter Revisionsgrund), wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (§ 338 Nr. 1 StPO). Das Gericht kann aus verschiedenen Gründen nicht vorschriftsmäßig besetzt sein: So kann etwa der Geschäftsverteilungsplan falsch sein oder ein falscher Vertreter eingesetzt werden. In der Vorschrift spiegelt sich der Anspruch auf den gesetzlichen Richter wider (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG).

4. Ist ein Schöffe anwesend, wenn er schläft?

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Genau, so ist das!

Zweck der Vorschriften über die Besetzung des Gerichts ist die Sicherung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Der Schöffe übt während der Hauptverhandlung das Richteramt mit dem gleichen Stimmrecht wie die Berufsrichter aus (§ 30 Abs. 1 GVG). Zu dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter gehört nicht nur, dass der Richter physisch anwesend ist. Dazu gehört auch, dass der Richter nicht so stark abgelenkt ist, dass er dem Inhalt der Verhandlung nicht folgen kann. Schläft der Schöffe, ist er geistig nicht anwesend und kann der Verhandlung deshalb nicht folgen.

5. War das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 338 Nr. 1 StPO)?

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Ja, in der Tat!

BGH: Nach einer Gesamtwürdigung der Umstände sei bewiesen gewesen, dass der Schöffe während der Verlesung des Anklagesatzes teilweise geschlafen hat. Bei der Verlesung des Anklagesatzes handele es sich um einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung. Diesem Teil habe der Schöffe während einer erheblichen Zeitspanne schlafbedingt nicht gefolgt. Aus diesem Grund war das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt (RdNr. 6).

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