Ungleichartige Wahlfeststellung - Jurafuchs

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: Der Richter überlegt, ob T wegen Diebstahl oder Hehlerei schuldig zu sprechen ist.
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Klassisches Klausurproblem

Auf dem Schrottplatz des T findet die Polizei mehrere gestohlene Autos. T weiß, dass es sich um gestohlene Fahrzeuge handelt. Im Prozess gegen T kann das Gericht aber nicht feststellen, ob T die Fahrzeuge selbst gestohlen oder sie nur vom Dieb angekauft hat.

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Einordnung des Falls

Das BVerfG hat entschieden, dass das sogenannte ungleichartige „Wahlfeststellungsverfahren" mit der Verfassung vereinbar ist. Das Verfahren ermöglicht es Gerichten, einen Angeklagten zu verurteilen, auch wenn Zweifel darüber bestehen, welche individuellen Handlungen der Angeklagte begangen hat. Das Gericht stellte fest, dass das Wahlbestimmungsverfahren die Unschuldsvermutung nicht verletzte, solange die betreffenden Verbrechen einen vergleichbaren rechtswidrigen Charakter hätten. Das Wahlfeststellungsverfahren dürfe aber nur als Ausnahme verwendet werden, wenn alle verfügbaren Mittel zur Klärung des Sachverhalts ausgeschöpft wurden und eine klare Bestimmung der Tat und ein Nachweis der Schuld nicht möglich sei.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat T sich wegen Diebstahls (§ 242 StGB) strafbar gemacht, wenn er die Autos selbst weggenommen hat?

Ja!

Eine Strafbarkeit wegen Diebstahls setzt nach § 242 Abs. 1 StGB voraus: (1) Objektiver Tatbestand: (a) fremde, bewegliche Sache, (b) Wegnahme; (2) subjektiver Tatbestand: (a) Vorsatz, (b) Absicht rechtswidriger Zueignung; (3) Rechtswidrigkeit; (4) Schuld. Wenn B selbst die Autos weggenommen hat, hat er sich wegen Diebstahls strafbar gemacht.
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2. Hat T sich wegen Hehlerei (§ 259 StGB) strafbar gemacht, wenn er die Autos vom Dieb gekauft hat?

Genau, so ist das!

Hehlerei setzt nach § 259 StGB voraus: (1) Objektiver Tatbestand: (a) rechtswidrige Vortat eines anderen, (b) dadurch erlangte Sache, (c) Ankaufen; (2) Subjektiver Tatbestand: (a) Vorsatz, (b) Bereicherungsabsicht; (3) Rechtswidrigkeit; (4) Schuld. Wenn B in dem Wissen, dass sie gestohlen wurden, die Autos angekauft hat, hat er sich wegen Hehlerei strafbar gemacht.

3. Kann T sich hinsichtlich derselben Autos sowohl wegen Hehlerei als auch wegen Diebstahls strafbar machen?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Straftatbestände des Diebstahls und der Hehlerei schließen sich hinsichtlich desselben Tatobjekts aus. Die Hehlerei setzt nach § 259 StGB voraus, dass "ein anderer" als der Täter die Sache gestohlen hat. T kann also nicht Täter eines Diebstahls sein und sich beim Verkauf der gestohlenen Sache zusätzlich wegen Hehlerei strafbar machen.

4. Muss das Gericht T sowohl wegen Hehlerei als auch wegen Diebstahls freisprechen, wenn es nicht sicher feststellen kann, ob T die Fahrzeuge selbst gestohlen oder nur angekauft hat?

Nein!

Zwar ist in dieser Konstellation keine der beiden Varianten dem T sicher nachzuweisen, sodass ein Freispruch "in dubio pro reo" die logische Konsequenz wäre. Die Rechtsprechung hat jedoch das Rechtsinstitut der Wahlfeststellung entwickelt. Danach ist eine alternative Verurteilung möglich, wenn der Sachverhalt nach Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten nicht so weit aufgeklärt werden kann, dass die Feststellung eines bestimmten Straftatbestands möglich ist, aber sicher feststeht, dass T einen von mehreren alternativ in Betracht kommenden Tatbeständen erfüllt hat und straflose Sachverhaltsgestaltungen sicher ausgeschlossen sind (RdNr. 3).

5. Ist die Wahlfeststellung ausgeschlossen, wenn zwei unterschiedliche Straftatbestände in Betracht kommen (hier: Hehlerei und Diebstahl)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Diese Konstellation wird "ungleichartige Wahlfeststellung" genannt. Eine alternative Verurteilung erfordert in einer solchen Konstellation, dass die Straftatbestände rechtsethisch und psychologisch gleichwertig sein müssen. Rechtsethische Gleichwertigkeit setzt voraus, dass die Straftatbestände nach dem allgemeinen Rechtsempfinden in Art und Schwere gleichwertig beurteilt werden. Psychologische Gleichwertigkeit erfordert eine einigermaßen gleichgeartete innere Beziehung des Täters zu den möglichen Verhaltensweisen (RdNr. 3).

6. Ist die Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei wegen der rechtsethischen und psychologischen Gleichwertigkeit zulässig?

Ja, in der Tat!

Die Gleichwertigkeit zwischen Diebstahl und Hehlerei wird in ständiger Rechtsprechung bejaht (Fischer, StGB, 64.A, 2017, § 1 RdNr. 42). In seiner aktuellen Entscheidung bestätigt auch das BVerfG die Möglichkeit der alternativen Verurteilung wegen Hehlerei oder Diebstahls. BVerfG: Die ungleichartige Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei verletze weder das Bestimmtheitsgebot noch den Grundsatz "nulla poena sine lege" (Art. 103 Abs. 2 GG). Denn sie wirke nicht strafbarkeitsbegründend, sondern stelle nur eine prozessuale Entscheidungsregel dar. Auch für T sei klar, dass er sich in jedem Fall strafbar gemacht habe (RdNr. 24ff.).
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