Ungleichartige Wahlfeststellung
13. Mai 2023
17 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Auf dem Schrottplatz des T findet die Polizei mehrere gestohlene Autos. T weiß, dass es sich um gestohlene Fahrzeuge handelt. Im Prozess gegen T kann das Gericht aber nicht feststellen, ob T die Fahrzeuge selbst gestohlen oder sie nur vom Dieb angekauft hat.
Diesen Fall lösen 87,1 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Das BVerfG hat entschieden, dass das sogenannte ungleichartige „Wahlfeststellungsverfahren" mit der Verfassung vereinbar ist. Das Verfahren ermöglicht es Gerichten, einen Angeklagten zu verurteilen, auch wenn Zweifel darüber bestehen, welche individuellen Handlungen der Angeklagte begangen hat. Das Gericht stellte fest, dass das Wahlbestimmungsverfahren die Unschuldsvermutung nicht verletzte, solange die betreffenden Verbrechen einen vergleichbaren rechtswidrigen Charakter hätten. Das Wahlfeststellungsverfahren dürfe aber nur als Ausnahme verwendet werden, wenn alle verfügbaren Mittel zur Klärung des Sachverhalts ausgeschöpft wurden und eine klare Bestimmung der Tat und ein Nachweis der Schuld nicht möglich sei.
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hat T sich wegen Diebstahls (§ 242 StGB) strafbar gemacht, wenn er die Autos selbst weggenommen hat?
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Hat T sich wegen Hehlerei (§ 259 StGB) strafbar gemacht, wenn er die Autos vom Dieb gekauft hat?
Genau, so ist das!
3. Kann T sich hinsichtlich derselben Autos sowohl wegen Hehlerei als auch wegen Diebstahls strafbar machen?
Nein, das trifft nicht zu!
4. Muss das Gericht T sowohl wegen Hehlerei als auch wegen Diebstahls freisprechen, wenn es nicht sicher feststellen kann, ob T die Fahrzeuge selbst gestohlen oder nur angekauft hat?
Nein!
5. Ist die Wahlfeststellung ausgeschlossen, wenn zwei unterschiedliche Straftatbestände in Betracht kommen (hier: Hehlerei und Diebstahl)?
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Ist die Wahlfeststellung zwischen Diebstahl und Hehlerei wegen der rechtsethischen und psychologischen Gleichwertigkeit zulässig?
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Panthenola
3.6.2020, 22:15:18
Ich finde tatsächlich, dass man bei Frage 2 noch irgendwas ergänzen sollte, was auf den
Vorsatzhinweist. Ansonsten könnte T die Kfz auch ohne zu wissen, dass es Diebesgut war, angekauft haben. Ich war darum stark hin und her gerissen, ob ich die Aussage jetzt als richtig oder falsch bewerten soll. Das ist nicht eindeutig genug.

Eigentum verpflichtet 🏔️
4.6.2020, 00:23:09
Es ist im Sachverhalt zugegebenermaßen etwas umständlich formuliert. Allerdings steht da klar, dass T weiß, dass die Fahrzeuge gestohlen sind.

Panthenola
9.6.2020, 01:04:17
Ja, ist mir beim Lesen des SV gerade auch noch mal aufgefallen. Vielleicht habe ich es bei Frage 2 in dem Moment nicht mehr so präsent gehabt. 🙈

Christian Leupold-Wendling
22.6.2020, 15:37:12
Danke für die Frage! @Eigentum verpflichtet, was findest Du an dieser Formulierung umständlich? „T weiß, dass es sich um gestohlene Fahrzeuge handelt.“ :)

Dominik Rafanoharana
8.7.2020, 12:51:05
Entscheidend ist eher, welchen Strafmaß die beide Normen vorsehen, richtig? Das könnte man noch in die Begründung ein einbeziehen.

Der BGBoss
8.7.2020, 15:58:50
Dies ist in der Antwort mittels der psychologischen und rechtsethischen Gleichwertigkeit bereits integriert.
Harvejurco
24.1.2022, 23:17:15
Man könnte hier noch einbauen was eine gleichartige Wahlfeststellumg ist...

Lukas_Mengestu
26.1.2022, 11:47:19
Vielen Dank für den Hinweis, Harvejurco. Zur gleichartigen bzw. unechten Wahlfeststellung werden wir noch etwas in unseren systematischen Kursen ergänzen und dann hierauf verlinken. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Jonas22
25.12.2023, 17:54:44
Es wäre schön, wenn die Definitionen zur rechtsethischen und psychologischen Gleichwertigkeit durch den Definitionstrainer abgefragt werden könnten ☺️!

Linne_Karlotta_
23.10.2024, 17:45:58
Hallo Jonas22, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu unsere Lerninhalte entsprechend anpassen bzw. noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team

Bubbles
1.2.2024, 13:19:42
Die richtige Fundstelle lautet: BVerfG NJW 2019, 2837
Leo Lee
3.2.2024, 15:20:01
Hallo Bubbles, vielen Dank für den Hinweis! In der Tat hatte sich hier der Fehlerteufel eingeschlichen, weshalb wir den Fehler nun entsprechend korrigiert haben! Wir danken dir vielmals dafür, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren und freuen uns auf weitere Feedbacks von dir :)!! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Andeutungstheorie
27.2.2024, 17:39:26
Welche Rechtsfolge nimmt man dann her ? Hier ist ja beides mit FHS bis zu 5 Jahren oder
Geldstrafe sanktioniert, sodass es eigentlich keinen Unterschied macht. Würde man im Tenor dann wahlweise nach Diebstahl oder Hehlerei nennen ?

nullumcrimen
13.5.2024, 21:28:47
Ich frage mich auch, was die Rechtsfolge hier jetzt im Endeffekt ist.

Nocebo
31.10.2024, 10:54:05
Es erfolgt tatsächlich eine wahldeutige Verurteilung: "... wegen Diebstahls oder Hehlerei..." Anderes gilt, wenn ein eindeutiges Stufenverhältnis der Delikte vorliegt - dann wird nach dem milderen verurteilt.

Sebastian Schmitt
5.11.2024, 20:14:03
Hallo @[
Andeutungstheorie](164712), hallo @[nullumcrimen](224363), vielen Dank für Eure gute Nachfrage. @[Nocebo](222699) hat hier schon sehr gute Vorarbeit geleistet. Im Urteil steht nach hM tatsächlich zB "wegen Diebstahls oder Hehlerei zu [...] verurteilt." Diese alternative Formulierung ist nicht ganz unumstritten (näher zB Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger/Frister, StGB, 6. Aufl 2023, § 1 Rn 72), scheint mir aber auch iRd Vorbereitung auf das 2. Examen das üblicherweise Gelehrte zu sein. Der Strafrahmen wiederum ist dann dem milderen Strafgesetz zu entnehmen (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger/Frister, StGB, 6. Aufl 2023, § 1 Rn 73; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl 2019, § 1 Rn 107), was in unserem Fall allerdings nicht relevant wird. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

kithorx
29.1.2025, 01:19:33
Mir kommen die Ausführungen, mit denen die Vergleichbarkeit begründet werden soll, in der Form wie sie hier wiedergegeben sind sehr dünn vor. In einer Klausur hätte ich Sorge, damit nicht überzeugend genug zu sein.