Vorverlegung des Versuchsbeginns: Bereits mit Angriff auf Schutzmechanismen statt dessen Überwindung - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T hat einen Zigarettenautomaten mit einer Plane verhüllt, um diesen aufzubrechen und den Inhalt zu stehlen. Als jemand vorbeiläuft und dies sieht, rennt er weg.
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Klassisches Klausurproblem

T plant aus einem Zigarettenautomaten Geld zu entwenden. Zur Geräuschdämpfung verhüllt er ihn mit einer Plane. Er will eine Stromleitung legen. Mangels Steckdose kann er den mitgeführten Trennschleifer aber nicht nutzen. Gleiches gilt für seinen Hammer, da er entdeckt wird und fliehen muss.

Einordnung des Falls

Der BGH beschäftigt sich in diesem Urteil mit dem Versuchsanfang bei der Verwirklichung eines besonderes schweren Falls (Schutzvorrichtung, § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB). Zum unmittelbaren Ansetzen solle immer noch regulär das Ansetzen zum Grundtatbestand – zur Wegnahme – nötig sein. Dies setzte nach der alten Rechtsprechung noch das Überwinden der angegriffenen Schutzmechanismen voraus. Nun solle bereits der Angriff auf die Schutzmechanismen genügen. Nach der Lösung des BGH läge hier also bereits ein Versuchsbeginn vor, obwohl der Täter im konkreten Fall die Werkzeuge zur Überwindung der Schutzvorrichtungen noch nicht benutzt hatte.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Scheitert eine Strafbarkeit des T wegen versuchten Diebstahls bereits am „Tatentschluss" (§§ 242 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 2 StGB)?

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Nein!

Ein vollendeter Diebstahl ist nicht gegeben. Der Versuch des Diebstahls ist nach § 242 Abs. 2 StGB strafbar. T besaß Tatentschluss, denn er plante das für ihn fremde Bargeld aus dem Automaten zu entwenden, um es für sich zu behalten. Fraglich ist, ob er unmittelbar zur Tat angesetzt hat (§ 22 StGB). Dafür muss der Täter aus seiner Sicht die Schwelle zum „Jetzt geht es los" überschreiten. Das ist der Fall, wenn er eine Handlung vornimmt, die nach dem Tatplan in ungestörtem Fortgang ohne Zwischenschritte unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmünden oder in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen soll.

2. Hat T nach (neuer) Ansicht des BGH bereits „unmittelbar zur Tat angesetzt" (§ 22 StGB), indem er den Automaten mit einer Plane verhüllte?

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Genau, so ist das!

Nunmehr ist für das unmittelbare Ansetzen zur geplanten Wegnahme nicht erforderlich, dass ein angegriffener Schutzmechanismus erfolgreich überwunden wird. Vielmehr reicht der erste Angriff auf einen solchen Schutzmechanismus aus, wenn sich der Täter bei dessen Überwindung nach dem Tatplan ohne tatbestandsfremde Zwischenschritte, zeitliche Zäsur oder weitere eigenständige Willensbildung einen ungehinderten Zugriff auf die erwartete Beute vorstellt. Nach der Vorstellung des T sollte der Aufbruch des Automaten ihm ungehinderten Zugriff auf das Bargeld gewähren. Da sich das Verhüllen als Angriff auf den Schutzmechanismus darstellt, hat T unmittelbar angesetzt (a.A. vertretbar).

3. T hat zwar rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Ist er allerdings strafbefreiend vom Versuch „zurückgetreten" (§ 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB)?

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Nein, das trifft nicht zu!

T handelte rechtswidrig und schuldhaft. Indem T die Flucht ergriff, könnte er nach § 24 Abs. 1 S. 1 Var. 1 StGB strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten sein. Dann müsste T die weitere Ausführung der Tat freiwillig aufgegeben haben. Ein Aufgeben ist indes begrifflich undenkbar, wenn ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt. Ein derart fehlgeschlagener Versuch ist hier zu bejahen, da T erkannt hat, dass ihm die Tatbestandsverwirklichung ohne Zäsur des Gesamtgeschehens mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr möglich war. Folglich hat T sich wegen versuchten Diebstahls strafbar gemacht (§§ 242 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB).

4. Hat T sich wegen versuchten Diebstahls mit Waffen strafbar gemacht, sofern der Hammer ein „gefährliches Werkzeug" ist (§§ 242, 244 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB)?

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Ja!

Die Tat ist nicht vollendet. Der Versuch ist nach § 244 Abs. 2 StGB strafbar. Fraglich ist, ob T Tatentschluss zu § 244 Abs. 1 Nr. 1a Var. 2 StGB besaß. Dann müsste der Hammer ein gefährliches Werkzeug sein. Ein Rückgriff auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist indes nicht fruchtbar, weil dort auf die konkrete Verwendung abzustellen ist, auf die es hier nicht ankommt. Um der Gefahr einer uferlosen Einbeziehung beliebiger mitgeführter Alltagsgegenstände entgegenzuwirken, ist nicht allein ausreichend, dass der Gegenstand seiner Art nach überhaupt zu erheblichen Verletzungen geeignet ist. Welche einschränkenden Kriterien erfüllt sein müssen, ist strittig.

5. Ist der Hammer nach „subjektiver Betrachtung" des T als gefährliches Werkzeug anzusehen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1a Var. 2 StGB)?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Eine subjektivierende Ansicht verlangt einen Verwendungsvorbehalt des Täters, da eine objektive Bestimmung der Gefährlichkeit nicht möglich sei. Danach liegt kein gefährliches Werkzeug vor, denn T führte den Hammer lediglich mit, um den Automaten aufzubrechen. Eine solche subjektive Restriktion lässt sich jedoch mit dem Argument ablehnen, dass schon der Umkehrschluss zu § 244 Abs. 1 Nr. 1b StGB zeigt, dass die Gefährlichkeit allein objektiv zu bestimmen ist. Ferner ist der Wortlaut ersichtlich objektiv-einschränkend formuliert. Deswegen dürften objektivierende Sichtweisen zielführender sein.

6. Ist der Hammer nach „objektiv-abstrakter Betrachtung" des T als gefährliches Werkzeug anzusehen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1a Var. 2 StGB)?

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Ja, in der Tat!

Nach objektiv-abstrakter Betrachtung ist entscheidend, ob der Gegenstand eine Waffen vergleichbare Gefährlichkeit aufweist. Ein Hammer weist eine einer Schlagwaffe vergleichbare Gefährlichkeit auf, so dass nach dieser Ansicht ein gefährliches Werkzeug vorliegt. Eine solche Sichtweise, die eine nur latente Gefahr genügen lässt, trägt allerdings dem für die Strafandrohung erforderlichen Unrechtsgehalt nicht hinreichend Rechnung. Dies gilt umso mehr, als auch das sozial übliche Mitführen von Alltagsgegenständen in weitem Umfang erfasst wird. Überdies bleibt bei diesem Verständnis kaum noch ein Anwendungsbereich für § 244 Abs. 1 Nr. 1b StGB.

7. Ist der Hammer nach „objektiv-konkreter Betrachtung" des T als gefährliches Werkzeug anzusehen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1a Var. 2 StGB)?

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Nein!

Nach objektiv-konkreter Betrachtung muss dem Gegenstand nach den Umständen eine Waffenersatzfunktion zukommen oder einen objektiven Beobachter zu der Annahme veranlassen, der Täter wolle den Gegenstand zweckentfremdet in gefährlicher Weise verwenden. Vorliegend führte T den Hammer aber bloß als Aufbruchswerkzeug mit sich, so dass nach diesem Verständnis der Hammer des T kein gefährliches Werkzeug ist. Soweit man dieser Ansicht den Vorzug gibt, besaß T keinen Tatentschluss zu § 244 Abs. 1 Nr. 1a Var. 2 StGB, mit der Folge, dass eine Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls mit Waffen entfällt und auf § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB einzugehen ist.

8. Hat T nach Ansicht der Rspr. sich wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall strafbar gemacht (§§ 242, 22, 23 Abs. 1, 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB)?

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Genau, so ist das!

Ein versuchter Diebstahl liegt vor. Fraglich ist, ob ein besonders schwerer Fall des Diebstahls nach § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StGB vorliegt. Dieses Regelbeispiel ist nicht verwirklicht, sondern nur versucht. Strittig ist, ob ein solcher sog. Quasi-Versuch ausreicht, um die Indizwirkung des Regelbeispiels auszulösen. Die Rspr. bejaht dies und führt ins Feld, dass Regelbeispiele eine große Tatbestandsähnlichkeit aufwiesen, wobei der Unterschied zur Qualifikation nur auf Rechtsfolgenseite liege. Dass in § 243 StGB eine Versuchsstrafandrohung fehlt, sei im Übrigen unerheblich, da diese sich bereits aus § 242 Abs. 2 StGB ergibt.

9. Hat T nach Ansicht der h.L. sich nur wegen versuchten Diebstahls strafbar gemacht (§§ 242, 22, 23 Abs. 1 StGB)?

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Ja!

Die h.L. wirft der Rspr. vor, gegen das Analogieverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB zu verstoßen. So gelte § 22 StGB nämlich nur für Tatbestände, nicht aber für Strafzumessungsvorschriften. Auch könne der Versuch des Regelbeispiels ohne gesetzliche Legitimation kaum die von der Vollendung abhängige Rechtsfolge auslösen. Hiernach ist T nur wegen versuchten Diebstahls strafbar. In Tateinheit (§ 52 StGB) zum Diebstahlsversuch (in einem besonders schweren Fall, wenn man der Rspr. folgt) steht eine versuchte Sachbeschädigung (§§ 303 Abs. 1, Abs. 3, 22, 23 Abs. 1 StGB).

Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls (§§ 242 Abs. 1, 2, 22, 23 Abs.1 StGB)?

  1. Vorprüfung: (1) Kein vollendeter Diebstahl; (2) Strafbarkeit des Versuchs (§ 242 Abs. 2 StGB)
  2. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Tatentschluss
      1. Vorsatz bezüglich der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
      2. Zueignungsabsicht
      3. Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
    2. Unmittelbares Ansetzen (§ 22 StGB)
  3. Rechtswidrigkeit
  4. Schuld
  5. Strafaufhebungsgrund: Rücktritt (§ 24 Abs. 1, 2 StGB)
    1. Kein Fehlschlag
    2. Beendeter/Unbeendeter Versuch + Rücktrittshandlung
    3. Freiwilligkeit

Wie prüfst Du einen Diebstahl im besonders schweren Fall (§§ 242, 243 StGB)?

  1. Prüfung des § 242 StGB
  2. Strafzumessung: Besonders schwere Fälle (§ 243 StGB)
    1. Regelbeispiele § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1-7 StGB
    2. Vorsatz bezüglich des Regelbeispiels (§§ 15, 16 Abs. 1 S. 1 StGB analog)
    3. Kein Ausschluss (§ 243 Abs. 2 StGB)
    4. Entfallen der Indizwirkung bei gegebenem Regelbeispiel
    5. Unbenannter besonders schwerer Fall (§ 243 Abs. 1 S. 1 StGB) bei nicht gegebenem Regelbeispiel und Vorsatz

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EL

Elisabeth

20.8.2020, 09:50:39

Ich frage mich, ob die Ansicht der Rechtsprechung, dass aus einem versuchten Regelbeispiel bestraft werden kann, nicht im Widerspruch zum Analogieverbot im StrafR steht? §23 StGB sagt ja, nur Verbrechen und Vergehen sind prinzipiell strafbar und z.b. bei §243I ist die Mindeststrafe ja nur 3 Monate. Wie kann ich das Problem überwinden kann, bzw. wie bringt es die Rechtsprechung in Einklang?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

21.8.2020, 13:52:05

Hallo Elisabeth, danke für deine sehr gute Frage. Es stimmt, nach § 23 I StGB ist der Versuch eines Vergehens nur strafbar, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. Bei § 242 II StGB ist das der Fall, in § 243 StGB fehlt eine solche Vorschrift. Da der BGH aber die Strafbarkeit wegen §§ 242, 243, 22 StGB (beim Versuch des Diebstahls und eines Regelbeispieles) mit der Tatbestandsähnlichkeit des 243 begründet (wahrscheinlich auch, weil 243 StGB vor 1970 noch eine Qualifikation war), geht er (auch gerade wegen deines Arguments) über dogmatische Leichen und verstößt, auch meiner Ansicht nach, gegen das Analogieverbot. Deine Meinung entspricht der h.L. (vgl. MükoStGB/Schmitz, 3. Aufl., § 243 Rn. 89f.) und ist im 1. Examen sehr gut vertretbar!

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

21.8.2020, 13:59:24

Wir haben dank deiner Anmerkung jetzt auch noch die Ansicht der h.L. in dem Fall ergänzt. Vielen Dank nochmal!

EL

Elisabeth

21.8.2020, 15:07:26

Hallo Eigentum verpflichtet, Danke auch dir für deine ausführliche und schnelle Antwort! Ich freue mich, dass ich zur Ergänzung des Falls beigetragen habe :) und das Argument mit der ehemaligen Qualifizierung von §243 ist extrem top, vielleicht habe ich ja Glück und der Fall ist einmal Gegenstand einer Klausur....

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

21.8.2020, 18:11:49

Hallo Elisabeth, danke für das Lob :) Dass dir so ein Fall mal begegnet ist gar nicht so unwahrscheinlich, die Diebstahlsdelikte sind in vielen Bundesländern immer sehr examensrelevant. Wenn dir bei unseren Fällen noch etwas auffällt, lass gerne einen Kommentar da!

Real Thomas Fischer Fake 🐳

Real Thomas Fischer Fake 🐳

9.10.2020, 15:34:47

Wird hier eine Tatheinheit mit der in § 304 bezeichneten Variante "Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen [...] dienen" angenommen? Ich habe ehrlicher Weise keine Ahnung von diesem Tatbestand, aber einen Zigarettenautomaten darunter zu subsumieren erscheint mir doch sehr weit zu sein. Wie sieht es dann mit Supermarktprospektwänden, Bankautomaten oder Autos eines Mietwagenverleihers aus?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

13.10.2020, 23:50:34

Hallo, danke für die Anmerkung! Du hast recht, das geht hier und ginge auch in deinen Beispielen zu weit. Von den Tatobjekten des § 304 StGB kämen hier nur "Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen dienen" in Betracht. Dabei handelt es sich um solche, die der Erfüllung einer Gemeinwohlfunktion gewidmet sind (Schönke/Schröder, 30. A, § 304 Rn. 8). Das trifft auf den Zigarettenautomaten nicht zu, auch nicht auf den (privaten) Bankautomaten oder die Mietwägen. Dagegen soll beispielsweise Fahrkartenautomaten, öffentliche Briefkästen und Ruhebänke, Straßenlampen, Verkehrszeichen, Litfass-Säulen und Telefonzellen umfasst sein. LG ;)

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

13.10.2020, 23:51:19

Wir haben das entsprechend in der Antwort korrigiert, danke nochmal!

Jana-Kristin

Jana-Kristin

7.2.2022, 12:10:24

Welche Ansicht folgt die Rechtsprechung nun zum Begriff des gefährlichen Werkzeuges iSd 244 I Nr. 1 a) Var. 2 StGB? Wenn ich Fischer, 244 Rn. 16 richtig verstehe stellt der BGH auf den Werkzeugbegriff des 224 I Nr. 2 StGB ab.

SEM

Semi

8.2.2022, 11:02:25

Soweit ich das richtig verstehe stellt der BGH grds. auf die objektive Gefährlichkeit ab. Allerdings wird anhand der konkreten Tatumstände eine Wertung vorgenommen. Kommt danach eine Verwendung als Werkzeug zur Verletzung von Menschen in Betracht, wird § 224 I Nr. 1 a) Fall 2 StGB bejaht. Wird das Werkzeug (wie hier im Fall) eindeutig nicht zur Verletzung von Menschen mitgeführt (insb. auch bei Berufstypischen Werkzeugen), wird die Qualifikation abgelehnt. Es gilt somit ein konkret-objektiver Maßstab, aus dem im Einzelfall auf eine waffenähnliche Verwendung geschlossen werden kann. (Waffebersatzfunktion) Der Maßstab des § 224 I Nr. 2 StGB ist hier ungeeignet, da es nicht auf eine konkrete Verwendung des Werkzeugs ankommen kann ("mittels"), sondern ein bei-sich-Führen des Werkzeugs genügt. Ich hoffe das passt so :)

Sambadi

Sambadi

26.3.2022, 16:21:19

Finde die Argumentation des BGH hinsichtlich des unmittelbaren Ansetzen extrem fragwürdig. So schreibt der BGH, dass das Verhüllen des Automaten diesen aus dem Blick der Öffentlichkeit einzieht und der Täter nach seiner Vorstellung im Anschluss darauf direkt den Trennschleifer zum Einsatz bringen wollte, deswegen sei schon die geschützte Rechtsposition betroffen. 1) der Täter wollte NACHDEM er den Automaten verhüllt hat, den Stromanschluss suchen. D.h es war nach seiner Vorstellung ein wesentlicher Zwischenschritt notwendig um zur Überwindung der Sicherheitsmechanismen tatsächlich anzusetzen. Die Tatsache, dass da noch anderes Werkzeug bereitlag kann hier doch nicht entscheidend sein, wenn der konkrete Tatplan das Verlegen der Stromleitung umfasste. Zudem finde ich, dass die Überwindung selbst (Aufschneiden, Aufbrechen, was auch immer) einen ziemlich wesentlichen Zwischenschritt bis zur tatsächlichen Wegnahme darstellt. Ich hätte das unmittelbare Ansetzen erst mit dem tatsächlichen Ansetzen der FLEX an das Schloss oder zumindest mit dem Einschalten des Schleifers bejaht. 2) Der BGH verneint ein unmittelbares Ansetzen beim Anleuchten einer Schutzvorrichtung (mMn völlig zurecht), aber wieso sollte das Verhüllen hier etwas anderes darstellen? Aber sieht man ja auch an der Abstimmung, dass diese Frage nicht so einfach zu beantworten ist

Sambadi

Sambadi

26.3.2022, 16:23:11

„Aus dem Blick der Öffentlichkeit entzieht“ sollte es heißen. Sorry für den Tippfehler

DI

divenir

22.6.2022, 20:07:18

Stimme dir vollends zu, ich empfinde ein zu verneinen, dass in den von dir beschriebenen Handlungen wesentliche Zwischenschritte liegen, geradezu lebensfremd. Gleichwohl muss man immer im Kopf haben, dass der BGH gerne bestraft, wenn er bestrafen will und für ihn dann auch die Begründung zweitrangig ist.

Sambadi

Sambadi

26.3.2022, 16:34:01

Klausurtaktisch mal eine Frage: Ich würde mir die Klausur ja ziemlich verbauen, wenn ich mit dem versuchten Diebstahl anfange und dann das unmittelbare Ansetzen ablehnen würde, oder? Im Rep hat man mit gesagt: „wenn du in einer StrR Klausur ins Hilfsgutachten gehst, dann hast verloren“. Wie seht ihr das? (Weil es würde mir echt ein bisschen wehtun hier dem BGH zu folgen)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.3.2022, 15:42:26

Hallo Sambadi, der Hinweis darauf, dass man (gerade) im Strafrecht nicht ins Hilfsgutachten gehen sollte, enthält einen wahren Kern. Hintergrund ist, dass Strafrechtsklausuren ohnehin bereits recht zeitkritisch sind und man sich durch hilfsgutachterliche Prüfungen gerne verzettelt. Das kann dazu führen, dass man eventuell nicht zu den zentralen, angelegten Problemen kommt. Dann unterpunktet man wegen "falscher Schwerpunktsetzung". ABER: Nicht das Ergebnis, sondern der Weg deiner Prüfung ist das entscheidende. Wenn Du also mit gut vertretbaren Argumenten dem BGH hier keine Gefolgschaft leisten willst, dann ist das zunächst einmal fein. Ob du dann noch ins Hilfsgutachten gehst, hängt vor allem von der Frage ab, wie die Klausur im Übrigen aufgebaut ist. Wäre diese Aufgabe Klausurstoff, so würdest Du Dir natürlich zentrale Fragen abschneiden, wenn Du bereits beim unmittelbaren Ansetzen herausfliegst. Hier wäre ein Hilfsgutachten also zwingend, wenn Du dem BGH die Gefolgschaft versagst (deswegen steht sicherheitshalber in jedem Bearbeiterhinweis "ggfs. hilfsgutachterlich"). Bei gut gestellten Klausuren passiert im Anschluss an eine streitige Frage dagegen häufig nicht mehr viel. In diesen Fällen schneidet man sich - egal wie man sich entscheidet - nichts ab und muss dann auch nicht im Hilfsgutachten weiterprüfen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

🔥1312

🔥1312🔥

26.3.2023, 01:14:21

Die Antwort zu einer der letzten Fragen suggeriert ein wenig, dass man sich mit § 243 nur auseinandersetzen muss, wenn man keine Qualifikation des § 244 bejaht. Ist das tatsächlich so, dass die Regelbeispiele aus § 243 nur anwendbar sind, wenn nur der Grundtatbestand verwirklicht wurde (und nicht die Qualifikation des § 244) oder hab ich das falsch gelesen/interpretiert?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

27.3.2023, 16:25:27

Hallo 1312, danke dir für die spannende Frage. Das Verhältnis der Diebstahlsdelikte zueinander ist ein klassischer Klausurfehler. Der § 244 StGB ist als Qualifikation im objektiven Tatbestand zu prüfen. Bei § 243 StGB handelt es sich um eine reine Strafzumessungsvorschrift, die also erst ganz am Ende auf Ebene der Strafzumessung zum Tragen kommt. Liegt allerdings ein Fall des § 244 StGB vor, geht die Strafzumessungsvorschrift des § 243 StGB in dem ohnehin erhöhten Strafrahmen auf und ist daher nicht mehr zu prüfen. Liegt allerdings ein vollendeter § 242 StGB und ein § 244, 22, 23 Abs. 1 StGB - also ein versuchter qualifizierter Diebstahl vor kann der § 243 StGB im Zusammenhang mit dem vollendeten einfachen Diebstahl zum Tragen kommen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

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InDubioProsecco

3.6.2023, 17:22:38

An der Stelle eine Frage zur Abgrenzung der Prüfungspunkte „Fehlschlag“ und „Freiwilligkeit“: Ich habe die Prüfung des Fehlschlags bisher unter dem Begriff des „Könnens“ verstanden „Kann der Täter noch, oder muss er nochmal vorne anfangen“. Hier wäre es ihm ja möglich, den Automaten aufzubrechen, zumal ja auch die Werkzeuge vor Ort sind. Er KANN also. Er WILL aber nicht mehr, da er das Risiko der Entdeckung seines Hammers nicht tragen will. Wäre der vorliegende Fall nicht also eigentlich ein klassischer Fall fehlender Freiwilligkeit?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.6.2023, 18:33:11

Hallo InDubioProsecco, Danke für diese wirklich gute Frage. Tatsächlich ist diese Trennung gar nicht so einfach, zumal die Einordnung unterschiedlich gehandhabt wird. Vorliegend wurde er entdeckt, er kann also nicht mehr mit dem ihm vorhandenen Mitteln ohne Zäsur weitermachen. Es liegt ein Fehlschlag vor. Schwierig ist die Abgrenzung auch bei selbstgewählten Grenzen, wenn der Täter sich z.B. vornimmt nicht im Beisein von Kindern zu töten. Ob bei Abbruch wegen Anwesenheit von Kindern ein freiwilliger Rücktritt oder ein Fehlschlag vorliegt, wird je nach Ansicht unterschiedlich beurteilt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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