+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Lieferant L verkauft Gastwirt G neue Teller und gewährt Ratenzahlung. Vor der Übereignung überreicht er G einen Lieferschein auf dem steht „Lieferung nur unter Eigentumsvorbehalt.“ G fällt der Hinweis nicht auf und nimmt die Teller entgegen.

Einordnung des Falls

Einseitiger EVB 4: Angabe auf Lieferschein

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Aus dem Kaufvertrag ist L dem G zu diesem Zeitpunkt zur unbedingten Übereignung verpflichtet.

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Ja, in der Tat!

L und G haben einen Kaufvertrag geschlossen. Aus diesem ist L dem G aus § 433 Abs. 1 S. 1 BGB zur unbedingten Eigentumsübertragung verpflichtet, da L und G im Kaufvertrag keinen Eigentumsvorbehalt vereinbart haben. L ist auch nicht zur Eigentumsübertragung nur Zug um Zug gegen Kaufpreiszahlung (§ 320 Abs. 1 S. 1 BGB) verpflichtet, da L dem G eine Ratenzahlung gewährt hat.

2. Die Eigentumsvorbehaltsangabe auf dem Lieferschein hat eine schuld- und sachenrechtliche Bedeutung.

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Ja!

Die nachträgliche Erklärung des Eigentumsvorbehalts durch L hat zwei Bedeutungen: 1) Auf schuldrechtlicher Ebene liegt hierin ein Angebot des L, das schuldrechtliche Rechtsgeschäft dergestalt zu ändern, dass nunmehr nur die auf vollständige Kaufpreiszahlung bedingte Eigentumsübertragung geschuldet ist. 2) Auf sachenrechtlicher Ebene liegt ein Angebot des L zur aufschiebend bedingten Eigentumsübertragung (§ 158 Abs. 1 BGB, 929 S. 1 BGB) vor.

3. L und G haben sich nachträglich über einen Eigentumsvorbehalt geeinigt.

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Nein, das ist nicht der Fall!

L hat G ein Angebot zur bedingten Übereignung unterbreitet. Dieses Angebot müsste L auch so zugegangen sein, dass ihm Kenntnisnahme möglich war. Der BGH stellt hier hohe Anforderungen: Der auf einem Lieferschein nicht hervorgehobene Eigentumsvorbehalt genügt nicht. Der Verkäufer muss gegenüber dem Käufer deutlich hervorheben, dass er nur bedingt übereignen möchte, da der Käufer bei schuldrechtlich vereinbarter unbedingter Übereignung nicht erwarten muss, dass der Verkäufer dann doch nur bedingt übereignen möchte.

4. G hat Eigentum an den Tellern nach § 929 S. 1 BGB erworben.

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Ja, in der Tat!

Die Übereignung nach § 929 S. 1 BGB setzt voraus: (1) Einigung, (2) Übergabe, (3) Einigsein bei Übergabe, (4) Berechtigung des Veräußerers. Hier hat L dem G im Rahmen der dinglichen Einigung ein Angebot zur bedingten Eigentumsübertragung gemacht. Bei Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) sah dies aus der Sicht des G jedoch aus wie ein unbedingten Übereignungsangebot, da G nicht mit einem vertragswidrigen Eigentumsvorbehalt zu rechnen brauchte. G hat das Angebot angenommen. Bei Übergabe der Teller bestand auch die Einigung noch fort. L war verfügungsbefugt.

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MW

MW

3.8.2021, 15:38:38

Ist das nicht ein Fall des 155 BGB, wobei L gerade nicht übereignen wollte ohne EV (sonst hätte er das nicht kundgetan) und somit keine Einigung zustande kam?

AN

ANY

29.11.2021, 12:47:19

Aufgrund des Ergebnisses der Auslegung besteht kein Einigungsmangel.

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

13.5.2022, 12:28:54

Warum scheitert es hier denn nicht beim Einigsein?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.5.2022, 14:16:54

Hallo Imonderabilie, da Merkmal "einigsein" bringt lediglich zum Ausdruck, dass die dingliche EInigung bis zur Übergabe nach hM frei widerruflich ist. Einen solchen Widerruf hat L hier nicht erklärt. Ohne einen solchen wird bei einer erklärten Einigung deren Fortbestand vermutet. Da hier bei objektiver Auslegung eine dingliche Einigung erfolgte, bestand diese auch zum Zeitpunkt der Übergabe noch fort. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

IS

IsiRider

21.8.2022, 14:57:06

Eine Zusammenfassung der 4 Fälle wäre super, um deren Unterschiede zu verstehen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

21.8.2022, 17:23:59

Hallo IsiRider, danke für deine Anmerkung. Das nehmen wir mit auf die Liste für neue Aufgaben! Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

GN

Gnu

23.1.2023, 08:38:54

Hallo liebes Team, Themen wie die Sicherungszession hatten wir in der Uni mit bei den Kreditsicherheiten. Ich habe gesehen, dass ihr dazu eine ausführliche Einheit im Bereich Schuldrecht AT gemacht habt. Die habe ich aber grad nur zufällig entdeckt, hatte sie eher hier erwartet. Ist es möglich, hier darauf zu verweisen/verlinken? :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

23.1.2023, 17:56:56

Hi Gnu, in der Tat sind wir dabei, die verschiedenen Kreditsicherheiten im Kurs Kreditsicherheit nochmal gebündelt darzustellen. Zudem sind wir dabei die Suchfunktion zu verbessern, damit du relevante Aufgaben noch schneller findest. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

21.4.2023, 13:33:53

Hat L dann ein Anfechtungsrecht aufgrund §119 I bzgl des auseinandergehenden Geschäftswillens?

CR7

CR7

12.5.2023, 11:30:39

Das habe ich mich auch gefragt.

Simon

Simon

7.6.2023, 00:00:59

Ich würde sagen ja, aber nur bzgl. der WE im Rahmen der Übereignung. Bzgl. des Kaufvertrages haben sich beide Parteien zunächst geeinigt, wobei L auch keinem Irrtum unterlag. Der Lieferschein stellt nur einen Antrag auf Abänderung des Kaufvertrages dar. L bliebe also weiterhin zur unbedingten Übereignung aus dem Kaufvertrag verpflichtet, sodass eine (mE mögliche) Anfechtung der WE im Rahmen der dinglichen Einigung wenig sinnhaft erscheint.

Edward Hopper

Edward Hopper

9.6.2023, 21:13:55

Man zielt im Sachenrecht doch nie auf den objektiven Empfänger ab? Insoweit müsste V doch Eigentümer bleiben? Wer nicht übereignen möchte den kann auch nicht der verkehrsanschauung zwingen?

BE

Benedikt

21.8.2023, 10:42:13

Die dingliche Einigung besteht aus zwei Willenserklärungen, die nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen sind. Nach dieser Auslegung ist bei Übergabe ein (mglw. konkludentes) Angebot zur bedingungslosen Übereignung gemacht worden. Der Lieferschein mit dem Angebot zur bedingten Übereignung ändert daran nach der Ansicht des BGH nichts, wenn der Empfänger nicht positive Kenntnis davon hat, da der Empfänger nicht mit so einem solchen Angebot rechnen muss. Es kommt eine Anfechtung der dinglichen Einigung wegen Irrtum seitens des Veräußerers in Betracht.

EV

evanici

18.9.2023, 12:11:01

Hatte für einen Moment ans KBS gedacht hier, würde das etwas ändern an der Lösung bei Einschlägigkeit?

AM

Andeutungstheorie merken

18.9.2023, 12:14:47

Meiner Meinung nach nicht: das KBS entfaltet nur Rechtswirkung, wenn der Absender (hier L) redlich ist. Dies wäre nicht der Fall, wenn das KBS wesentlich von den vorangegangen Verhandlungen abweicht. Der Eigentumsvorbehalt stellt meiner Einschätzung nach aber eine solche wesentliche Abweichung vom eigentlich vereinbaren unbedingten Eigentums Übergang dar. LG


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