Abgrenzung: Dreieckserpressung oder Diebstahl in mittelbarer Täterschaft - Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration: T bedroht zwei Kinder mit einem Messer.
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besonders examenstauglich

T bedroht zwei 13-jährige Jungen mit einem Messer und fordert sie auf, mit ihm in die Innenstadt zu kommen und dort für ihn Wertgegenstände zu stehlen. Die Jungen sind von dem vorgehaltenen Messer so beeindruckt, dass sie sich zunächst nicht widersetzen. Unterwegs gelingt ihnen aber die Flucht.

Einordnung des Falls

Diese Entscheidung verdeutlicht die Abgrenzung zwischen einer versuchten Dreieckserpressung einem versuchten Diebstahl in mittelbarer Täterschaft. Maßgeblich ist hierbei, dass eine Dreieckserpressung ein Näheverhältnis zwischen dem Genötigten und dem Geschädigten voraussetzt. Wie dieses konkret ausgestaltet sein soll – rechtliches (Befugnistheorie) oder tatsächliches Näheverhältnis (Lagertheorie) - ist umstritten. Ungeachtet dieser Frage scheide eine Dreieckserpressung jedoch im vorliegenden Fall aus, da der Genötigte den Vermögensinteressen des geschädigten anvisierten Diebstahlopfers gleichgültig gegenüberstehe.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat T sich wegen versuchter (besonders schwerer räuberischer) Erpressung zum Nachteil der Jungen strafbar gemacht, §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1a, 22 StGB?

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Nein, das trifft nicht zu!

Die Tat ist nicht vollendet, der Versuch ist nach §§ 12, 23 Abs. 1 StGB strafbar. T müsste Tatentschluss zu einer Erpressung gehabt haben. Fraglich ist, ob die Handlung, zu der die Jungen nach der Vorstellung des T genötigt werden sollten, überhaupt mit einem Vermögensnachteil für die Genötigten verbunden war. Hiergegen spricht, dass einem abverlangten Verhalten, das sich in der Begehung strafbarer Handlungen erschöpft, im Vermögen des Genötigten kein wirtschaftlicher Wert zukommt, so dass die erzwungene Vornahme solcher Handlungen keinen Vermögensschaden beim Nötigungsopfer begründen kann. Mithin besaß T keinen entsprechenden Tatentschluss.

2. Hat T sich wegen versuchter (besonders schwerer räuberischer) Erpressung zum Nachteil der anvisierten Diebstahlsopfer strafbar gemacht, §§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1a, 22 StGB?

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Nein!

T müsste Tatentschluss zu einer Dreieckserpressung gehabt haben, da die genötigten Jungen und die anvisierten Diebstahlsopfer personenverschieden sind. In Abgrenzung zur mittelbaren Täterschaft setzt eine Dreieckserpressung voraus, dass der Genötigte zu dem Geschädigten in einer Nähebeziehung steht. Ungeachtet der strittigen Frage, ob hierfür auf eine faktische oder rechtliche Nähebeziehung abzustellen ist, scheidet eine Dreieckserpressung jedenfalls aus, wenn der Genötigte den Vermögensinteressen des Geschädigten gleichgültig gegenübersteht. Nach Vorstellung des T fehlte es daher an der nötigen Nähebeziehung. Eine versuchte Dreieckserpressung entfällt.

3. Hatte T Tatentschluss zu einem Diebstahl in mittelbarer Täterschaft, §§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB?

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Genau, so ist das!

Die Tat ist nicht vollendet, der Versuch ist nach § 242 Abs. 2 StGB strafbar. T müsste den Tatentschluss gefasst haben, die Merkmale des Diebstahls „durch" die Jungen zu erfüllen. T plante, die Jungen durch Drohung mit einem Messer dazu zu nötigen, für ihn fremde Wertgegenstände zu entwenden, um diese für sich zu behalten. Damit wollte er die Jungen als entschuldigte (§ 35 Abs. 1 StGB), mithin schuldlose Werkzeuge kraft überlegenen Wollens beherrschen (sog. Nötigungsherrschaft). Somit besaß T einen entsprechenden Tatentschluss, ohne dass es auf die Frage ankäme, ob T das Alter der Jungen kannte und sie als schuldunfähige Werkzeuge benutzen wollte.

4. Hat T auf Grundlage der h.M. unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt, § 22 StGB?

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Nein, das trifft nicht zu!

Nach h.M. ist für den Versuchsbeginn des mittelbaren Täters nicht bereits auf den Beginn des Einwirkens auf den Tatmittler abzustellen, weil dieses Verhalten nicht den Beginn der Deliktsverwirklichung, sondern erst den Beginn der Verwirklichung der Zurechnungsnorm beschreibt. Vielmehr muss der mittelbare Täter aus seiner Sicht Einfluss auf das Verhalten des Tatmittlers gewonnen und diesen aus seinem Einwirkungsbereich in der Vorstellung entlassen haben, dieser werde die tatbestandsmäßige Handlung vornehmen. Dieser Zeitpunkt war hier nicht erreicht, da sich die Jungen bereits auf dem Weg in die Innenstadt dem Einfluss des T entziehen konnten.

5. Hat T sich wegen versuchter Anstiftung zum Diebstahl strafbar gemacht, §§ 30 Abs. 1, 242 Abs. 1 StGB?

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Nein!

Es ist nicht zu einem Diebstahl als Haupttat gekommen, nicht einmal zu einem entsprechenden Versuch, so dass keine Strafbarkeit wegen vollendeter Anstiftung (§ 26 StGB) gegeben sein kann. Da der Diebstahl (§ 242 Abs. 1 StGB) im Mindestmaß mit einer Geldstrafe bedroht ist, handelt es sich um ein Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB). Der Versuch einer Anstiftung zu einem Vergehen ist allerdings nicht strafbar (§ 30 Abs. 1 StGB).

6. Hat T sich aber wenigstens wegen einer Nötigung der beiden Jungen strafbar gemacht, § 240 Abs. 1, Abs. 2 StGB?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Indem T die Jungen mit einem Messer bedrohte und von ihnen Diebstähle verlangte, hat er mit einem empfindlichen Übel gedroht, da er dadurch zum Ausdruck brachte, dass für den Fall, dass diese sich nicht fügten, dessen Leib oder Leben beeinträchtigende Maßnahmen unmittelbar folgen werden. Ferner setzt der objektive Tatbestand einen Nötigungserfolg (Handeln, Dulden, Unterlassen) voraus. Dieser liegt vor, sobald das Opfer mit dem vom Täter erstrebten Verhalten begonnen hat. Nicht genügend ist aber eine Handlung des Opfers, die nur Mittel für das vom Täter gewollte Verhalten ist. Das bloße Auf-den-Weg-machen in die Innenstadt reicht daher nicht.

7. Hat T sich wegen versuchter Nötigung der beiden Jungen strafbar gemacht, §§ 240 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, 22 StGB?

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Ja, in der Tat!

Die Tat ist nicht vollendet, denn der Nötigungserfolg ist nicht eingetreten. Der Versuch der Nötigung ist nach § 240 Abs. 3 StGB strafbar. T hatte den Tatentschluss, die Jungen durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu Diebstahlstaten zu nötigen. Indem T die Jungen bedrohte und damit bereits ein Tatbestandsmerkmal des § 240 StGB verwirklichte, hat er zur Tat unmittelbar angesetzt (§ 22 StGB). T handelte rechtswidrig und schuldhaft. Insbesondere ist schon das Mittel, die Drohung mit dem Messereinsatz, als verwerflich anzusehen (§ 240 Abs. 2 StGB). T ist strafbar wegen versuchter Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen.

Prüfungsschema

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen Erpressung (§ 253 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Nötigungshandlung (Gewalt oder Drohung mit empfindlichem Übel)
      2. Nötigungserfolg (Duldung, Handlung, Unterlassung)
      3. Vermögensverfügung (umstritten)
      4. Vermögensnachteil
    2. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz bzgl. 1.a.-d.
      2. Bereicherungsabsicht
      3. Stoffgleichheit
      4. Objektive Rechtswidrigkeit der erstrebten Vermögensverschiebung und entsprechender Vorsatz
  2. Rechtswidrigkeit
    1. Allgemeine Rechtfertigungsgründe
    2. Verwerflichkeit der Nötigung nach § 253 Abs. 2 StGB
  3. Schuld
  4. Strafzumessungsregel nach § 253 Abs. 4 StGB

Wie prüfst Du die Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls (§§ 242 Abs. 1, 2, 22, 23 Abs.1 StGB)?

  1. Vorprüfung: (1) Kein vollendeter Diebstahl; (2) Strafbarkeit des Versuchs (§ 242 Abs. 2 StGB)
  2. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Tatentschluss
      1. Vorsatz bezüglich der Wegnahme einer fremden beweglichen Sache
      2. Zueignungsabsicht
      3. Vorsatz bezüglich der Rechtswidrigkeit der erstrebten Zueignung
    2. Unmittelbares Ansetzen (§ 22 StGB)
  3. Rechtswidrigkeit
  4. Schuld
  5. Strafaufhebungsgrund: Rücktritt (§ 24 Abs. 1, 2 StGB)
    1. Kein Fehlschlag
    2. Beendeter/Unbeendeter Versuch + Rücktrittshandlung
    3. Freiwilligkeit

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