Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Gesetzgebungskompetenzen

Erforderlichkeitsklausel (Art. 72 Abs. 2 GG) – Betreuungsgeld

Erforderlichkeitsklausel (Art. 72 Abs. 2 GG) – Betreuungsgeld

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Bundesregierung möchte mit dem „Eltern-Entlastungs-Gesetz“ (EEG) ein zusätzliches Betreuungsgeld („Herdprämie“) für alle Eltern einführen, die keine öffentlich geförderte Tageseinrichtung oder Kindertagespflege in Anspruch nehmen.

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Einordnung des Falls

Erforderlichkeitsklausel (Art. 72 Abs. 2 GG) – Betreuungsgeld

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das EEG ist formell verfassungswidrig, soweit dem Bund die Gesetzgebungskompetenz (Art. 70-74 GG) für das EEG fehlt.

Ja, in der Tat!

Die Gesetzgebungskompetenz ist neben dem Gesetzgebungsverfahren eine zwingende Voraussetzung für die formelle Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes. War der Gesetzgeber nicht gesetzgebungsbefugt, ist das Gesetz insoweit formell verfassungswidrig und nichtig.
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2. Grundsätzlich haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG).

Ja!

Die Länder haben grundsätzlich das Recht der Gesetzgebung (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Fehlt es an einer geschriebenen oder ungeschriebenen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, sind also die Länder zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG). Der Grundsatz der Länderzuständigkeit (Art. 30 GG; Art. 70 Abs. 1 Hs. 1 GG) ist Ausgangspunkt jeder Prüfung der Gesetzgebungskompetenzen. Wenn Du diesen Grundsatz nicht zum Einstieg erläuterst, wird Dir unterstellt, dass Du die Aufteilung der Staatsgewalt zwischen Bund und Ländern nicht verstehst.

3. Der Bund ist ausnahmsweise für das EEG zuständig (Art. 70 Abs. 1 Hs. 2 GG), weil eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 71 GG) besteht.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Kompetenztitel der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz (Art. 73 GG) für den Erlass des Eltern-Entlastungs-Gesetzes ist nicht ersichtlich.

4. Das EEG fällt unter den Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG). Eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1-4 GG) liegt vor.

Ja, in der Tat!

Öffentliche Fürsorge ist die Milderung oder Beseitigung einer Situation zumindest potenzieller Bedürftigkeit. Durch die Betreuung von Kleinkindern bei Eltern entsteht eine besondere Belastung, aus der sich auch eine potenzielle Bedürftigkeit ergibt. Durch das EEG soll die finanzielle Situation von Eltern verbessert werden. Dadurch wird die Bedürftigkeit gemildert.

5. Der Bund hat mit dem EEG von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht (Art. 72 Abs. 1 GG). Die Gesetzgebungskompetenz der Länder ist dann automatisch gesperrt.

Nein!

Art. 72 Abs. 1 GG wird beispielsweise durch Art. 72 Abs. 2 GG beschränkt. Es kann also sein, dass die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes fehlt, weil ein Gesetz nicht im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG erforderlich war. Durch das EEG hat der Bund von dieser konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht, sodass die Gesetzgebungskompetenz der Länder grundsätzlich gesperrt ist. Immer, wenn Du eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nach Art. 72 Abs. 1 GG annimmst, solltest Du zumindest gedanklich auch noch Art. 72 Abs. 2-3 GG prüfen.

6. Das EEG muss für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sein (Art. 72 Abs. 2 GG).

Genau, so ist das!

Die Erforderlichkeit muss nur auf den Gebieten des Art. 74 Abs. 1 Nr. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 25 und 26 GG nachgewiesen werden. Das EEG stützt sich auf den Kompetenztitel der öffentlichen Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG). Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG wird in Art. 72 Abs. 2 GG genannt. Also muss die Erforderlichkeit nachgewiesen werden.

7. Das Betreuungsgeld dient der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse (Art. 72 Abs. 2 Var. 1 GG).

Nein, das trifft nicht zu!

Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist „erst dann bedroht […], wenn sich die Lebensverhältnisse in den Ländern der Bundesrepublik in erheblicher, das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben oder sich eine derartige Entwicklung konkret abzeichnet“. Selbst wenn ein Betreuungsgeld in nur einigen Ländern gezahlt werden würde, werden die nicht begünstigten Eltern nicht erheblich schlechter gestellt. Ungleichheiten im Verhältnis von Ländern mit unterschiedlichen Kita-Kapazitäten untereinander scheiden aus, weil das Betreuungsgeld unabhängig von der Inanspruchnahme von Kita-Plätzen gezahlt wird. Damit dient das EEG nicht der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet.

8. Das Betreuungsgeld dient der Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse (Art. 72 Abs. 2 Var. 2 GG).

Nein!

Eine Regelung dient der Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse, wenn „eine Gesetzesvielfalt auf Länderebene [...] eine Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen darstellt, die im Interesse sowohl des Bundes als auch der Länder nicht hingenommen werden kann“. Das Betreuungsgeld wird zusätzlich zu bestehenden Leistungen gezahlt und kann somit nicht zur Rechtsvereinheitlichung beitragen.

9. Das Betreuungsgeld dient der Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse (Art. 72 Abs. 2 Var. 3 GG).

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Regelung dient der Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse, wenn „es um die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik durch bundeseinheitliche Rechtsetzung geht“. Etwaige landesgesetzliche Unterschiede bringen keine erheblichen Nachteile für die Gesamtwirtschaft mit sich.

10. Der Bund hat die Gesetzgebungskompetenz für das EEG.

Nein, das trifft nicht zu!

Das EEG fällt zwar unter den Kompetenztitel für die öffentlichen Fürsorge (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG). Somit ist eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 72 Abs. 1 GG) gegeben. Allerdings müssen Regelungen zur öffentlichen Fürsorge auch erforderlich im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG sein. Dies ist nicht der Fall. Das EEG ist daher wegen der fehlenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes formell verfassungswidrig.
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