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Zivilprozessrecht

Grenzen der Zumutbarkeit aktiver beA-Nutzung bei gestörter Fax-Übermittlung

Grenzen der Zumutbarkeit aktiver beA-Nutzung bei gestörter Fax-Übermittlung

31. Mai 2025

5 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Assessorexamen

Ps Anwalt A will im Jahr 2019 um 17 Uhr eine Berufungsbegründung, deren Frist um 24 Uhr abläuft, ans Gericht faxen. Da dort alle Faxgeräte defekt sind und A sich mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nicht auskennt, schickt er um 19 Uhr per E-Mail einen Scan zum Gericht, das die PDF-Datei am nächsten Tag ausdruckt.

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Einordnung des Falls

Grenzen der Zumutbarkeit aktiver beA-Nutzung bei gestörter Fax-Übermittlung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wird eine Berufung nicht fristgerecht begründet, kann das Gericht ein Versäumnisurteil erlassen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Folgen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist regelt § 522 Abs. 1 S. 1 und 2 ZPO: Ist die Berufungsbegründung verfristet, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Gemäß § 522 Abs. 1 S. 3 ZPO kann das Berufungsgericht dann sogar durch Beschluss entscheiden. Taucht in einer Klausur ein mögliches Fristenproblem auf, solltest Du die Frist stets genau berechnen und den Tag des Fristbeginns sowie -ablaufs unter Angabe der dafür maßgeblichen Rechtsnormen nennen. Viele Prüfer erwarten das! Vorliegend richtet sich der Lauf der Frist nach §§ 520 Abs. 2, 222 ZPO i.V.m. §§ 187f. BGB.
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2. Eine Berufungsbegründung ist in Schriftform einzureichen.

Ja!

Gemäß § 520 Abs. 3 S. 1 ZPO ist die Berufungsbegründung als Schriftsatz einzureichen. Erforderlich ist ein Schriftsatz, den ein postulationsfähiger Rechtsanwalt eigenhändig unterzeichnet hat. Ausnahmsweise kann jedoch ein Schriftsatz ohne Unterschrift formwirksam sein; dazu muss aufgrund besonderer Begleitumstände feststehen, dass der Anwalt die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen hat (vgl. BGH NJW-RR 2020, 309). Auch die Übersendung des Schriftsatzes per Telefax genügt. Die „prozessuale“ Schriftform unterscheidet sich von derjenigen des materiellen Zivilrechts. §§ 126ff. BGB sind insoweit nicht anwendbar (vgl. BGH NJW 1957, 1275).

3. Die um 19 Uhr beim Gericht eingegangene E-Mail, die einen Scan des unterschriebenen Schriftsatzes enthielt, erfüllt die Anforderungen an eine schriftsätzliche und fristgerechte Berufungsbegründung.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der Rechtsprechung des BGH kann es zur Wahrung der Schriftform genügen, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz im Original unterzeichnet und sodann dem Gericht einen PDF-Scan davon per E-Mail zusendet. Allerdings ist dann die Schriftform erst gewahrt, sobald dem Gericht ein Ausdruck der den vollständigen Schriftsatz enthaltenden Datei vorliegt (RdNr. 8). Dem Gericht lag erst am Folgetag ein Ausdruck des eingescannten Schriftsatzes vor. Somit war die Schriftform erst zu einem Zeitpunkt gewahrt, zu dem die Berufungsbegründungsfrist bereits abgelaufen war. Dass die E-Mail dem Gericht bereits um 19 Uhr in Dateiform vorlag, ist danach unerheblich.

4. Die Berufungsbegründungsfrist ist dennoch gewahrt, weil As E-Mail von 19 Uhr die elektronische Form gemäß § 130a ZPO einhält.

Nein, das trifft nicht zu!

Gemäß § 520 Abs. 5 ZPO sind die allgemeinen Vorschriften über vorbereitende Schriftsätze auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden. Zu diesen Vorschriften zählt § 130a ZPO, der die elektronische Einreichung von Schriftsätzen regelt. Zu den Anforderungen an die elektronische Form gehört unter anderem, dass das elektronische Dokument über einen sicheren Übermittlungsweg i.S.d. § 130a Abs. 4 ZPO eingereicht wird (§ 130a Abs. 3 S. 1 ZPO). Der einfache E-Mailversand ist keiner der in § 130a Abs. 4 ZPO aufgelisteten sicheren Übermittlungswege. Mithin hat A die Berufungsbegründung nicht wirksam in elektronischer Form i.S.d. § 130a ZPO eingereicht.

5. Die Verfristung des Antrags wird aber geheilt, wenn P Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

Ja!

Die Wiedereinsetzung (§§ 233ff. ZPO) bewirkt, dass eine an sich verfristete Prozesshandlung als rechtzeitig vorgenommen gilt. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind: (1) Statthaftigkeit (§ 233 S. 1 ZPO); (2) Antrag; (3) Form (§ 236 Abs. 1 ZPO); (4) Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 ZPO); (5) Nachholung der versäumten Handlung (§ 236 Abs. 2 S. 2 ZPO); (6) Rechtsschutzbedürfnis. Begründet ist der Antrag, wenn die Partei ohne ihr Verschulden daran gehindert war, die Prozesshandlung rechtzeitig vorzunehmen. Überlege Dir in der Prüfung gut, ob du die Wiedereinsetzung wirklich „brauchst“. In vielen Klausuren ist die Prozesshandlung nur scheinbar verfristet, weil besondere fristverlängernde Umstände vorliegen.

6. P muss sich im Rahmen der Wiedereinsetzung das Verschulden seines Anwalts A zurechnen lassen.

Genau, so ist das!

Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden des Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Für Hilfspersonen des Prozessbevollmächtigten – zu denken ist insoweit vor allem an Rechtsanwaltsfachangestellte und Sekretäre – existiert hingegen keine Verschuldenszurechnung. Unterlaufen diesen Hilfspersonen Fehler, kann dies jedoch auch auf einem gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbaren Eigenverschulden des Anwalts beruhen. Ein solches Eigenverschulden liegt z.B. vor, wenn der Anwalt seine Hilfsperson nicht sorgfältig genug ausgewählt, angeleitet, ausgestattet oder kontrolliert hat.

7. Ein Rechtsanwalt durfte sich im Jahre 2019 nicht darauf verlassen, dass die Übermittlung per Fax funktioniert. A hat deshalb die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Die Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax sei allgemein anerkannt. Soweit ein Gericht diese Übermittlungsform zulasse, dürften Risiken im Zusammenhang mit deren technischen Gegebenheiten nicht ohne weiteres auf den Absender abgewälzt werden. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Ursache für eine Störung in der Sphäre des Gerichts liege (RdNr. 17). Habe sich ein Absender auf einen Übermittlungsweg eingestellt, sei es ihm grundsätzlich nur zuzumuten, innerhalb dieses Übermittlungsweges nach Alternativen zu suchen (RdNr. 18). Defekte Empfangsgeräte gehören zur Sphäre des Gerichts. Da kein Faxgerät des Gerichts empfangsbereit war, ist A die verspätete Übermittlung grundsätzlich nicht vorzuwerfen.

8. Da schon im Jahr 2019 alle Rechtsanwälte das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) jedenfalls passiv nutzen mussten (§ 31a Abs. 6 BRAO), wäre A aber dieser Übertragungsweg zumutbar gewesen.

Nein!

BGH: Es erscheine „erwägenswert“, einem Anwalt auch das Ausweichen auf einen anderen Übertragungsweg zuzumuten, wenn dieser sich aufdränge und nur geringfügigen Aufwand erfordere (RdNr. 26). BGH: Die aktive Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) zum Übermitteln von Schriftsätzen erfordere es, sich mit der Funktionsweise der Erstellung und des Versands elektronischer Dokumente i.S.d. § 130a ZPO auseinanderzusetzen. Dies sei für einen Anwalt, der das beA bislang überhaupt nicht aktiv genutzt habe, mit einem mehr als nur geringfügigen Aufwand verbunden. Es sei ihm deshalb nicht zuzumuten, innerhalb kürzester Zeit auf das beA auszuweichen (RdNr. 27f.). Seit dem 01.01.2022 besteht eine aktive Nutzungspflicht für das beA. Nun gibt es keine Ausreden mehr!

9. Stellt A für P einen zulässigen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, gilt die Berufungsbegründung als rechtzeitig eingereicht.

Genau, so ist das!

Da es A im Jahre 2019 nicht zuzumuten war, innerhalb kürzester Zeit auf das beA auszuweichen, hat er die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt, sodass ein Wiedereinsetzungsantrag begründet wäre. Soweit A den Antrag form- und fristgerecht stellt, ist er auch zulässig; die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind unproblematisch erfüllt. Offen gelassen hat der BGH die bislang höchstrichterlich nicht geklärte Frage, ob ein Anwalt kurzfristig auf das beA (oder einen anderen Übermittlungsweg) ausweichen muss, wenn ihm dies zumutbar ist, oder ob er lediglich innerhalb des ursprünglichen Übermittlungsweges nach Alternativen suchen muss.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

7.1.2022, 08:57:46

Wir hatten den 1.1. 😉

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.1.2022, 09:40:19

Danke Isabell, wir haben jetzt klargestellt, dass es sich um ein rechtshistorisches Urteil handelt :D Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

PPAA

Philipp Paasch

13.5.2022, 09:45:03

Hallo liebes Jurafuchs-Team. Eure Frage 3 scheint widersprüchlich zu sein. Zuerst wird gesagt, eine E-Mail mit eingescannter Unterschrift genüge. Dann wird gesagt, diese genüge wiederum nicht. Wenn, wie hier, die eine Form nur zur Fristwahrung angewandt wurde und

unverzüglich

in der anderen Form eingereicht wurde, müsste es genügen. Dies ist hier auch passiert. Darauf stellt das Gericht allerdings nicht ab. Könntet ihr dazu klarstellen etwas sagen? 🙂

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

16.5.2022, 11:27:35

Hallo Philipp, vielen Dank für die Nachfrage. Auf den ersten Blick erscheint es in der Tat erst einmal widersprüchlich. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich aber leicht auflösen. Grundsätzlich setzt die Schriftform eine Unterschrift voraus. D.h. grundsätzlich ist eine bloße Kopie nicht genügend. Hier macht der BGH nun eine Ausnahme und sagt, auch der eingescannte und per Mail versandte Schriftsatz ausnahmsweise die Schriftform wahren können. ABER: Die Schriftform ist - anders als bei Versendung eines Faxes - nicht bereits dadurch gewahrt, dass die E-Mail elektronisch auf den Mail-Server des Gerichtspostfaches gelangt, sondern erst in dem Moment, in dem der Schriftsatz in ausgedruckter Form vorliegt. Dies war aber hier nicht um 19 Uhr, sondern erst am Folgetag der Fall. Aus diesem Grund wurde erst mit dem Ausdruck die Schriftform gewahrt. Dies erfolgte allerdings nicht mehr innerhalb der Frist. Deswegen erfolgte hier die Einreichung verspätet. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

NUALAB

Nuage Laboratoire

22.6.2023, 17:01:13

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