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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Autohaus A hat die Niederlassungen X und Y. K schließt einen Kaufvertrag mit A bei Mitarbeiter M in der Niederlassung X über ein gebrauchtes Auto. Das Auto hatte einen Vorunfall. Dies war nur in der Niederlassung Y bekannt.

Einordnung des Falls

Zurechnung im Unternehmen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der reparierte Unfallschaden des Fahrzeugs ist eine "Tatsache", über die getäuscht werden kann (§ 123 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Tatsachen sind alle Umstände der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind. Prognosen über zukünftige Ereignisse oder Werbung sind keine Tatsachenbehauptungen. Anderes gilt, wenn diese Angaben einen nachprüfbaren Tatsachenkern enthalten. Der Vorunfall des Autos ist ein nachweisbarer Umstand. Damit handelt es sich um eine Tatsache. Selbst, wenn das Auto vollständig repariert wurde, besteht das Risiko verspäteter Folgeschäden. Der Markt reagiert auf dieses Risiko, indem ein Unfallfahrzeug einen niedrigeren Marktwert hat (merkantiler Minderwert).

2. Indem M mit K den Kaufvertrag geschlossen hat, hat er durch Unterlassen über die Unfallfreiheit des Autos getäuscht (§ 123 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Eine Täuschung durch Unterlassen setzt voraus, dass den Täuschenden eine Pflicht zur Aufklärung trifft. Dies ist der Fall, wenn die Tatsachen den Vertragszweck möglicherweise vereiteln können und aus diesem Grund für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von erheblicher Bedeutung sind. Ein Unfallschaden begründet einen merkantilen Minderwert des Fahrzeugs, unabhängig davon, ob der Schaden repariert wurde. Gleichzeitig ist ein reparierter Vorunfall für den Laien nicht erkennbar. Damit hat der Verkäufer über schwere Schäden (nicht aber über bloße Bagatellschäden) ungefragt Auskunft zu geben.

3. M handelte bei der Täuschung "arglistig" (§ 123 Abs. 1 BGB).

Ja!

Arglistig handelt, wer weiß und will (dolus eventualis ausreichend), dass der Getäuschte eine Willenserklärung abgibt, die er ohne Täuschung nicht abgegeben hätte. M kannte den Unfallschaden nicht, da dieser nur in der Niederlassung Y bekannt war. Die Zurechnung dieses Wissens ist jedoch innerhalb des Unternehmens möglich. Die Wissenszurechnung im Unternehmen hängt von einer wertenden Betrachtung ab, ob es zumutbar ist, das Wissen zuzurechnen. Eine Zurechnung kommt bei vertretungsberechtigten Organwaltern und typischerweise aktenmäßig festgehaltenem Wissen in Betracht. Sie scheidet aus, wenn die Organe unzuständig waren oder es sich um privates Wissen handelt. Unter wertender Betrachtung wäre es für die Niederlassung X zumutbar gewesen, alle verkaufsrelevanten Informationen bei Y einzuholen, insbesondere da es sich bei einem Unfallschaden um ein typischerweise in Akten festgehaltenes Wissen handelt. M wird das Wissen über die Unfallhaftigkeit zugerechnet.

4. Die arglistige Täuschung durch M als Vertreter des A ist dem Verhalten des A gleichzusetzen (§ 123 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Steht die Person „im Lager“ des Erklärungsempfängers, so ist ihr Verhalten auch ohne Hinzuziehung des § 123 Abs. 2 BGB dem des Anfechtungsgegners gleichzusetzen. „Dritte“ stehen aus Sicht des Getäuschten nicht „im Lager“ des Vertragspartners. M ist Mitarbeiter des A, der dazu eingesetzt wird, die Verkaufsverhandlungen zu führen. Damit wird M im Rechten- und Pflichtenkreis des A tätig und ist nach der Wertung des § 278 BGB als Erfüllungsgehilfe anzusehen. Er ist damit kein Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB.

5. Die kaufrechtliche Mängelhaftung schließt das Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung aus.

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Sachmangel stellt regelmäßig auch einen Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB dar. Die Gewährleistungsrechte schließen regelmäßig die Anwendung der Anfechtungsregelungen aus, da sonst zum einen die spezielleren Gewährleistungsregeln verdrängt und zum anderen, die Verjährungsfristen umgangen werden würden. Die Käufer-Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB ist jedoch aufgrund der unterschiedlichen Schutzgüter (Vermögen vs. Freie Willensbetätigung) immer möglich. Der Verkäufer hingegen darf nur anfechten, wenn er dem Käufer dadurch keine Gewährleistungsrechte aus der Hand schlägt. Damit ist das Anfechtungsrecht vorliegend nicht ausgeschlossen.

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LO

Lotte

16.3.2020, 20:50:15

Ist M wirklich Erfüllungsgehilfe? Eine Verbindlichkeit besteht ja erst mit Vertragsschluss, wenn ich mich nicht irre.. 🤔

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

17.3.2020, 08:10:13

Hi Lotte, danke für die Frage! Ja. Durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen entsteht bereits ein vorvertragliches Schuldverhältnis (311 Abs 2 Nr 1 BGB) mit Pflichten nach 241 Abs. 2 BGB.

PH

Philippe

29.8.2022, 06:22:23

Die Ausführungen zur Wissenszurechnung sind m. E. etwas ungenau, weil sie suggerieren, das Wissen von Organwaltern werde grundsätzlich umfassend zugerechnet, auch wenn sie nicht am Rechtsgeschäft beteiligt sind. Die Rspr. des BGH wendet diesbzgl. gerade nicht die Organtheorie an, so dass Organwissen nicht immer auch Gesellschaftswissen ist, Auch bei Geschäftsführern einer GmbH und Vorständen einer AG muss somit geprüft werden, ob eine Pflicht zur Wissensorganisation verletzt wurde. Es muss zudem gefragt werden, ob nicht nur eine Verkehrserwartung besteht, das Wissen aktenmäßig festzuhalten, sondern dieses auch abzuberufen und ob gerade wegen Verletzung dieser Organisationspflicht der am Rechtsgeschäft beteiligte Vertreter keine Kenntnis hatte.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.10.2022, 18:51:12

Hallo Philippe, sehr guter Hinweis! In der Tat hat die Rechtsprechung eine Reihe von Kriterien entwickelt, wann im Unternehmen Wissen zugerechnet werden kann. Im Endeffekt geht es darum, dass Gesellschaften kein Vorteil daraus erwachsen soll, dass sie sich einer arbeitsteiligen Organisation bedienen. Soweit das entsprechende Wissen aktenmäßig dokumentiert ist, so besteht regelmäßig auch die Pflicht dieses bei einem damit verknüpften Rechtsgeschjäft abzurufen. Wird dies unterlassen, so liegt ein Verstoß gegen die Organisationspflicht vor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SER

Seriouz0G

19.4.2023, 12:16:03

Ich finde die Subsumption bezüglich des ersten Prüfungspunktes „Täuschung“ etwas verwirrend. Zwar stellt sich die Frage der Zurechenbarkeit erst iRd der „Arglist“, allerdings kommt es mir komisch vor, einfach zu sagen, dass M getäuscht hat. Oder ist es hier, abstellend auf den Wortlaut des § 123 I, der hinsichtlich der Person des Täuschenden keine genauen Eingrenzungen normiert, egal, eine genaue Bestimmung des Täuschenden vorzunehmen, so dass nur „abstrakt“ festgestellt werden muss, OB getäuscht wurde und nicht durch WEN?

SER

Seriouz0G

19.4.2023, 12:16:44

*Subsumtion

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.4.2023, 13:44:35

Hallo seriouzog, danke für deine Frage. Täuschen meint das Vorspiegeln falscher oder Unterdrücken wahrer Tatsachen. Zunächst ist also zu prüfen 1.) handelt es sich um eine Tatsache, also eine dem Beweis zugängliche Fragestellung? Dies ist bei der Unfallfreiheit eines Wagen der Fall. Dieser ist entweder ein Unfallwagen oder nicht, es handelt sich um eine Tatsache. Des weiteren muss 2.) eine Täuschung gegeben sein, also das Vorspiegeln falscher Tatsachen. Hier wurde vorgespiegelt, es handele sich um einen unfallfreien Wagen. Damit liegt eine Täuschung vor. Auf weiterer Ebene ist zu prüfen durch wen und gegenüber wem diese begangen wurde. Dies kann auch unter Täuschung subsumiert werden, es liegt allerdings nahe dies bei Arglist zu tun. Dort muss ja auch die subjektive Seite geprüft werden. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

15.9.2023, 23:56:10

Beim ersten Lesen des Sachverhalts dachte ich hinsichtlich der Wissenszurechnung an § 166 Abs. 1 BGB und habe dann allein auf das Wissen des M zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt. Bin ich damit der einzige? Wird der Ansatz auch in der Literatur verfolgt?

LELEE

Leo Lee

16.9.2023, 13:09:17

Hallo QuiGonTim, du bist nicht der Einzige. In der Literatur und Rechtsprechung werden sowohl § 166 I BGB als auch § 278 BGB als Zurechnungsnormen anerkannt. Hierzu kann ich dir die Lektüre von Az.: VIII ZR 297/94, Rn. 5 (https://research.wolterskluwer-online.de/document/1477bee5-c070-4727-958c-fc64c6907e6d) sowie MüKo-BGB, 9. Auflage Armbrüster § 123 Rn. 75 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo.

0815jurafuchs

0815jurafuchs

13.2.2024, 20:30:31

Wegen der von M unterlassenen Aufklärung, der über den Unfallschaden nicht informiert war, einfach das Vorspiegeln falscher Tatsachen anzunehmen finde ich etwas verkürzt. M.E. setzt dies ein in irgendeiner Weise bewusstes Verhalten des Täuschenden voraus. Vorwerfbar wäre hier m.E., dass M eine Erkundigungspflicht über alle für den Vertragsschluss wesentlichen Tatsachen traf, die er fahrlässig verletzte. Durch die Verletzung dieser Erkundigungspflicht kam es zu einer Verletzung Aufklärungspflicht, welche zur Vorspiegelung falscher Tatsachen führte


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