Zurechnung im Unternehmen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Autohaus A hat die Niederlassungen X und Y. K schließt einen Kaufvertrag mit A bei Mitarbeiter M in der Niederlassung X über ein gebrauchtes Auto. Das Auto hatte einen Vorunfall. Dies war nur in der Niederlassung Y bekannt.
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Einordnung des Falls
Zurechnung im Unternehmen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der reparierte Unfallschaden des Fahrzeugs ist eine "Tatsache", über die getäuscht werden kann (§ 123 Abs. 1 BGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Indem M mit K den Kaufvertrag geschlossen hat, hat er durch Unterlassen über die Unfallfreiheit des Autos getäuscht (§ 123 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
3. M handelte bei der Täuschung "arglistig" (§ 123 Abs. 1 BGB).
Ja!
4. Die arglistige Täuschung durch M als Vertreter des A ist dem Verhalten des A gleichzusetzen (§ 123 Abs. 1 BGB).
Genau, so ist das!
5. Die kaufrechtliche Mängelhaftung schließt das Anfechtungsrecht wegen arglistiger Täuschung aus.
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Lotte
16.3.2020, 20:50:15
Ist M wirklich Erfüllungsgehilfe? Eine Verbindlichkeit besteht ja erst mit Vertragsschluss, wenn ich mich nicht irre.. 🤔
Christian Leupold-Wendling
17.3.2020, 08:10:13
Hi Lotte, danke für die Frage! Ja. Durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen entsteht bereits ein
vorvertragliches Schuldverhältnis(311 Abs 2 Nr 1 BGB) mit Pflichten nach 241 Abs. 2 BGB.
Philippe
29.8.2022, 06:22:23
Die Ausführungen zur Wissenszurechnung sind m. E. etwas ungenau, weil sie suggerieren, das Wissen von Organwaltern werde grundsätzlich umfassend zugerechnet, auch wenn sie nicht am Rechtsgeschäft beteiligt sind. Die Rspr. des BGH wendet diesbzgl. gerade nicht die Organtheorie an, so dass Organwissen nicht immer auch Gesellschaftswissen ist, Auch bei Geschäftsführern einer GmbH und Vorständen einer AG muss somit geprüft werden, ob eine Pflicht zur Wissensorganisation verletzt wurde. Es muss zudem gefragt werden, ob nicht nur eine Verkehrserwartung besteht, das Wissen aktenmäßig festzuhalten, sondern dieses auch abzuberufen und ob gerade wegen Verletzung dieser
Organisationspflichtder am Rechtsgeschäft beteiligte Vertreter keine Kenntnis hatte.
Lukas_Mengestu
28.10.2022, 18:51:12
Hallo Philippe, sehr guter Hinweis! In der Tat hat die Rechtsprechung eine Reihe von Kriterien entwickelt, wann im Unternehmen Wissen zugerechnet werden kann. Im Endeffekt geht es darum, dass Gesellschaften kein Vorteil daraus erwachsen soll, dass sie sich einer arbeitsteiligen Organisation bedienen. Soweit das entsprechende Wissen aktenmäßig dokumentiert ist, so besteht regelmäßig auch die Pflicht dieses bei einem damit verknüpften Rechtsgeschjäft abzurufen. Wird dies unterlassen, so liegt ein Verstoß gegen die
Organisationspflichtvor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Seriouz0G
19.4.2023, 12:16:03
Ich finde die Subsumption bezüglich des ersten Prüfungspunktes „Täuschung“ etwas verwirrend. Zwar stellt sich die Frage der Zurechenbarkeit erst iRd der „Arglist“, allerdings kommt es mir komisch vor, einfach zu sagen, dass M getäuscht hat. Oder ist es hier, abstellend auf den Wortlaut des § 123 I, der hinsichtlich der Person des Täuschenden keine genauen Eingrenzungen normiert, egal, eine genaue Bestimmung des Täuschenden vorzunehmen, so dass nur „abstrakt“ festgestellt werden muss, OB getäuscht wurde und nicht durch WEN?
Seriouz0G
19.4.2023, 12:16:44
*Subsumtion
Nora Mommsen
20.4.2023, 13:44:35
Hallo seriouzog, danke für deine Frage. Täuschen meint das Vorspiegeln falscher oder Unterdrücken wahrer Tatsachen. Zunächst ist also zu prüfen 1.) handelt es sich um eine Tatsache, also eine dem Beweis zugängliche Fragestellung? Dies ist bei der Unfallfreiheit eines Wagen der Fall. Dieser ist entweder ein Unfallwagen oder nicht, es handelt sich um eine Tatsache. Des weiteren muss 2.) eine Täuschung gegeben sein, also das Vorspiegeln falscher Tatsachen. Hier wurde vorgespiegelt, es handele sich um einen unfallfreien Wagen. Damit liegt eine Täuschung vor. Auf weiterer Ebene ist zu prüfen durch wen und gegenüber wem diese begangen wurde. Dies kann auch unter Täuschung subsumiert werden, es liegt allerdings nahe dies bei Arglist zu tun. Dort muss ja auch die subjektive Seite geprüft werden. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
15.9.2023, 23:56:10
Beim ersten Lesen des Sachverhalts dachte ich hinsichtlich der Wissenszurechnung an § 166 Abs. 1 BGB und habe dann allein auf das Wissen des M zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt. Bin ich damit der einzige? Wird der Ansatz auch in der Literatur verfolgt?
Leo Lee
16.9.2023, 13:09:17
Hallo QuiGonTim, du bist nicht der Einzige. In der Literatur und Rechtsprechung werden sowohl § 166 I BGB als auch
§ 278 BGBals Zurechnungsnormen anerkannt. Hierzu kann ich dir die Lektüre von Az.: VIII ZR 297/94, Rn. 5 (https://research.wolterskluwer-online.de/document/1477bee5-c070-4727-958c-fc64c6907e6d) sowie MüKo-BGB, 9. Auflage Armbrüster § 123 Rn. 75 ff. empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo.
0815jurafuchs
13.2.2024, 20:30:31
Wegen der von M unterlassenen Aufklärung, der über den Unfallschaden nicht informiert war, einfach das Vorspiegeln falscher Tatsachen anzunehmen finde ich etwas verkürzt. M.E. setzt dies ein in irgendeiner Weise bewusstes Verhalten des Täuschenden voraus. Vorwerfbar wäre hier m.E., dass M eine Erkundigungspflicht über alle für den Vertragsschluss wesentlichen Tatsachen traf, die er fahrlässig verletzte. Durch die Verletzung dieser Erkundigungspflicht kam es zu einer Verletzung Aufklärungspflicht, welche zur Vorspiegelung falscher Tatsachen führte