Öffentliches Recht

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Klassiker im Öffentlichen Recht

Befreiung vom Schwimmunterricht für Muslimin (BVerwG, 11.09.2013 - 6 C 25.12)

Befreiung vom Schwimmunterricht für Muslimin (BVerwG, 11.09.2013 - 6 C 25.12)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K ist Muslima und möchte vom Schwimmunterricht befreit werden, weil die islamischen Bekleidungsvorschriften nicht erlaubten, dass Mädchen und Jungen gemeinsam am Schwimmunterricht teilnähmen. Die staatliche Schule lehnt ihren Antrag ab.

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Einordnung des Falls

Befreiung vom Schwimmunterricht für Muslimin (BVerwG, 11.09.2013 - 6 C 25.12)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K erhebt Klage. Ist der sachliche Schutzbereich der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) eröffnet?

Ja!

Der sachliche Schutzbereich der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) umfasst nicht nur die (innere) Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch die Freiheit, den Glauben in der Öffentlichkeit zu manifestieren und zu verbreiten. Umfasst ist auch das Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und im Alltag seiner Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. K erachtet die Gebote, ihren Körper gegenüber Angehörigen des männlichen Geschlechts weitgehend zu bedecken und sich nicht mit dem Anblick von Männern bzw. Jungen in knapp geschnittener Badebekleidung zu konfrontieren, als für sich religiös verpflichtend. Dies ist vom sachlichen Schutzbereich der Glaubensfreiheit umfasst (RdNr. 10ff.).
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2. Hat die Schule durch die Ablehnung des Antrags auf Befreiung vom Schwimmunterricht in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) eingegriffen?

Genau, so ist das!

Ein Eingriff ist jedes staatlich-zurechenbare Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, welches in den Schutzbereich fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht oder erschwert. Die Verpflichtung, am gemeinsamen Schwimmunterricht teilzunehmen, macht es K teilweise unmöglich, ihr Verhalten nach ihren religiösen Geboten auszurichten. Damit greift die Schule durch ihre Ablehnung des Befreiungsantrags hinsichtlich der Teilnahme am Schwimmunterricht in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit ein (RdNr. 10ff.).

3. Die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) ist von so hohem Rang, dass sie schrankenlos gewährt wird. Eine Rechtfertigung des Eingriffs scheidet daher aus.

Nein, das trifft nicht zu!

Auch Grundrechte, die wie die Glaubensfreiheit keine Gesetzesvorbehalte enthalten (vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte), können durch die verfassungsimmanenten Schranken kollidierenden Verfassungsrechts beschränkt werden. Dazu zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang. Als kollidierendes Verfassungsgut kommt hier das staatliche Bestimmungsrecht im Schulwesen (Art. 7 Abs. 1 GG) in Betracht. Weitere kollidierende Verfassungsgüter, die einen Eingriff in die Glaubensfreiheit rechtfertigen können, sind bspw. die negative Glaubensfreiheit anderer (Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und das Gebot weltanschaulicher Neutralität des Staates (Art. 140 GG i.V.m Art. 136 Abs. 1, Abs. 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV). Halte Dich in Deiner Klausur sauber an den gängigen dreistufigen Aufbau: Schutzbereich, Eingriff, Rechtfertigung. Auf der Rechtfertigungsebene spielt - wie in diesem Fall - die Musik. Achte auch hier auf eine klare Struktur und vermeide, „im luftleeren Raum“ zu argumentieren.

4. Art. 7 Abs. 1 GG begründet einen umfassend zu verstehenden staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag und gewährt dem Staat das Recht, die Modalitäten des Unterrichts festzulegen.

Ja!

Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) verleiht dem Staat Befugnisse zur Planung, Organisation, Leitung und inhaltlich-didaktischen Ausgestaltung des Schulwesens, seiner Ausbildungsgänge sowie des dort erteilten Unterrichts. Hierunter fällt grundsätzlich auch die Befugnis, über die äußeren Modalitäten des Unterrichts zu bestimmen und damit auch die Frage, ob Jungen und Mädchen gemeinsam (koedukativ) oder getrennt unterrichtet werden (RdNr. 12). Eingriffe in die Glaubensfreiheit bedürfen zudem einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (BVerfG 108, 282, 297). Diesen Anforderungen würden die hier einschlägigen Regelungen (§ 69 Abs. 4 Satz 1, § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. n, § 3 Abs. 4 Satz 2 und 3 HessSchulG) gerecht (RdNr. 11).

5. Das Grundrecht auf Glaubensfreiheit sowie das staatliche Bestimmungsrecht im Schulwesen stehen sich gleichrangig gegenüber.

Genau, so ist das!

Verfassungsgüter, die sich gleichrangig gegenüberstehen, bedürfen gemäß dem Grundsatz praktischer Konkordanz der wechselseitigen Begrenzung in einer Weise, die nicht eines von ihnen bevorzugt, sondern beiden Wirksamkeit verschafft und sie möglichst schonend ausgleicht. Dies kann schon auf abstrakt-genereller Ebene zu wechselseitigen Relativierungen beider Verfassungsgüter führen (RdNr. 14). Der Grundsatz der praktischen Konkordanz hat eine sehr große Relevanz im öffentlichen Recht. Du solltest ihn immer ansprechen, wenn ein Konflikt zwischen mehreren Verfassungsgütern zum Ausgleich gebracht werden muss. Prüfungsort ist die Rechtfertigung des Eingriffs.

6. Die staatlichen Wirkungsbefugnisse im Schulbereich können bereits auf abstrakt-genereller Ebene das Grundrecht auf Glaubensfreiheit beschränken.

Ja, in der Tat!

Die staatlichen Wirkungsbefugnisse im Schulbereich sind verfassungsrechtlich so gewichtig, dass sie die Glaubensfreiheit beschränken können. Den die Schule ist maßgeblich für die Entfaltung der Lebenschancen der nachwachsenden Generation und für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Die verfassungsrechtlich anerkannte Bildungs- und Integrationsfunktion der Schule würde nur unvollkommen Wirksamkeit erlangen, müsste der Staat die Schul- und Unterrichtsgestaltung am kleinsten gemeinsamen Nenner der Vorstellungen der Beteiligten ausrichten. Der Staat ist darauf angewiesen, das Bildungs- und Erziehungsprogramm für die Schule grundsätzlich unabhängig von den Wünschen der beteiligten Schüler und ihrer Eltern anhand eigener inhaltlicher Vorstellungen bestimmen zu können. Achtung: Wenn Du auf Rechtfertigungsebene praktische Konkordanz zwischen den kollidierenden Verfassungsgütern herstellen musst, ist es für Deine Struktur entscheidend, dass Du den Gehalt und die Bedeutung der Rechtsgüter abstrakt-generell gegenüberstellst, bevor Du dies dann auf Deinen Fall (konkret-individuell) anwendest.

7. Der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) wird im schulischen Kontext hinreichend durch das staatliche Neutralitäts- und Toleranzgebot Rechnung getragen.

Nein!

Das staatliche Neutralitäts- und Toleranzgebot verpflichtet den Staat bei der Entscheidung über Inhalt und Modalitäten des Unterrichts, religiöse Positionen nicht absichtlich zu konterkarieren. Es würde demnach Schüler nur vor einer religiösen Indoktrinierung schützen. Das aus der Glaubensfreiheit abgeleitete Recht, die eigene Lebensführung umfassend den eigenen Glaubensüberzeugungen entsprechend auszurichten, würde leerlaufen, dürfte die Schule sich im Rahmen der Unterrichtsgestaltung über die individuell erachtete Maßgeblichkeit bestimmter religiöser Verhaltensregeln stets hinwegsetzen. Demnach muss der Staat nicht nur auf unmittelbare Indoktrination verzichten, sondern auch auf religiöse Verhaltensgebote Rücksicht nehmen - in den verfassungsrechtlichen Grenzen. Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf religiöse Verhaltensgebote gilt nicht grenzenlos, sondern ist abhängig von der konkreten Betroffenheit des Verhaltensgebots und dem gegenüberstehenden Verfassungsgut. Individuelle Unterrichtsbefreiungen dürfen nicht als routinemäßige Option der Konfliktlösung fungieren, um auf religiöse Verhaltensgebote Rücksicht zu nehmen (RdNr. 19).

8. Der Grundsatz praktischer Konkordanz fordert einen wechselseitig schonenden Ausgleich kollidierender Verfassungsgüter auf konkret-individueller Ebene.

Genau, so ist das!

Der Grundsatz praktischer Konkordanz verlangt, beim Auftreten eines konkreten Konflikts zwischen zwei Verfassungsgütern zu prüfen, ob unter Rückgriff organisatorische oder prozedurale Gestaltungsoptionen eine kompromisshafte Konfliktentschärfung möglich ist, die beiden Positionen in Bezug auf den Einzelfall Wirksamkeit verschafft. Ist jedoch ein schonender Ausgleich der widerstreitenden Rechtspositionen im Einzelfall unmöglich, ist unter Einbezug der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls eine Vorrangentscheidung zu treffen (RdNr. 20). Demnach ist zu fragen, ob die von einem Einzelnen aus religiösen Gründen begehrte Befreiung von der Unterrichtsteilnahme für seinen Grundrechtsschutz unerlässlich ist, sodass das staatliche Bestimmungsrecht ausnahmsweise zurückzutreten hat. Vorher hat das BVerwG den wechselseitig schonenden Ausgleich zwischen der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) und dem staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) allein auf abstrakt-genereller Ebene vorgenommen. Dieser Zweischritt - erst abstrakt-generelle Gegenüberstellung der betroffenen Rechtsgüter, dann konkret-individuelle Prüfung - hilft Dir, Deine Klausur zu strukturieren.

9. Solange die Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit nicht von besonderer Intensität ist, genießt der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag Vorrang.

Ja, in der Tat!

Im Grundsatz ist eine Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) als regelmäßig typische Begleiterscheinung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags (Art. 7 Abs. 1 GG) hinzunehmen. Solange keine besonders gravierende Beeinträchtigung vorliegt, bedarf es demnach keiner weitergehenden Abwägung im Einzelfall, weil über die Zuordnung der konkurrierenden Positionen bereits abschließend, auf abstrakt-genereller Ebene durch die Verfassung entschieden ist (RdNr. 24). Auch wenn eine besonders gravierende Beeinträchtigung religiöser Belange vorliegt, führt dies aber noch nicht automatisch zu einem Zurücktreten des staatlichen Bestimmungsrechts. Es bedarf dann einer weitergehenden Abwägung (RdNr. 24).

10. Eine besonders gravierende Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit kommt nur in Betracht, sofern das religiöse Verhaltensgebot aus Sicht des Betroffenen imperativen Charakter aufweist.

Ja!

Wird vom Grundrechtsträger verlangt, gegen religiöse Überzeugungen zu handeln, die nicht als zwingend begriffen werden, sondern lediglich Orientierung und Anleitung für eine religiös geprägte Lebensführung vermitteln sollen, so rechtfertigt dies keinen Vorrang der Glaubensfreiheit. Auch wenn diese Überzeugungen in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit fallen, entsteht kein Glaubens- bzw. Gewissenskonflikt unzumutbaren Ausmaßes, wenn sie nicht vollumfänglich verwirklicht werden können (RdNr. 26). Auch wenn ein imperatives religiöses Gebot vorliegt, führt dies nicht automatisch zu einer besonders gravierenden Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit, wenn der Einzelne genötigt wird, diesem zuwiderzuhandeln. Entscheidend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls (RdNr. 26).

11. K hat einen Anspruch auf Befreiung vom gemeinsamen Schwimmunterricht, obwohl sie die Möglichkeit hat, einen Ganzkörperbadeanzug („Burkini“) zu tragen.

Nein, das ist nicht der Fall!

BVerwG: Durch das Tragen eines Ganzkörperbadeanzugs („Burkinis“) könne K das von ihr als verbindlich erachtete Gebot, ihren Körper gegenüber Angehörigen des männlichen Geschlechts weitgehend zu bedecken, hinreichend verwirklichen. Hierdurch würde eine ausgleichend-schonende Zuordnung der konträren Verfassungspositionen im Einzelfall erreicht (RdNr. 24) Im Falle zweier konkurrierender Verfassungsgüter musst Du immer eine Abwägung und das Herstellen eines möglichst wechselseitig schonenden Ausgleichs anhand des Grundsatzes der praktischen Konkordanz vornehmen. Hierbei kommt es auf Deine Argumentation an - das Ergebnis ist zweitrangig.

12. K meint, dass sie nicht mit dem Anblick von Männern bzw. Jungen in knapper Kleidung konfrontiert sein darf. Muss die Schule deswegen getrennten Schwimmunterricht einführen?

Nein, das trifft nicht zu!

BVerwG: Getrennter Schwimmunterricht von Jungen und Mädchen stelle keine annehmbare Ausweichmöglichkeit dar, weil er zu einer Art der Unterrichtsgestaltung führen würde, die dem fachlichen Konzept der Schule – das auf die gemeinsame Unterrichtung von Jungen und Mädchen gerichtet ist – in gravierender Weise zuwiderliefe. Die Befugnis der Schule, das Bildungs- und Erziehungsprogramm sowie die Modalitäten seiner praktischen Umsetzung anhand eigener Vorstellungen bestimmen zu können, würde andernfalls in ihrem Kern infrage gestellt und damit der Rahmen einer ausgleichend-schonenden Zuordnung der betroffenen Rechtspositionen überschritten.

13. Die Ablehnung von Ks Antrag auf Unterrichtsbefreiung war rechtmäßig

Ja!

Dem staatlichen Bestimmungsrecht im Schulwesen kommt im konkreten Fall Vorrang vor Ks Glaubensfreiheit zu. Mit ihrem Befreiungsverlangen knüpfte K ihre Bereitschaft, am Schulunterricht teilzunehmen, an die Bedingung, dass dort ein bestimmter, nach allgemeiner Auffassung unverfänglicher Ausschnitt sozialer Realität ausgeblendet werden sollte. Dies stellte den schulischen Wirkungsauftrag, insbesondere ihre gesellschaftliche Integrationsfunktion, in seinem Kern infrage. Denn hierfür ist das Ziel, bei allen Schülern die Bereitschaft zum Umgang mit Verhaltensweisen, Gebräuchen, Meinungen und Wertanschauungen Dritter zu fördern, die ihren eigenen religiösen oder kulturellen Anschauungen widersprechen, entscheidend. Durch die Möglichkeit, einen Ganzkörperbadeanzug zu tragen, kann den als imperativ begriffenen religiösen Überzeugungen der K hinreichend Rechnung getragen werden.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

IS

IsiRider

2.11.2022, 20:30:03

Nochmal zur praktischen Konkordanz: Welches Verhältnis zwischen den Grundrechten vorliegt, entnehme ich woraus? Wann ist es ein Gut von Verfassungsrang? Ich dachte, entscheidend sei wie die jeweilige Person ihren Glauben versteht und auslebt. Mich hat die Formulierung irritiert mit der Orientierung an allgemeinen religiösen Geboten.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.11.2022, 11:23:00

Hallo IsiRider,

Rechtsgüter

von Verfassungsrang sind zum einen die Grundrechte, zum anderen die sich aus den verfassungsimmanenten Schranken ergebenden Schutzgüter. Zudem gibt es Gemeinschaftsgüter mit Verfassungsrang wie beispielsweise das Prinzip wehrhafter Demokratie oder die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Während Grundrechte sich in der Regel gleichrangig gegenüber stehen, sind Gemeinschaftsgüter oftmals durch punktuelle und individuelle Freiheitsausübung des Einzelnen wenn überhaupt nicht wesentlich beeinträchtigt. Wird zum Beispiel glaubensbedingt - also unter Rückgriff auf Art. 4 Abs. 1 GG - der Eid verweigert, wird die Rechtspflege nicht nennenswert gefährdet. Daher stehen Gemeinschaftsgüter im direkten Konflikt oftmals hinten an. Die Eröffnung des Schutzbereichs der Glaubensfreiheit muss wie du richtig gesagt hast für jeden Einzelfall ermittelt werden. Zwar ist darauf abzustellen, ob der einzelne plausibel darlegt, dass das vermeintliche Verhalten einen Eingriff in seine individuell verstandene Glaubensfreiheit darstellt. Allerdings kann der Einzelne objektive Gebote von Glaubensgemeinschaften für sich geltend machen. Relevant ist dabei, dass er dieses als imperativ empfindet. Zu prüfen ist also, ob (1) das generelle Glaubensgebot verletzt wird und (2) der Einzelne plausibel dargestellt hat, dass er dies als verbindlich empfindet. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

MAG

Magnum

13.9.2024, 12:30:06

Welche Auswirkung haben die zwei Ebenen (abstrakt-generell und konkret-individuell) der praktischen Konkardanz aufeinander? Was folgt aus der Aussage, dass der staatliche Schulauftrag abstrakt-generell dazu geeignet ist, die Glaubensfreiheit einzuschränken? Würde ich andernfalls schon hier aus der Prüfung ausscheiden und der Klage zu Gunsten der Glaubensfreiheit stattgeben?

Whale

Whale

8.11.2024, 11:54:08

Die abstrakt-generelle Gewichtung sowie die Eingriffsintensität verkörpern für mich immer die Punkte, die mitbestimmen, wie beide sich gegenüberstehende Positionen bei der Abwägung innerhalb der Prüfung der Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne), konkret bei der konkret-individuellen Gewichtung, ins Rennen starten - die Startumstände sozusagen. Ich baue die Angemessenheitsprüfung immer folgendermaßen auf: a. Prüfungsmaßstab b. Abstrakte(-generelle) Gewichtung c. Eingriffsintensität d. Abwägung (konkret-individuelle Gewichtung) Ich sehe hier keine Möglichkeit, bereits an diesem Punkt aus der Prüfung auszusteigen, insbesondere wenn es sich um den Eingriff in ein Grundrecht handelt, was nur durch kollidierende Verfassungsgüter eingeschränkt werden kann. Wenn eine Prüfung bei der abstrakt-generellen Abwägung scheitert, würde das heißen, dass das eine Grundrecht immer gegenüber dem anderen Vorrang genießt, was in unserer Verfassung so nicht vorgesehen ist.

Whale

Whale

8.11.2024, 13:02:15

Ich habe in Fall gerade allerdings diesen Satz hier gefunden, scheint ein Ausnahmefall zu sein, wo man schon auf der abstrakt generellen Ebene die Prüfung zugunsten der Schule beendet: „Solange keine besonders gravierende Beeinträchtigung vorliegt, bedarf es demnach keiner weitergehenden Abwägung im Einzelfall, weil über die Zuordnung der konkurrierenden Positionen bereits abschließend, auf abstrakt-genereller Ebene durch die Verfassung entschieden ist“ Ich hoffe, das kann deine Frage in etwa beantworten.

Whale

Whale

8.11.2024, 11:58:59

Am Ende der Aufgabe wird erwähnt, dass ein getrennter Schwimmunterricht Art. 7 I GG aushöhlen würde und deswegen nicht als valide Alternative zur Verpflichtung an der Teilnahme am Schwimmunterricht angesehen werden kann. Dies klingt für mich, wie die Prüfung der Erforderlichkeit, aber bei der Erforderlichkeit passiert noch keine Abwägung, danit fließt hier ja auch die Prüfung der Angemessenheit mit rein. wo also sollte man den Punkt am besten in der Klausur erwähnen?


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