(Fall) Rechtswegfremde Gegenforderung

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Stadt Mainz (M) kauft im Rahmen eines privatrechtliches Geschäfts Papier vom Geschäft der G für €10.000. Da M nicht zahlt, erhebt G Klage. Im Prozess erklärt M die Aufrechnung mit einem streitigen Steuernachzahlungsanspruch gegen G.

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Einordnung des Falls

(Fall) Rechtswegfremde Gegenforderung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Damit M mit dem Steuernachzahlungsanspruch gegen die Kaufpreisforderung aufrechnen kann, müsste eine Aufrechnungslage vorliegen (§§ 387, 390 BGB).

Ja!

Das Bestehen der Aufrechnungslage ist die Grundvoraussetzung für die Aufrechnung. Eine Aufrechnungslage liegt vor, wenn der Aufrechnende eine gegenseitige, gleichartige, fällige und durchsetzbare (Gegen-)forderung besitzt und die (Haupt-)forderung erfüllbar ist.
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2. M und G stehen gegenseitige Forderungen zu.

Genau, so ist das!

Die Forderungen sind gegenseitig, wenn jede Partei zugleich Schuldner und Gläubiger der anderen ist. Während M gegenüber G einen Anspruch auf Nachzahlung von Steuern hat, hat G gegen M einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung (§ 433 Abs. 2 BGB). Beide sind somit sowohl Gläubiger als auch Schuldner.

3. Ms Forderung gegen G ist öffentlich-rechtlicher Natur. Gs Forderung gegen M ist privatrechtlich. Fehlt es deshalb an der Gleichartigkeit der Forderungen?

Nein, das trifft nicht zu!

Gleichartigkeit liegt vor, wenn die Forderungen ihrem Gegenstand nach gleich sind.G hat einen Zahlungsanspruch gegen M. M steht gegen G auch ein Zahlungsanspruch zu. Dass beide Forderungen von unterschiedlicher Rechtsnatur sind, steht dem nicht entgegen. Beide Forderungen sind gleichartig.Die Rechtsnatur der Forderung wirkt sich aber auf den zu beschreitenden Rechtsweg aus. Zuständig für Steuerstreitigkeiten sind die Finanzgerichte (§ 33 Abs. 1 FGO), wohingegen bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten vor die Zivilgerichte gehören (§§ 71 Abs. 1, 23 GVG).

4. Das Gericht des zulässigen Rechtswegs entscheidet den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten (§ 17 Abs. 2 S. 1 GVG).

Ja!

§ 17 Abs. 2 S. 1 GVG ordnet an, dass das Gericht unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Das bedeutet, dass es nicht darauf ankommt, zu welchem Rechtsweg eine Sache bei isolierter Betrachtung einzelner Klagegründe gehören würde. Das Gericht prüft unabhängig davon alle in Betracht kommenden Klagegründe. Es hat eine rechtswegüberschreitende Sach- und Entscheidungskompetenz. Dies gilt nach h.M. aber nur, wenn es sich um ein gemischtes Rechtsverhältnis handelt und nicht um eine Mehrheit prozessualer Ansprüche.

5. Das von G angerufene Zivilgericht darf über die Zulässigkeit der Aufrechnung durch M mit einer öffentlich-rechtlichen Forderung entscheiden (§ 17 Abs. 2 S. 1 GVG).

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 17 Abs. 2 S. 1 GVG ordnet an, dass das Gericht unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Hiervon gibt es aber nach h.M. Ausnahmen. So darf das Gericht zwar bei gemischten Rechtsverhältnissen, die unterschiedlicher Rechtsnatur sind, umfassend entscheiden. Dies gilt aber nicht bei einer Mehrheit prozessualer Ansprüche. Hier liegt nicht ein „rechtlicher Gesichtspunkt“ vor, sondern ein selbstständiges Gegenrecht. Über ein Gegenrecht eines fremden Rechtswegs darf das Gericht aber keine rechtskräftige Entscheidung treffen (§ 322 Abs. 2 ZPO). Hier liegt ein selbstständiges Gegenrecht vor. Das Gericht darf also nicht über diese Wirksamkeit der vom M erklärten Prozessaufrechnung entscheiden.

6. Eine außergerichtliche Aufrechnung (§ 387 BGB) mit Forderungen unterschiedlicher Rechtswegs ist möglich. Eine Prozessaufrechnung (= Aufrechnung im Prozess) mit einer streitigen, rechtswegfremden Forderung nicht.

Ja, in der Tat!

Wie bereits festgestellt, sind die Voraussetzung der Aufrechnung trotz des unterschiedlichen Rechtswegs erfüllt. Trotzdem ist die von M erklärte Prozessaufrechnung mit der streitigen Steuerforderung nicht möglich. Dies wird mit dem Zweck der Rechtswegaufteilung begründet (Sachnähe, Fachkompetenz, unterschiedlichen Verfahrensordnungen). Der Rechtsweg könnte sonst durch bloßen Parteiakt entzogen werden. Hingegen ist eine Prozessaufrechnung mit bereits rechtswirksam festgestellten, rechtsfremden Forderungen möglich. Eine Prozessaufrechnung ist nur möglich, wenn die Forderung unstreitig oder rechtskräftig festgestellt ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Niklas3461

Niklas3461

3.10.2023, 15:39:29

Hi eine Frage heir ist ja von einer streitigen Forderung die Rede, kann man bei einer solcher einfach so die Gegenseitigkeit annehmen und warum ? VG Niklas

CHEFM

ChefMarcelo

3.10.2023, 18:24:27

Ist ja trotzdem ein

Synallagma

, auch wenn Stadt/Privat. Ist ja ein privatR Vertrag mit Leistung und Gegenleistung und daher Gegenseitigkeit +. Schuldner = Gläubiger und Gläubiger = Schuldner

Nora Mommsen

Nora Mommsen

4.10.2023, 13:47:13

Hallo Niklas Betendes, wenn von einer streitigen Forderung gesprochen wird, meint es erstmal nur dass über das Bestehen oder die Höhe Uneinigkeit herrscht. Das sagt noch nichts darüber aus, inwieweit diese Forderungen in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen.

Synallagma

wiederum liegt nur vor, wenn die beiden Forderungen miteinander verknüpft sind - also z.B. Kaufpreisforderungen mit der Forderung auf

Übergabe und Übereignung

. Dies ist nicht dasselbe wie Gegenseitigkeit. Letzteres meint nur, dass beide Person jeweils Schuldner und Gläubiger des anderen sein müssen. Es setzt nicht voraus, dass die Forderungen in einem inneren Verhältnis zueinander stehen. Hier liegt also kein

Synallagma

vor, aber Gegenseitigkeit der Forderungen weil die Stadt Gläubigerin der Steuerforderung ist und Schuldnerin des Kaufpreises und G eben andersrum. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

CHEFM

ChefMarcelo

4.10.2023, 17:33:09

@[

Nora Mommsen

](178057) warum ist das denn dann kein

synallagma

? 🤔

QUIG

QuiGonTim

13.2.2024, 20:49:14

Wie @[

Nora Mommsen

](178057) es bereits beschrieben hat, geht es beim

Synallagma

um eine innere Verbindung der Ansprüche. Sie stehen einander als Leistung und Gegenleistung/Entgelt unmittelbar gegenüber (z.B.

Anspruch auf Übergabe und Übereignung

sowie Kaufpreisforderung aus dem selben Kaufvertrag: Beide Seiten haben den Vertrag nur in Ansehung der jeweiligen Gegenforderung geschlossen). Vorliegend bestehen die Kaufpreisforderung und Steuerschuld völlig unabhängig voneinander. Sie stehen sich nicht als Leistung und Gegenleistung gegenüber.

Paulah

Paulah

28.11.2023, 09:07:56

Meiner Meinung nach gehört diese Aufgabe nicht in Schuldrecht AT, sondern ins Prozessrecht.

QUIG

QuiGonTim

7.12.2023, 11:52:07

Lernen in Zusammenhängen schadet nicht. ;)

Paulah

Paulah

7.12.2023, 14:43:21

Das stimmt, ist nur schwierig, wenn man Prozessrecht noch nicht hatte. ;-)

QUIG

QuiGonTim

5.12.2023, 09:01:27

Inwiefern geht aus § 322 Abs. 2 ZPO hervor, dass das Gericht über ein Gegenrecht eines fremden Rechtswegs keine rechtskräftige Entscheidung treffen darf?

Peter im Pech

Peter im Pech

5.2.2024, 12:28:15

Wüsste ich auch gerne. Kann ich dem Wortlaut nicht entnehmen 🙈

QUIG

QuiGonTim

7.12.2023, 12:00:35

Ich bin hier schon bei der Aufrechnungslage rausgeflogen, indem ich für den Steuernachzahlungsanspruch die Forderungseigenschaft gem. § 387 BGB verneint habe. Dies ergibt aus einer systematischen Betrachtung. Die §§ 241 ff. BGB behandeln privatrechtliche Forderungen. Insbesondere schreibt § 311 Abs. 1 BGB vor, dass es zur Begründung eines Schuldverhältnisses eines Vertrages, also einer auf der Privatautonomie beruhenden Entscheidung bedürfe. Es ist nicht ersichtlich, warum ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, der gerade nicht auf einer privatautonomen Entscheidung, sondern auf einer einseitigen Anordnung beruht, den schuldrechtlichen Forderungsbegriff in § 387 BGB erfüllen soll. Bin ich der einzige mit dieser Ansicht/Argumentation oder finden sich in der Literatur ähnliche Ansätze?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

7.12.2023, 17:10:31

Hallo QuiGonTim, danke für deine Anmerkungen! Es ist allgemein anerkannt, dass gleichartige Ansprüche insbesondere solche sind die auf Geld gerichtet sind. Das ist bei Steuerschulden nicht anders. Der § 226 Abs. 1 AO ordnet sogar die "sinngemäße Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen Rechts" für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche an. Ich konnte dazu keine größere Gegenmeinung finden. Allerdings ist die Anwendbarkeit der Aufrechnung im Insolvenzverfahren höchst umstritten. Dabei geht es nicht nur um die Anwendbarkeit als solche, sondern auch für die unterschiedlichen Steuertatbestände einzeln. Dies stellt aber bereits einen recht vertieften Einstieg ins Insolvenzrecht dar. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

7.12.2023, 17:22:12

Vielen Dank für die Antwort. Der § 226 Abs. 1 AO war mir nicht bekannt.

TO

TomBombadil

23.12.2023, 19:34:00

Ich finde es recht unglücklich, dass die streitige Forderung beim Vorliegen der Aufrechnungslage als bestehend aufgefasst werden muss. Vielleicht lässt sich die Aufgabe in klarstellender Weise anpassen?

G0D0FM

G0d0fMischief

15.10.2024, 14:04:39

Ich verstehe nicht ganz, wie § 322 II ZPO zu lesen ist, sodass man auf dieses Ergebnis kommt.


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