(Fall) Rechtswegfremde Gegenforderung

17. Februar 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Stadt Mainz (M) kauft im Rahmen eines privatrechtliches Geschäfts Papier vom Geschäft der G für €10.000. Da M nicht zahlt, erhebt G Klage. Im Prozess erklärt M die Aufrechnung mit einem streitigen Steuernachzahlungsanspruch gegen G.

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Einordnung des Falls

(Fall) Rechtswegfremde Gegenforderung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Damit M mit dem Steuernachzahlungsanspruch gegen die Kaufpreisforderung aufrechnen kann, müsste eine Aufrechnungslage vorliegen (§§ 387, 390 BGB).

Ja!

Das Bestehen der Aufrechnungslage ist die Grundvoraussetzung für die Aufrechnung. Eine Aufrechnungslage liegt vor, wenn der Aufrechnende eine gegenseitige, gleichartige, fällige und durchsetzbare (Gegen-)forderung besitzt und die (Haupt-)forderung erfüllbar ist.
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2. M und G stehen gegenseitige Forderungen zu, wenn Ms (streitiger) Anspruch tatsächlich besteht.

Genau, so ist das!

Die Forderungen sind gegenseitig, wenn jede Partei zugleich Schuldner und Gläubiger der anderen ist. Während M gegenüber G einen Anspruch auf Nachzahlung von Steuern hat, hat G gegen M einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung (§ 433 Abs. 2 BGB). Beide sind somit sowohl Gläubiger als auch Schuldner.

3. Ms Forderung gegen G ist öffentlich-rechtlicher Natur. Gs Forderung gegen M ist privatrechtlich. Fehlt es deshalb an der Gleichartigkeit der Forderungen?

Nein, das trifft nicht zu!

Gleichartigkeit liegt vor, wenn die Forderungen ihrem Gegenstand nach gleich sind.G hat einen Zahlungsanspruch gegen M. M steht gegen G auch ein Zahlungsanspruch zu. Dass beide Forderungen von unterschiedlicher Rechtsnatur sind, steht dem nicht entgegen. Beide Forderungen sind gleichartig.Die Rechtsnatur der Forderung wirkt sich aber auf den zu beschreitenden Rechtsweg aus. Zuständig für Steuerstreitigkeiten sind die Finanzgerichte (§ 33 Abs. 1 FGO), wohingegen bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten vor die Zivilgerichte gehören (§§ 71 Abs. 1, 23 GVG).

4. Das Gericht des zulässigen Rechtswegs entscheidet den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten (§ 17 Abs. 2 S. 1 GVG).

Ja!

§ 17 Abs. 2 S. 1 GVG ordnet an, dass das Gericht unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Das bedeutet, dass es nicht darauf ankommt, zu welchem Rechtsweg eine Sache bei isolierter Betrachtung einzelner Klagegründe gehören würde. Das Gericht prüft unabhängig davon alle in Betracht kommenden Klagegründe. Es hat eine rechtswegüberschreitende Sach- und Entscheidungskompetenz. Dies gilt nach h.M. aber nur, wenn es sich um ein gemischtes Rechtsverhältnis handelt und nicht um eine Mehrheit prozessualer Ansprüche.

5. Ob das von G angerufene Zivilgericht über die Zulässigkeit der Aufrechnung durch M mit einer öffentlich-rechtlichen Forderung entscheiden darf (§ 17 Abs. 2 S. 1 GVG), ist umstritten.

Genau, so ist das!

§ 17 Abs. 2 S. 1 GVG ordnet an, dass das Gericht unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Hiervon gibt es aber nach einer Ansicht Ausnahmen. So darf das Gericht zwar bei gemischten Rechtsverhältnissen, die unterschiedlicher Rechtsnatur sind, umfassend entscheiden. Dies gilt aber nicht bei einer Mehrheit prozessualer Ansprüche. Hier liegt nicht ein „rechtlicher Gesichtspunkt“ i.S.v. § 17 Abs. 2 S. 1 GVG vor, sondern ein selbstständiges Gegenrecht. Die Gegenansicht argumentiert, dass das Bestehen einer Gegenforderung gerade erheblich für das Ergebnis des Prozesses sei. Auch spräche die Prozessökonomie und die Garantie eines effektiven Rechtsschutzes dafür, § 17 Abs. 2 S. 1 GVG auch auf eine rechtswegsfremde Gegenforderung anzuwenden. Etwas anderes gilt nach allgemeiner Auffassung, wenn die Gegenforderung bereits rechtskräftig oder bestandskräftig festgestellt oder unbestritten ist. Dann kann sie im Zivilprozess geltend gemacht werden.

6. Eine außergerichtliche Aufrechnung (§ 387 BGB) mit Forderungen unterschiedlicher Rechtswegs ist unstrittig möglich.

Ja, in der Tat!

Wie bereits festgestellt, sind die Voraussetzung der Aufrechnung trotz des unterschiedlichen Rechtswegs erfüllt. Ob dies auch für die von M erklärte Prozessaufrechnung gilt, ist umstritten. Dagegen spricht der Zweck der Rechtswegaufteilung (Sachnähe, Fachkompetenz, unterschiedlichen Verfahrensordnungen). Der Rechtsweg könnte sonst durch bloßen Parteiakt entzogen werden. Hingegen ist eine Prozessaufrechnung mit bereits rechtswirksam festgestellten, rechtsfremden Forderungen möglich. Nach dieser Auffassung konnte M nicht wirksam im Prozess mit seiner streitigen Steuernachzahlungsforderung aufrechnen. Die Gegenauffassung argumentiert vor allem mit der Prozessökonomie. Eine „Rechtswegszersplitterung“ im Einzelfall müsste dafür in Kauf genommen werden.
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