+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Mieter M steht mit der Mietzahlung im Rückstand, weshalb Vermieterin V die ordentliche Kündigung erklärt. M steht ein verjährter Rückzahlungsanspruch aus Nebenkostenabrechnungen zu. M bietet an, den Rückstand zu begleichen, wenn V die Kündigung zurücknimmt. Zudem erklärt er die Aufrechnung für den Fall, dass V an der Kündigung festhalten sollte.

Einordnung des Falls

Ausnahmsweise Bedingung möglich

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Noch bevor Verjährung eingetreten ist, standen sich Ms Forderung und Vs Forderung gegenüber. Ist in einem solchen Fall die Aufrechnung möglich?

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Ja!

Die Aufrechnung setzt eine Aufrechnungslage (§§ 387, 390 BGB) und eine Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB) voraus. Damit eine Aufrechnungslage vorliegt, muss unter anderem die Forderung des Aufrechnungserklärenden durchsetzbar sein. Eine Forderung ist durchsetzbar, wenn ihr keine Einreden entgegenstehen (§ 390 BGB). Einer verjährten Forderung steht insoweit die Einrede der Verjährung entgegen (§ 214 BGB). Ausnahmsweise ist eine Aufrechnung trotz Verjährung möglich, wenn die Gegenforderung zu dem Zeitpunkt in dem erstmals hätte aufgerechnet werden können, noch nicht verjährt war (§ 215 BGB).Die Hauptforderung aus dem Mietverhältnis ist fällig geworden. Zu diesem Zeitpunkt war die Gegenforderung noch nicht verjährt. Es bestand also eine Aufrechnungslage vor Eintritt der Verjährung. Eine Aufrechnung wäre damit grundsätzlich möglich

2. Die Aufrechnung ist als Gestaltungsrecht bedingungsfeindlich.

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Genau, so ist das!

Die Aufrechnung ist ein einseitiges Gestaltungsrecht. Zum Schutz des Aufrechnungsgegners kann die Aufrechnung daher weder unter einer Bedingung (§158 BGB) noch unter einer Zeitbestimmung (Befristung) erklärt werden (§ 388 S. 2 BGB). Dies trägt dem Bedürfnis des Aufrechnungsgegners nach Rechtssicherheit Rechnung.

3. M hat die Aufrechnung unter der Bedingung („für den Fall“) erklärt, dass V die Kündigung nicht zurücknimmt. Scheitert die Aufrechnung damit an der Bedingungsfeindlichkeit von Gestaltungsrechten?

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Nein, das trifft nicht zu!

Eine unzulässige Bedingung nach § 158 BGB liegt nur vor, wenn die Aufrechnung von einem zukünftigen, objektiv ungewissen Ereignis abhängig gemacht wird.Hier ist die Aufrechnung nicht mit Rechtsunsicherheit für den schutzwürdigen Aufrechnungsgegner (V) verbunden. Denn V hat es selbst in der Hand, ob die Bedingung eintritt (keine Rücknahme der Kündigung) oder nicht und die Aufrechnung deshalb ausbleibt. Hierbei handelt es sich um eine sog. Potestativbedingung. Hierbei handelt es sich um eine (zulässige) Bedingung. Die bedingt erklärte Aufrechnung ist deshalb trotz § 388 S. 2 BGB wirksam. Teilweise wird die Zulässigkeit der Hilfsaufrechnung auch mit einer teleologischen Reduktion des § 388 S. 2 BGB begründet.

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QUIG

QuiGonTim

5.12.2023, 20:43:43

Liebes Jurafuchs-Team, könntet ihr den Begriff der Potestativbedingung nochmal abstrakt erklären? Mir wird losgelöst vom Fall noch nicht ganz klar, was damit gemeint ist.

Bubbles

Bubbles

5.12.2023, 21:05:05

Bin zwar nicht vom Jurafuchs-Team, aber gebe mal mein bestes 😄: Der Grund für die Bedingungsfeindlichkeit von rechtsgestaltenden Willenserklärungen ist, dass dem Erklärungsempfänger keine unklare Rechtslage zugemutet werden soll. Er muss wissen, was gilt und wonach er sein Handeln ausrichten soll. Bei Postetativbedingungen, bei denen es der Erklärungsempfänger in der Hand hat den Bedingungseintritt herbeizuführen, geht dieser Schutzzweck fehl, da sich die Rechtslage gewissermaßen nach seinem Handeln richtet und daher für ihn vorhersehbar ist.

QUIG

QuiGonTim

5.12.2023, 23:01:25

Dein bestes hat gereicht, vielen Dank. :)

QUIG

QuiGonTim

2.2.2024, 10:51:51

Ich kann dem Sachverhalt nach mehrmaligem Lesen nicht entnehmen, dass der Nebenkostenrückzahlungsanspruch noch nicht verjährt war, als die Mietzinsforderung erstmals erfüllbar war. Liegt es an mir oder steht es tatsächlich nicht im Sachverhalt?

0815

0815jurafuchs

20.3.2024, 19:48:16

Die Annahme/Unterstellung, dass der Nebenkostenanspruch nicht verjährt war im Zeitpunkt der Fälligkeit des Mietzinses, ist als den Sachverhalt ergänzender, einleitender Satz der ersten Frage vorangestellt.


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