Grundfall gutgläubiger Eigentumserwerb nach § 366 Abs. 1 HGB

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V betreibt ein Handelsgewerbe, in dem sie gebrauchte italienische Motorroller in Kommission verkauft und repariert. Die im Eigentum der E stehende Vespa wurde von V repariert und steht abholbereit im Vorraum. Sammler K ist von der Vespa so begeistert, dass er sie von V erwirbt. Er geht davon aus, dass V sie in Kommission veräußern sollte. ‌

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Einordnung des Falls

Grundfall gutgläubiger Eigentumserwerb nach § 366 Abs. 1 HGB

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. E hat ihr Eigentum an der Vespa durch Veräußerung der V an K nach § 929 S.1 BGB verloren.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Eigentumsübertragung nach § 929 S. 1 BGB setzt Einigung, Übergabe, Einigsein bei Übergabe und Verfügungsbefugnis voraus. V sollte die Vespa lediglich für E reparieren (§ 631 Abs. 1 BGB). Hierfür wurde V weder Eigentümerin der Vespa, noch zur Verfügung über sie ermächtigt (§ 185 Abs. 1 BGB). Für eine Eigentumsübertragung nach § 929 S. 1 BGB fehlt es V somit an der Verfügungsbefugnis.
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2. E hat ihr Eigentum an der Vespa durch gutgläubigen Erwerb des K von V nach §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB verloren.

Nein, das trifft nicht zu!

Der gutgläubiger Erwerb nach §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus, dass -mit Ausnahme der Verfügungsbefugnis- die Voraussetzungen des Erwerbs nach § 929 S. 1 BGB vorliegen. Zudem muss es sich um ein Verkehrsgeschäft handeln, der Erwerber muss gutgläubig hinsichtlich des Eigentums des Veräußerers sein (§ 932 BGB) und die Sache darf nicht abhandengekommen sein (§ 935 BGB). K ging nicht davon aus, dass V Eigentümerin der Vespa war. Vielmehr dachte sie, dass V die Vespa in Kommission verkaufen sollte. Bei einem Kommissionsgeschäft erwirbt oder veräußert der Kommissionär im eigenen Namen Waren für Rechnung eines Dritten (§ 383 Abs. 1 HGB). Ein Kommissionär wird regelmäßig zur Verfügung ermächtigt (§ 185 Abs. 1 BGB), jedoch nicht Eigentümer der Waren.Anders als der Vertreter (§ 164 BGB) veräußert der Kommissionär in eigenem, nicht in fremden Namen. Der Eigentümer muss also nicht offengelegt werden.

3. §§ 932 Abs. 1 BGB ermöglicht den Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten bei gutem Glauben an das Eigentum des Veräußerers. § 366 Abs. 1 HGB ermöglicht das schon bei gutem Glauben an die Verfügungsbefugnis.

Ja!

§ 366 Abs. 1 HGB erweitert die Gutglaubensschutzvorschriften auf den guten Glauben an die Verfügungsbefugnis eines Kaufmanns (§ 185 BGB). Voraussetzungen: (1) Der Veräußerer ist Kaufmann, (2) es wird eine bewegliche Sache (3) im Betrieb seines Handelsgewerbes veräußert und (4)der Erwerber ist in gutem Glauben an die Verfügungsbefugnis des Kaufmanns und (5)kein Abhandenkommen der Sache (§ 935 BGB)

4. Ist V Kaufmann (§ 1 Abs. 1 HGB)?

Genau, so ist das!

Kaufmann ist, wer ein Handelsgewerbe betreibt (§ 1 Abs. 1 HGB). V betreibt mit ihrem Geschäft ein Gewerbe (§ 1 Abs. 1 HGB), für das mangels gegenteiliger Anhaltspunkte die Vermutung des § 1 Abs. 2 HGB greift. Sie ist Kaufmann kraft Betrieb eines Handelsgewerbes (§ 1 Abs. 1 HGB).

5. V hat im Betrieb ihres Handelsgewerbes eine bewegliche Sache veräußert (§ 366 Abs. 1 HGB).

Ja, in der Tat!

Die Vespa ist eine bewegliche Sache (§ 90 BGB). V hat sie im Rahmen ihres Geschäfts an K veräußert. ‌

6. K war gutgläubig hinsichtlich der Verfügungsbefugnis der V (§ 932 BGB, § 366 Abs. 1 HGB).

Ja!

Guter Glaube liegt vor, wenn dem Erwerber nicht bekannt oder grob fahrlässig unbekannt ist, dass der Veräußerer nicht zur Verfügung befugt ist (§ 932 Abs. 2 BGB, § 366 Abs. 1 HGB). Verfügungsbefugnis ist die Berechtigung, über eine fremde Sache im eigenen Namen zu verfügen. K ging davon aus, dass V die Vespa in Kommission verkaufen sollte. Bei einer Kommission erwirbt oder veräußert der Kommissionär im eigenen Namen Waren für Rechnung eines Dritten (§ 383 Abs. 1 HGB). Ein Kommissionär wird dafür regelmäßig zur Verfügung ermächtigt (§ 185 BGB).

7. E kann von K Herausgabe der Vespa verlangen (§ 985 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Dem Eigentümer steht gegen den unberechtigten Besitzer ein Herausgabeanspruch nach § 985 BGB zu.E hat ihr Eigentum an der Vespa durch gutgläubigen Erwerb des K von V nach §§ 929 S. 1, 932 Abs. 1 S. 1 BGB, § 366 Abs. 1 HGB verloren. Damit fehlt es an den tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Herausgabeanspruch nach § 985 BGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

10.7.2024, 13:43:47

Zunächst wird verneint, dass K Eigentum gemäß §§ 929,

932

erworben hat. Aus der Erklärung bin ich leider nicht wirklich schlau geworden. Lag es daran, dass §

366 HGB

nicht mitzitiert wurde? Ich hätte zunächst ganz normal den gutgläubigen Erwerb nach §§ 929,

932

geprüft und im Rahmen der Gutgläubigkeit den §

366 HGB

thematisiert. Oder gehört er zwingend in die Anspruchsgrundlage?

robse27

robse27

12.7.2024, 12:52:39

Hey, ich hatte genau das gleiche „Problem“. Habe gerade mal bei Bitter/Linardatos Fall 23 nachgeschaut, dort wird es (grob) so gemacht: - § 929 S.1 BGB (-), weil Berechtigung (-) - ggf. aber ggE gem. §§ 929 S.1,

932

I 1 BGB (Überwindung der fehlenden Berechtigung): Dort wird dann im Punkt „Gutgläubigkeit“ (§

932

II BGB) gesagt grds. (-), aber möglicherweise §

366 HGB

[… dann Prüfung des §

366 HGB

]. Dann steht ganz am Ende wörtlich „A hat deshalb das Eigentum am Fahrrad nach §§ 929,

932 BGB

, 366 I HGB gutgläubig von V erworben und X sein Eigentum damit verloren.“ § 366 I HGB taucht also dort erst am Ende der Feststellung auf und vorher noch nicht (dort nur als Oberpunkt „§§ 929 S.,

932

I 1“, wo dann geguckt und festgestellt wird, dass das nur mit §

366 HGB

geht). TLDR: Ja genau, § 366 I muss dann (aber erst am Ende) mitzitiert werden (zumindest nach Bitter/Linardatos). LG :)

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

8.9.2024, 12:20:06

Hallo @[Rechtsanwalt B. Trüger](208842), @[robse27](211434) hat es schon sehr schön aufgeschlüsselt. Wir legen hier aus didaktischen Gründen Wert auf die Feststellung, dass der "normale" gutgläubige Erwerb (rein nach §§ 929 S 1,

932 BGB

) zunächst scheitert. Anschließend kommt dann § 366 I HGB ins Spiel, der uns gerade darüber hinweg hilft, dass der Erwerber nicht gutgläubig hinsichtlich der Eigentümerstellung des Veräußerers ist, aber sehr wohl hinsichtlich dessen

Verfügungsbefugnis

. Ob man §

366 HGB

in der Prüfung schon direkt iRd AGL mitzitiert oder erst später ins Spiel bringt, dürfte nicht so entscheidend sein, solange die Norm überhaupt gesehen und zitiert wird. Seinem Wortlaut nach gehört §

366 HGB

mE (!) als Verweisungsnorm aber tendenziell schon zur Anspruchsgrundlage (zB "§§ 929 S 1,

932 BGB

iVm § 366 I HGB"). Für beide Varianten findet man aber Beispiele und Musterlösungen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Burumar🐸

Burumar🐸

10.7.2024, 18:56:11

Laut SV wird ein Handelsgewerbe betrieben. Auf die Vermutung des 1 II HGB kommt es dann doch gar nicht mehr an.


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