Öffentliches Recht

VwGO

Vorläufiger Rechtsschutz (§§ 80, 80a VwGO)

Begründetheit: § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1: Anordnung (Fall 1)

Begründetheit: § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1: Anordnung (Fall 1)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Tierfreundin Tina (T) erhält einen Bescheid. Nach diesem soll sie eine jährlichen Steuer für ihre 10 Hunde in Höhe von 100.000 Euro zahlen. Nach der einschlägigen Rechtsgrundlage müsste T aber nur 10 Euro pro Hund jährlich zahlen. Nach erfolglosem Antrag bei der Behörde, stellt T einen Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO. Der Antrag ist zulässig.

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Einordnung des Falls

Begründetheit: § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1: Anordnung (Fall 1)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T muss den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stellen, weil die Anfechtung eines Steuerbescheid grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung entfaltet.

Ja!

Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO statthaft. Dies sind Fälle, in denen der Widerspruch bzw. die Anfechtungsklage schon aufgrund einer gesetzlichen Regelung keine aufschiebende Wirkung entfalten. Wendet sich der Betroffene z.B. gegen eine behördliche Geltendmachung von öffentlichen Abgaben und Kosten, haben Widerspruch und Anfechtungsklage von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO). Klassische öffentliche Abgaben i.S.d. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwGO sind Steuern. Eine Anfechtungsklage würde daher keine aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO entfalten, sodass Ts Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO notwendig ist, um den Eintritt der Bestandskraft des Bescheids zu verhindern.
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2. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO enthält den Prüfungsmaßstab für die Begründetheitsprüfung des Antrags.

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 80 Abs. 5 S. 1 VwGO enthält nur die Möglichkeit, dass das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Verwaltungsakts anordnen (§ 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO) oder wiederherstellen kann (§ 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO). Der Maßstab für die Begründetheit ergibt sich nur aus der Gesamtschau der §§ 80ff. VwGO und § 123 VwGO bzw. aus dem Sinn und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes. Es geht gerade nicht darum, eine Entscheidung in der Hauptsache zu treffen - dafür muss der Betroffene zusätzlich die Anfechtungsklage erheben. Gegenstand des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist die Entscheidung, ob das Interesse des Betroffenen an der Suspensivwirkung der Anfechtungsklage höher wiegt, als das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts.

3. Ts Antrag ist begründet, wenn ihr Interesse an der Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung überwiegt.

Ja, in der Tat!

Im Rahmen der Begründetheit des Antrags nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO wird eine Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Betroffenen und dem öffentlichen Vollzugsinteresse vorgenommen. Das Gericht stellt sich quasi die Frage, wie belastend es für den Antragssteller wäre, wenn die Suspensivwirkung nicht angeordnet wird (der Verwaltungsakt also vollzogen werden kann) und sich in der Hauptsache dann doch herausstellt, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig war. Andersrum gilt es zu beurteilen, wie stark öffentliche Interessen (oder Interessen eines anderen Beteiligten) beeinträchtigt sind, wenn das Gericht die Vollziehung aussetzt und es sich im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Verwaltungsakt und dessen sofortige Vollziehung rechtmäßig war. In den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ist im Zweifel das Überwiegen des öffentlichen Interesses anzunehmen. Denn es gibt diese gesetzlichen Regelungen ja gerade aufgrund eines wichtigen öffentlichen Interesses.

4. Die Interessenabwägung ist vor allem eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache.

Ja!

Aus der Hilfsfunktion des vorläufigen Rechtsschutzes im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren sowie dem Rechtsgedanken des § 80 Abs. 4 S. 3 Var. 1 VwGO und der Parallelregelung des § 123 VwGO ergibt sich, dass die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens erhebliche Bedeutung für die gerichtliche Interessenabwägung im Rahmen des § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO haben. Sofern die Prüfung ergibt, dass der Antragsteller in der Hauptsache offensichtlich Erfolg haben wird, ist die aufschiebende Wirkung grundsätzlich anzuordnen bzw. wiederherzustellen. Ergibt die Prüfung weder einen offensichtlichen Erfolg noch Nichterfolg des Hauptsacheverfahrens, so sind im zweiten Schritt das Gewicht der durch den Verwaltungsakt tangierten Rechtsgüter sowie die Schwere der Beeinträchtigung der Rechtsgüter, die durch die Vollziehung bzw. die Aussetzung betroffen werden, zu berücksichtigen.

5. T wird Erfolg in der Hauptsache haben. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO ist begründet.

Genau, so ist das!

Die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache bedeutet, dass das Gericht die Erfolgsaussichten nur nach dem ohne Weiteres erkennbaren (glaubhaft gemachten) Sachverhalt beurteilt, also insbesondere grundsätzlich keine Beweiserhebung vornimmt. Aus der einschlägigen Rechtsgrundlage ergibt sich, dass T nur 100 Euro Steuern zahlen müsste. Der Verwaltungsakt ist schon aus diesem Grund rechtswidrig. Es kann kein überwiegendes öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts geben. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 Var. 1 VwGO ist begründet. Der Erfolg in der Hauptsache wird in der Klausur im ersten Examen meistens eindeutig bejaht oder verneint werden können. Du prüfst also letztlich inzident die Begründetheit einer Anfechtungsklage.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PETE

Peter

28.6.2023, 17:58:58

Es wäre cool, (besonders) für Referendare hierzu eine Tenorierungs-Übungsaufgabe zu machen :)

FI

Fischerino

16.8.2023, 20:40:02

Müsste der Antrag nicht nur zum Teil Erfolg haben, da ja auch nach der summarischen Prüfung der Bescheid iHv 10€ begründet ist?

BL

Blotgrim

5.2.2024, 17:10:56

Nein denn es geht ja darum ob die aufschiebende Wirkung angeordnet werden soll oder nicht. Dafür muss der betroffene VA bspw. rechtswidrig sein, was hier der Fall ist, da der Bescheid zu hoch dotiert ist, damit ist der Antrag begründet. Dass die Stadt zumindest auf den Teil der Summe einen Anspruch haben könnte dürfte egal sein. Wichtig ist das der

Verwaltungsakt

nicht sofort vollzogen werden darf, sondern erst durch ein Gericht geprüft werden muss. Das Gericht wird dann vermutlich den Bescheid aufheben aufgrund einer Anfechtungklage) und dann wird die Behörde einen neuen Bescheid ausstellen müssen


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