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Arbeitsrecht

Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis

Betrieblichen Übung - Begründung (Weihnachtsgratifikation)

Betrieblichen Übung - Begründung (Weihnachtsgratifikation)

19. Februar 2025

11 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Fünf Jahre in Folge hat U ihren Mitarbeitern €250 Weihnachtsgeld gezahlt. Der Wortlaut der Arbeitsverträge sieht dies nicht vor. Aufgrund der Covid-19-Krise unterlässt U im November 2021 die Auszahlung. Der seit 2010 beschäftigte Arbeitnehmer A besteht auch in diesem Jahr auf das Weihnachtsgeld.

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Einordnung des Falls

Betrieblichen Übung - Begründung (Weihnachtsgratifikation)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat A nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrags einen Anspruch auf Auszahlung des Weihnachtsgeldes (§ 611a Abs. 2 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Arbeitgeber schuldet in erster Linie die vereinbarte vereinbarte Vergütung (§ 611 Abs. 2 BGB).Ausweislich des Sachverhaltes war die Zahlung eines Weihnachtsgeldes in den Arbeitsverträgen nicht vereinbart.
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2. A könnte einen Anspruch auf Auszahlung des Weihnachtsgeldes nach § 611a Abs. 2 BGB iVm den Grundsätzen der betrieblichen Übung haben.

Ja, in der Tat!

Unter einer betrieblichen Übung versteht man im Arbeitsrecht ein regelmäßig wiederholtes und gleichförmiges Verhalten des Arbeitgebers, welches nicht gegen zwingendes Recht verstößt, und aus dem die Arbeitnehmer schließen dürfen, dass der Arbeitgeber sich für die Zukunft binden will. Ist eine betriebliche Übung entstanden, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Fortführung des Verhaltens. Die dogmatische Herleitung der betrieblichen Übung ist streitig. Das BAG vertritt die Auffassung, dass hierdurch eine Vertragsänderung erfolgt (Vertragstheorie). Ein Teil der (älteren) Literatur leitet den Anspruch des Arbeitnehmers dagegen aus Treu und Glauben (Vertrauenstheorie) ab.

3. Stellt die jährliche Zahlung des Weihnachtsgeldes ein relevantes Verhalten für die Begründung einer betrieblichen Übung dar?

Ja!

Unter einer betrieblichen Übung versteht man im Arbeitsrecht ein regelmäßig wiederholtes und gleichförmiges Verhalten des Arbeitgebers, welches nicht gegen zwingendes Recht verstößt, und aus dem die Arbeitnehmer schließen dürfen, dass der Arbeitgeber sich für die Zukunft binden will. Gegenstand einer betrieblichen Übung können sämtliche einheitlichen, arbeitsvertraglichen Regelungen sein, insbesondere Zulagen und Gratifikationen.Die Gewährung des Weihnachtsgeldes ist eine einheitliche, arbeitsvertragliche Regelung und somit geeignet eine betriebliche Übung zu begründen.

4. Genügt die fünfmalige Gewährung des Weihnachtsgeldes für die Annahme einer regelmäßigen Wiederholung?

Genau, so ist das!

Eine allgemeingültige Regel, ab welcher Anzahl von Leistungen ein Arbeitnehmer auf die Fortgewährung schließen darf, wird nicht anerkannt. Vielmehr wird auf die Art, Dauer und Intensität der Leistungen abgestellt. Bei jährlichen gewährten Zuwendungen liegt nach der Rechtsprechung des BAG eine regelmäßige Wiederholung bei der dreimaligen vorbehaltlosen Gewährung der Zuwendung vor.Durch die fünfmalige Gewährung des Weihnachtsgeldes hat U die Auszahlung regelmäßig wiederholt.

5. Ist nach der (herrschenden) Vertragstheorie eine betriebliche Übung entstanden?

Ja, in der Tat!

Nach der Vertragstheorie liegt in dem wiederholten Verhalten des Arbeitgebers ein konkludentes Vertragsangebot, das der Arbeitnehmer nach § 151 S. 1 BGB stillschweigend annehmen kann. Dies setzt voraus, dass das Verhalten des Arbeitgebers aus objektiver Arbeitnehmersicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass er sich vertraglich binden wollte (§§ 133,157 BGB).U hat vorbehaltlos das Weihnachtsgeld fünf Jahre lang ausgezahlt. Daraus ergibt sich bei objektiver Auslegung, dass sie dies auch zukünftig ausbezahlen wird. Durch das Behalten des Geldes hat A konkludent die Annahme der Leistung erklärt. Ein Zugang der Erklärung ist entbehrlich (§ 151 S. 1 BGB).

6. Ist nach der Vertrauenstheorie eine betriebliche Übung entstanden?

Ja!

Die Vertrauenstheorie begründet die Rechtsbindung des Arbeitgebers damit, dass er durch seine regelmäßige Leistung das rechtlich geschützte Vertrauen dafür geschaffen habe, dass er die Leistung auch zukünftig erbringen werde. Ein Abweichen hiervon stelle ein unzulässiges widersprüchliches Verhalten dar (§ 242 BGB).Die wiederholte Gewährung der Weihnachtsgratifikation hat die berechtigte Erwartung geweckt, dass die Leistung auch zukünftig gewährt wird.Auch wenn die Theorien zu identischen Ergebnissen kommen, wird erwartet, dass man sie in der Klausur anspricht.

7. Hat A im Jahr 2021 einen Anspruch auf Weihnachtsgeld?

Genau, so ist das!

Besteht eine betriebliche Übung so hat der Arbeitnehmer einen verbindlichen Anspruch auf die Gewährung der Leistung.Durch das fünfmal in Folge gewährte Weihnachtsgeld hat U eine betriebliche Übung geschaffen. A hat somit auch in diesem Jahr einen Anspruch auf Weihnachtsgeld.Es empfiehlt sich, die Anspruchsprüfung auf § 611a Abs. 2 BGB iVm den Grundsätzen der betrieblichen Übung zu stützen. Dadurch hält man sich sowohl die Prüfung der Vertragstheorie, als auch der Vertrauenstheorie offen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LAURA

Laura

26.3.2024, 23:44:58

Ich finde das einen sehr krassen Eingriff in die Unternehmerfreiheit. Zumal das Ausbleiben des Weihnachtsbonus aufgrund der Corona Pandemie ein schlüssiges Argument darstellen kann. Den Schutz des Arbeitnehmers dahin reichen zu lassen, dass den Arbeitgeber trotzdem zu einer nicht vertraglich verpflichteten Zahlung zu verpflichten, nur weil er es die letzten Jahre gemacht hat finde ich sehr einschneidend und ohne gesetzliche Grundlage.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.3.2024, 15:12:07

Hi Laura, das erscheint auf den ersten Blick natürlich tatsächlich hart. Aber genau aus diesem Grund gibt es verschiedene Möglichkeiten des Arbeitgebers, die betriebliche Übung von vorneherein zu verhindern (Freiwilligkeitsvorbehalt, doppelte Schriftform) bzw. nachträglich zu beseitigen (

Widerrufsvorbehalt

). Schau Dir hierzu gerne einmal die kommenden Einheiten an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Charliefux

Charliefux

11.4.2024, 18:24:08

Hat die Pandemie gar keinen Einfluss in diesem Fall auf die Zahlung des Weihnachtsgeldes?

TI

Timurso

24.7.2024, 11:05:56

Solange die Schwelle des

§ 313 BGB

nicht erreicht ist nicht, nein.

Whale

Whale

18.9.2024, 08:36:10

§ 313 BGB

spricht ja von einem Vertrag, ist der dann auch auf die Vertrauenstheorie anwendbar, falls man nur diese verwendet?

Lord Denning

Lord Denning

23.7.2024, 17:45:53

Liebes Jurafuchs-Team, hier wird geschrieben, „der Zugang ist entbehrlich (§ 151 S. 1)“, sofern ich mich richtig erinnere. Hier wäre es vielleicht präziser, zu schreiben, das ein tatsächlicher Zugang nach § 130 I 1 nicht erforderlich ist, weil die WE nur so in den Herrschaftsbereich gelangen muss, das die Person unter normalen Umständen von ihr Kenntnis nehmen kann und das dann anschließend die Annahme nach § 151 S. 1 entbehrlich ist. Faktisch ist der Zugang entbehrlich, vielleicht würde ich das nur mehr kennzeichnen (z.B. „vgl.“ § 151 S. 1)

TI

Timurso

24.7.2024, 11:02:49

Das ist so nicht korrekt.

§ 151 S. 1 BGB

normiert, dass die Annahme zwar erklärt, aber nicht gegenüber dem anderen Teil erklärt werden muss. Insofern ist die Lösung richtig, eine Erklärung ist erforderlich, der Zugang nicht. Für das Angebot ergeben sich dadurch keine Änderungen, dieses muss erklärt werden und auch zugehen. Genau das sagt hier auch die Lösung, sie sagt nur, dass im Rahmen der Annahme (nicht des Angebots) der Zugang gem.

§ 151 S. 1 BGB

nicht erforderlich ist.

Lord Denning

Lord Denning

26.7.2024, 13:14:44

Danke @[Timurso](197555), dann war ich vielleicht etwas unaufmerksam (daher der Vorbehalt ;)) Ich nahm an, dass „Zugang“ auf das Angebot und nicht die Annahme bezogen war. Das die Annahme dem Antragenden nicht zugehen muss, ist natürlich klar durch § 151 S. 1 geregelt.


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