Gegenläufige Betriebliche Übung

4. Juli 2025

13 Kommentare

4,9(14.097 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Fünf Jahre in Folge hat U hat ihren Mitarbeitern €250 Weihnachtsgeld gezahlt. Der Wortlaut der Arbeitsverträge sieht dies nicht vor. Aufgrund der Covid-19-Krise zahlt U 2020, 2021, 2022 nur noch €100. Da die Pandemie vorbei ist, wollen die Mitarbeiter dies 2023 nicht mehr akzeptieren.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Gegenläufige Betriebliche Übung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. U hat zunächst eine betriebliche Übung auf Auszahlung des Weihnachtsgeldes iHv €250 begründet.

Ja!

Einer betrieblichen Übung ist ein regelmäßig wiederholtes und gleichförmiges Verhalten des Arbeitgebers, welches nicht gegen zwingendes Recht verstößt, und aus dem die Arbeitnehmer schließen dürfen, dass der Arbeitgeber sich für die Zukunft binden will. Ist sie entstanden, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Fortführung des Verhaltens.U hat fünfmal in Folge vorbehaltlos €250 Weihnachtsgeld gewährt und damit eine betriebliche Übung begründet.
Rechtsgebiet-Wissen in 5min testen
Teste mit Jurafuchs kostenlos dein Rechtsgebiet-Wissen in nur 5 Minuten.

2. Kann sich U ohne weitere Voraussetzungen einseitig von der betrieblichen Übung wieder lösen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Arbeitgeber können eine entstandene betriebliche Übung (1) nur bei wirksamer Vereinbarung eines Widerrufsvorbehalts einseitig widerrufen (mehr dazu in der nächsten Session). Fehlt es daran, so ist eine einseitige Beendigung nur unter den erweiterten Voraussetzungen einer (2) Änderungskündigung (=Beendigung des Vertrags mit betrieblicher Übung + Angebot eines Arbeitsvertrags ohne betriebliche Übung) zulässig. Theoretisch möglich ist auch (3) der Abschluss eines Änderungsvertrags mit jedem einzelnen Arbeitnehmer.Da beim Änderungsvertrag die Zustimmung jedes einzelnen Arbeitnehmers notwendig ist, ist dies in der Praxis wenig praktikabel.Kollektivrechtlich kommt nach der Rechtsprechung des BAG schließlich noch (4) der Abschluss einer insgesamt günstigeren Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat (§ 87 f. BetrVG) in Betracht.

3. Da U aber dreimal in Folge lediglich €100 Weihnachtsgeld ausgezahlt hat, hat sich die betriebliche Übung auf diesen Betrag reduziert.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der früheren Rechtsprechung des BAG war es zulässig, dass er Arbeitgeber (ausdrücklich oder konkludent) eine bestehende betriebliche Übung beendet und durch eine andere Regelung ersetzt (=gegenläufige betriebliche Übung). Nahmen die Arbeitnehmer die neue Leistung wiederholt widerspruchslos entgegen, so kam es zum Verlust des ursprünglichen Anspruchs.Mit dem Inkrafttreten des § 308 Nr. 5 BGB (1.1.2002) gab das BAG diese Rechtsprechung auf. Denn auch bei der Änderungserklärung des Arbeitgebers handele es sich um AGB (§ 305 BGB), welche der Inhaltskontrolle der §§ 307ff. BGB unterfiele. § 308 Nr. 5 BGB verbiete aber die Fiktion einer (Annahme-) Erklärung des Verbrauchers/Arbeitnehmers durch bloße Annahme der Leistung.Trotz der wiederholten Auszahlung des reduzierten Weihnachtsgelds, bleibt der Anspruch der Belegschaft auf das Weihnachtsgeld in voller Höhe bestehen.

4. Muss U den Mitarbeiterinnen 2023 €250 Weihnachtsgeld zahlen?

Ja!

Ist die betriebliche Übung entstanden und nicht wirksam beendet worden, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Fortführung des Verhaltens.Die betriebliche Übung ist vorbehaltlos gewährt worden. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für eine Änderungskündigung gegenüber der gesamten Belegschaft bestehen, liegen nicht vor. Da eine gegenläufige betriebliche Übung wegen des Verstoßes gegen § 308 Nr. 5 BGB nicht mehr zulässig ist, muss U den Mitarbeiterinnen das volle Weihnachtsgeld für 2023 zu zahlen.Auch für die vergangenen Jahre steht den Mitarbeiterinnen grundsätzlich zudem noch ein Anspruch für die verbleibenden €150 zu.In der Praxis werden regelmäßig kurze Ausschlussfristen vereinbart (idR 3 Monate), um lange zurückreichende Forderungen zu vermeiden. Macht eine Partei innerhalb dieser Frist einen bestehenden Anspruch nicht geltend, so verfällt er.
Dein digitaler Tutor für Jura
Rechtsgebiet-Wissen testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Weitere für Dich ausgwählte Fälle

Dein digitaler Tutor für Jura
Rechtsgebiet-Wissen testen