Zivilrechtliche Nebengebiete
Arbeitsrecht
Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis
Gegenläufige Betriebliche Übung
Gegenläufige Betriebliche Übung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Fünf Jahre in Folge hat U hat ihren Mitarbeitern €250 Weihnachtsgeld gezahlt. Der Wortlaut der Arbeitsverträge sieht dies nicht vor. Aufgrund der Covid-19-Krise zahlt U 2020, 2021, 2022 nur noch €100. Da die Pandemie vorbei ist, wollen die Mitarbeiter dies 2023 nicht mehr akzeptieren.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Gegenläufige Betriebliche Übung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. U hat zunächst eine betriebliche Übung auf Auszahlung des Weihnachtsgeldes iHv €250 begründet.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Kann sich U ohne weitere Voraussetzungen einseitig von der betrieblichen Übung wieder lösen?
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Da U aber dreimal in Folge lediglich €100 Weihnachtsgeld ausgezahlt hat, hat sich die betriebliche Übung auf diesen Betrag reduziert.
Nein, das trifft nicht zu!
4. Muss U den Mitarbeiterinnen 2023 €250 Weihnachtsgeld zahlen?
Ja!
Fundstellen
Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!
Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
David.
11.8.2023, 12:09:08
Handelt es sich dann bei der Ausschlussfrist um ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, womit eine Kondiktion, im Gegensatz zum konstitutiven Schuldanerkenntnis, ausgeschlossen ist?
Lukas_Mengestu
24.8.2023, 15:04:25
Hallo David, bei der Ausschlussfrist handelt es sich nicht um ein Schuldanerkenntnis. Unter einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis versteht man einen Vertrag, der im Unterschied zum sog. konstitutiven Schuldanerkenntnis den in Frage stehenden Anspruch nicht auf eine neue Anspruchsgrundlage hebt, sondern diesen Anspruch unter Beibehaltung des Anspruchsgrundes dadurch verstärkt, daß er ihn Einwänden des
Anspruchsgegners gegen den Grund des Anspruchs entzieht. Eine Ausschlussfrist bewirkt dagegen nicht die Verstärkung, sondern das Erlöschen des Anspruchs. Mit Ablauf der Ausschlussfrist erlischt der entsprechende Anspruch und kann folglich nicht mehr geltend gemacht werden. Ich hoffe, jetzt ist es etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
piaplt
20.8.2023, 14:28:38
Müsste 308 Nr. 5 BGB dann nicht auch dazu führen, dass man hinsichtlich des Entstehens der betrieblichen Übung nicht von einer Annahme nach
151 BGB(Vertragstheorie) ausgehen kann? Oder greift das nicht, weil es für den Arbeitnehmer nicht nachteilig ist?
Leo Lee
23.8.2023, 11:31:15
Hallo piaplt, das ist ein sehr guter Gedanke! Beachte allerdings, dass - abgesehen von der fehlenden Nachteilhaftigkeit -
§ 151 BGBeine Willenserklärung NICHT FINGIERT (darauf kommt es jedoch an bei § 308 Nr. 5 BGB).
§ 151 BGBgeht vielmehr davon aus, dass eine Willenserklärung bereits vorliegt, deren Zugang jedoch entbehrlich ist. Die Lösung nach
§ 151 BGBin diesem Kontext würde also bedeuten, dass wir nicht die Annahme durch die Arbeitnehmer fingieren, sondern auf deren Annahme (die dann ihrerseits vorliegt) verzichten. Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB, 9. Auflage, Busche § 151 Rn. 2 sehr empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
Krümelinchen
26.2.2024, 21:46:46
Hallo. in 2023 haben die Mitarbeiter Anspruch auf 250€ Weihnachtsgeld. Die betriebliche Übung wurde auf 250€ begründet. Die dreimalige Auszahlung von nur 100€ ändert daran nichts. Haben die Mitarbeiter dann auch noch rückwirkend den Anspruch auf die vollen 250€ (also für die Jahre, wo es nur 100€ gab)? Danke und viele Grüße
Moltisanti
13.5.2024, 21:22:07
Im Kasten steht doch „VERTIEFUNG Auch für die vergangenen Jahre steht den Mitarbeiterinnen grundsätzlich zudem noch ein Anspruch für die verbleibenden €150 zu.“
Bioshock Energy
1.4.2024, 12:07:15
Verstehe ich das richtig, dass also auch
Realakte (wie etwa das Auszahlen von Geld) AGB darstellen können? Ich finde es schwierig hier unter den AGB-Begriff zu subsumieren, gerade unter das Merkmal vorformulierte Vertragsbedingungen. Das alles wirkt für mich etwas ungewohnt weil ich gedanklich bei AGB immer an etwas schriftliches und vorformuliertes denke.
Lukas_Mengestu
5.4.2024, 11:01:54
Hallo Bioshock Energy, hier musst Du
tatsächlich etwas differenzieren. Der BGH wendet bei der betrieblichen Übung die "Vertragstheorie" an, d.h. ein wiederholtes
tatsächliches Handeln (z.B. Auszahlung des Weihnachtsgeldes) stellt ein Vertragsänderungsangebot an die Mitarbeiter dar. Insofern liegt eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung vor. Gleiches gilt dann auch im umgekehrten Fall, wenn die bisherige betriebliche Übung einer vorbehaltlosen Gratifikationszahlung beendet werden und durch eine Leistung ersetzt werden soll, auf die in Zukunft kein Rechtsanspruch mehr besteht (
Freiwilligkeitsvorbehalt). Auch hierbei handelt es sich um eine für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung, die deshalb anhand des AGB-Rechts (§§ 305 ff. BGB) zu prüfen ist (vgl. BAG, Urteil vom 18.03.2009 - 10 AZR 281/08 RdNr. 20 = https://openjur.de/u/171637.html). Ich hoffe, jetzt ist es noch etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Lukas_Mengestu
5.4.2024, 11:02:31
@[Merle_Breckwoldt](241588)
Moltisanti
13.5.2024, 21:25:15
Wieso nimmt man bei einer positiven betrieblichen Übung eine
konkludente Annahmedes AN nach § 151 1 an, die zwar erklärt wird aber nicht zugehen muss, und bei der gegenläufigen widerspruchslosen Annahme der Leistung nicht, sondern eine unerlaubte Fiktion nach § 308 Nr. 5 ?
Bioshock Energy
17.9.2024, 17:20:29
@[Uncle Ruckus](232681) Das habe ich mich auch gefragt. Vom Wortlaut her müsste § 308 Nr. 5 BGB auch bei der normalen/positiven betrieblichen Übung zur Anwendung kommen, denn das ist ja das selbe in grün. Nach dem Wortlaut des § 308 Nr. 5 BGB dürfte also eigentlich schon keine positive betriebliche Übung entstehen, genauso wie deshalb auch keine negative entstehen kann. Ich kann mir höchstens vorstellen, dass der § 308 Nr. 5 BGB wegen § 310 IV S. 2 Hs. 1 BGB zum Zwecke des Schutzes des Arbeitnehmers
teleologischreduziert wird. Kann mir jemand meinen Gedankengang bestätigen oder verwerfen? Ich hab mir das gerade so hergeleitet, ohne es zu wissen. Eine Antwort wäre echt super!