Betriebliche Übung – später eintretender Arbeitnehmer

23. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Fünf Jahre in Folge hat U hat ihren Mitarbeitern €250 Weihnachtsgeld gezahlt. Der Wortlaut der Arbeitsverträge sieht dies nicht vor. Aufgrund der Covid-19-Krise unterlässt U im November 2021 die Auszahlung. Die im Oktober neu eingestellte Arbeitnehmerin A besteht dennoch auf ihr erstes Weihnachtsgeld.

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Einordnung des Falls

Betriebliche Übung – später eintretender Arbeitnehmer

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Gegenüber der alten Belegschaft hat U eine betriebliche Übung auf Auszahlung des Weihnachtsgeldes begründet.

Ja!

Einer betrieblichen Übung ist ein regelmäßig wiederholtes und gleichförmiges Verhalten des Arbeitgebers, welches nicht gegen zwingendes Recht verstößt, und aus dem die Arbeitnehmer schließen dürfen, dass der Arbeitgeber sich für die Zukunft binden will. Ist sie entstanden, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Fortführung des Verhaltens.U hat fünfmal in Folge vorbehaltlos Weihnachtsgeld gewährt und damit eine betriebliche Übung begründet.Nach der (herrschenden) Vertragstheorie handelt es sich bei der Gewährung der wiederholten Leistung um ein Änderungsangebot, welches ohne Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber angenommen werden könne (§ 151 BGB). Ein Teil der (älteren) Literatur stützt die betriebliche Übung dagegen auf eine Vertrauenshaftung, die aus dem aus Treu und Glauben resultierenden Verbot des widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) hergeleitet wird.
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2. Darf U der A das Weihnachtsgeld verweigern?

Nein, das ist nicht der Fall!

Sowohl nach der (herrschenden) Vertrags- als auch nach der Vertrauenstheorie darf ein neu eingestellter Arbeitnehmer damit rechnen, dass die betriebliche Übung auch im Verhältnis zu ihm gilt. Etwas anderes gilt nur, wenn der Arbeitgeber die betriebliche Übung durch eine Vereinbarung bei Arbeitsvertragsabschluss ausschließt.Anhaltspunkte für einen Ausschluss der betrieblichen Übung bei Einstellung liegen nicht vor. Somit kann A sich auf die betriebliche Übung berufen.

3. Nach der (herrschenden) Vertragstheorie ist es ausgeschlossen, dass sich neu eintretende Arbeitnehmer auf eine bestehende betriebliche Übung berufen.

Nein!

Im Ergebnis sind sich die Vertreter der Vertragstheorie einig, dass auch neu eintretende Arbeitnehmer sich auf eine betriebliche Übung berufen können, soweit der Arbeitgeber dies bei der Einstellung nicht explizit ausgeschlossen hat. Lediglich die Begründungen variieren.Das BAG stellt ohne weitere dogmatische Begründung schlicht fest, dass neu eingestellte Arbeitnehmer grundsätzlich damit rechnen dürften, ebenfalls in den Genuss einer bestehenden Übung zu kommen, sobald sie die Voraussetzungen erfüllen. Zur dogmatischen Begründung dieses Ergebnisses werden in der Literatur unterschiedliche Ansätze gewählt: (1) Teilweise wird das Angebot des Arbeitgebers aus objektiver Empfängersicht (§§ 133, 157 BGB) dahingehend ausgelegt, dass es auch eine bestehende betriebliche Übung erfasst (zB Hromadka/Maschmann). (2) Andere argumentieren mit einer ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB, Fischinger) oder (3) stützen die Einbeziehung auf den Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Waltermann).

4. Nach der Vertrauenstheorie ist es ausgeschlossen, dass sich neu eintretende Arbeitnehmer auf eine bestehende betriebliche Übung berufen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der Vertrauenstheorie ist der Grund für die Rechtsbindung des Arbeitgebers das im Arbeitnehmer erweckte Vertrauen, dass er sein bisheriges Verhalten (=Gewährung der Leistung) fortsetzen werde. Die Bindung des Arbeitgebers folgt aus Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der neu in den Betrieb eintretender Arbeitnehmer könne darauf vertrauen, dass die im Betrieb herrschende Übung fortgesetzt werde und auch ihm gegenüber zur Anwendung gelangt. Der notwendige Vertrauenstatbestand liegt vor, sodass eine betriebliche Übung danach auch für neue Arbeitnehmer gilt. Schließt der Arbeitgeber die Fortgeltung dagegen explizit aus, so besteht für ein Vertrauen auf die weitere Anwendung kein Anknüpfungspunkt mehr.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

la reina de los gatos

la reina de los gatos

29.4.2024, 21:25:15

Wie kann es sein, dass eine betriebliche Übung auch dann insofern Fortbestand hat, als dass der Betrag auch in Ausnahmejahren bei (wenn vorhanden) extremen wirtschaftlichen Einbußen ausbezahlt werden muss, wie z.B. aufgrund von Covid-19? Sollte da nach der Vertrauenstheorie nicht das erweckte Vertrauen fehlen - bzw. die Nichtauszahlung mit § 242 BGB vereinbar sein? Auch bei der Vertragstheorie, da bestünde doch die Möglichkeit, sich auf eine

Störung der Geschäftsgrundlage

o.ä. zu berufen.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

30.4.2024, 08:39:48

Hi la reina de los gatos, vielleicht wird es klarer, wenn Du das Weihnachtsgeld hier mit dem normalen Arbeitslohn ersetzt. Auch in Krisenzeiten kann der Arbeitgeber den nicht ohne weiteres unter Verweis auf die Krise einseitig kürzen. Vielmehr bedarf es einer entsprechenden (kollektiven) Vereinbarung (z.B. im Hinblick auf Kurzarbeit). Nichts anderes gilt insoweit für Ansprüche aus betrieblicher Übung. Allein eine schlechte wirtschaftliche Lage berechtigen den Arbeitgeber hier nicht zu einseitig beschlossenen Kürzungen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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