Strafrecht
BT 1: Totschlag, Mord, Körperverletzung u.a.
Körperverletzung mit Todesfolge, § 227 StGB
Unmittelbarkeitszusammenhang - Flucht des Opfers
Unmittelbarkeitszusammenhang - Flucht des Opfers
4. Juli 2025
18 Kommentare
4,5 ★ (15.657 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T greift im Obergeschoss die Hausgehilfin O tätlich an und bringt ihr durch Schläge einen Nasenbeinbruch bei. Die verängstigte O flüchtet auf den Balkon. Dort stürzt sie ab und verunglückt tödlich.
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Einordnung des Falls
Unmittelbarkeitszusammenhang - Flucht des Opfers
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. § 227 Abs. 1 StGB setzt auch den "grunddeliktischen Gefahrzusammenhang" voraus: Der Tod des Opfers muss also auf dem spezifischen Unrecht der Körperverletzung beruhen.
Genau, so ist das!
2. Kriterium dafür ist auch der unmittelbare Zusammenhang zwischen Körperverletzungshandlung und Todeseintritt des Opfers.
Ja, in der Tat!
3. Die Flucht der O unterbricht nach dem BGH im entschiedenen Fall (BGH NJW 1971, 152 – Rötzel) den Unmittelbarkeitszusammenhang.
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Mona32145
17.11.2020, 13:16:06
Könnte man iRd
Unmittelbarkeitszusammenhangs auch diskutieren, ob die Flucht der O dem T zuzurechnen ist, weil er damit rechnen konnte (allg. Lebenserfahrung etc.) ? Oder werden diese Fälle nur bei der objektiven Zurechnung diskutiert?
Niklas
23.1.2021, 11:57:36
Wenn das verängstigte Opfer bei einem bei einem Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit aus Furcht vor schweren Verletzungen unbesonnen reagiert und bzw. den Versuch unternimmt, sich durch einen riskanten Sprung aus dem Fenster oder durch eine waghalsige Flucht über eine verkehrsreiche Straße vor dem Angreifer in Sicherheit bringt, wird dieser Zusammenhang bejaht. Dieser beruht auf dem Selbsterhaltungstrieb des Opfers. Dieses liegt hier doch Vor? Quellen: BGH NStZ 08, 278 und Wessels/Hettinger/Engländer StGB BTI Rn. 266.

Lukas_Mengestu
9.11.2021, 16:33:54
Hallo ihr beiden, vielen Dank für euren sehr guten Hinweis. In der Tat kann trotz Flucht des Opfers der
Unmittelbarkeitszusammenhangnoch bestehen. Schaut euch hierzu gerne auch den folgenden Fall an: https://jurafuchs.app.link/A92HPYqZ2kb Maßgeblich ist, ob die Reaktion des Opfers nachvollziehbar und naheliegend ist. Im vorliegenden Fall wurde das abgelehnt, da im Verhältnis zur Gefahr durch die Schläge der Sprung aus dem Fenster eine unverhältnismäßige Reaktion darstellt. Insofern ist hier immer der konkrete Einzelfall zu würdigen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Noah
5.11.2023, 12:48:46
Vielen Dank für die Erklärung, allerdings ist dem Sachverhalt zu entnehmen dass das Opfer ängstlich die Flucht aufnimmt. Wäre diese Formulierung nicht alleine schon Grund genug, dem T die Körperverletzung mit Todesfolge gem.
§ 227 StGBzuzurechnen?

Rüsselrecht 🐘
4.6.2022, 13:32:05
Ob ein selbstgefährdendes Verhalten des Opfers den gefahrenspezifischen Zusammenhang durchbricht oder nicht, wird wohl nicht einheitlich beantwortet. Im Fall „
Gubener Hetzjagd“ hat der BGH entschieden, dass der erforderliche
Unmittelbarkeitszusammenhangnicht immer durch das eigene Verhalten des Opfers unterbrochen wird. Der BGH verweist er darauf, dass eine selbstverletzende Opferreaktion naheliegend und nachvollziehbar sein kann. Eine Panikreaktion des Opfers, die zu einer Selbstverletzung führt, sei bei den durch Gewalt und
Drohunggeprägten Straftaten geradezu deliktstypisch und entspringe dem elementaren Selbsterhaltungstrieb des Menschen. Man kann sich allerdings fragen, ob der „bloße“ Schlag auf die Nase eine solche Reaktion erwarten lässt 🤔 Das ganze Urteil findet sich hier, insbesondere Rn. 40 ist relevant. https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/5/02/5-42-02.php3
Blotgrim
26.7.2022, 17:18:35
Es wäre schön wenn hier als Vertiefung vielleicht noch die andere Ansicht gebracht werden könnte. Ich finde diese lässt sich nämlich durchaus hören

Nora Mommsen
16.8.2022, 18:37:45
Hallo Blotgrim, meinst du mit anderer Ansicht, dass die Opferreaktion im Einzelfall nachvollziehbar sein kann und damit der
Unmittelbarkeitszusammenhangnicht unterbrochen wird? Dies ist immer sehr abhängig vom Einzelfall. Entsprechend wird es auch in den anderen Fällen dieses Kapitels dargestellt. In diesem Fall war der BGH der Ansicht, dass die Panikreaktion nicht nachvollziehbar war. Entspricht dies der anderen Ansicht, von der du sprachst? Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Geithombre
5.1.2024, 21:00:32
Wer sich die Originalentscheidung zu Gemüte führen möchte, es handelt sich um den "Rützel" Fall, BGH, 30.9.1970 - 3 StR 119/70 (NJW 1971, 152 = MDR 1971, 59). Seitdem hat der BGH allerdings u.a. in der "
Gubener Hetzjagd" in durchaus vergleichbar gelagerten Fällen den
Zurechnungszusammenhangbejaht. Ich würde daher (und angesichts des Alters der Entscheidung) eher davon ausgehen, dass es sich bei dem Fall um implizit aufgegebene Rechtsprechung handelt.
Tobias
22.10.2024, 10:55:43
Rötzel
Amelie7
2.12.2024, 19:07:28
Eine Aktualisierung der neuen Rechtsprechung wäre schön :)

Sebastian Schmitt
23.12.2024, 15:42:20
Hallo @[Geithombre](138034), vielen Dank für den guten und völlig berechtigten Hinweis. In der Tat ist der BGH von seiner damaligen Linie weitestgehend abgerückt und bejaht selbst bei dazwischen tretendem Opferverhalten heutzutage in bestimmten Fällen den
Zurechnungszusammenhang(zB in BGH NStZ 2008, 278). Ich verweise dazu auch mal auf den nachfolgenden Fall (https://jurafuchs.app.link/A92HPYqZ2kb). Wir haben das jetzt in der Aufgabe klargestellt. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Edward Hopper
22.5.2025, 17:29:44
H.L. folgt ja der
Letalitätslehre. Demnach ist der Zsuammenhang zwischen KV erfolg und Tod herzustellen. Würde man hier verneinen oder da ein Nasenbruch (KV Erfolg) nicht zum Tod führt, oder?
ouiam.B
2.6.2025, 12:03:15
eine kurze Frage, könnte man die Flucht des Opfers dem Töter nicht kausal zurechnen ? Weil ohne ihn würde das Opfer nicht auf die Idee kommen zu flüchten. wäre das ein argumant in der klausur ?
Leo Lee
19.6.2025, 11:30:14
Hallo ouiam.B, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Du hast zunächst völlig Recht. Die Flucht wurde kausal verursacht, daran bestehen auch keine Zweifel. Beachte allerdings, dass es hier nicht um die Kausalität, sondern um den Gefahrenzusammenhang geht (hier fragen wir uns, ob der Tod gerade die Realisierung der tatbestandsspezifischen Gefahr darstellt oder nicht). Kausalität ist davor zu prüfen - und eig. fast immer auch zu bejahen. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Hardtung § 227 Rn. 19 sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo