Relativität der Sphären 3 (geringerer Schutz in der Privatsphäre)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Politiker P lädt Journalist J zum Neujahrsempfang in seine Wohnung ein. Dort erzählt er in großer Runde von seinem Privatleben. J veröffentlicht Details hierüber in einem Artikel.

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Einordnung des Falls

Relativität der Sphären 3 (geringerer Schutz in der Privatsphäre)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Aussagen des P im Gespräch sind durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt.

Genau, so ist das!

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) schützt gerade auch die Privatsphäre. Innerhalb seiner Privatsphäre muss der Grundrechtsträger grundsätzlich nicht mit Beeinträchtigungen seiner Persönlichkeit von außen rechnen.Das Gespräch fand in der Wohnung des P statt. Die Wohnung stellt einen Raum dar, in welchem grundsätzlich nicht mit Beeinträchtigungen der Persönlichkeit von außen zu rechnen ist und fällt somit in die Privatsphäre. Innerhalb dieser war auch das Gespräch in der Wohnung durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Die Differenzierung zwischen Sozialsphäre und Intimsphäre ist allgemein anerkannt. Die weitere, dazwischen eingeordnete Privatsphäre ist weit verbreitet, wird aber nicht von allen Stimmen in der Literatur als eigene Kategorie anerkannt.
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2. Das Gespräch ist durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG absolut vor Veröffentlichungen durch J geschützt.

Nein, das trifft nicht zu!

Innerhalb seiner Privatsphäre ist das Individuum grundsätzlich vor Beeinträchtigungen seiner Persönlichkeit geschützt. Allerdings ist der Schutz der Privatsphäre, anders als der Schutz der Intimsphäre, nicht absolut. Hier fand das Gespräch innerhalb der Privatsphäre statt. Es ist somit nicht absolut geschützt. Da J als Journalist kein staatlicher Akteur ist, unterliegt er zwar keiner unmittelbaren Grundrechtsbindung (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG), diese finden aber mittelbar Anwendung. Die mittelbare Bindung ist nicht auf Generalklauseln (§ 242 BGB; § 138 BGB) beschränkt. Vielmehr erstreckt sie sich auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale, also auch den Unterlassunganspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB iVm § 823 BGB.

3. Aufgrund des hohen Schutzes der Privatsphäre durfte J Details aus dem Gespräch nicht veröffentlichen.

Nein!

Im Einzelfall kann ein geringeres Schutzniveau in der Privatsphäre bestehen. Dies gilt v.a. dann, wenn der Grundrechtsträger selbst einen weitreichenden Zugang zu seiner Privatsphäre eröffnet hat. Hier hat P selbst J in seine Wohnung eingeladen und von sich aus von seinem Privatleben erzählt. Er hat somit sowohl räumlich als auch kommunikativ weitreichenden Zugang in seine Privatsphäre eröffnet. Es bestand deshalb ein geringeres Schutzniveau. Das Gespräch war deshalb nicht in dem gleichen Maße geschützt wie wenn es sich um ein erkennbar privates Gespräch gehandelt hätte. Der Fall dient zur Verdeutlichung, dass das typischerweise hohe Schutzniveau in der Privatsphäre aufgrund der Umstände des Einzelfalls abgesenkt sein kann. Dies musst Du im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung berücksichtigen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Basti :)

Basti :)

10.8.2022, 14:59:34

Generell kann jedoch hier auch mit entsprechender Begründung ein anderes Ergebnis vertreten werden, oder?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.8.2022, 12:50:29

Hallo Basti, das ist richtig. Mit entsprechender Begründung und bei umfassender Aus- und Verwertung des Sachverhalts lässt sich fast jedes Ergebnis begründen. Allerdings lohnt es sich durchaus darauf zu achten, ob zu einer bestimmten Frage eine relativ große oder gefestigte Rechtsprechung und herrschende Meinung zu besteht. Dies ist aber natürlich nie zwingend, kann aber klausurtaktisch sinnvoll sein. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Jonas Neubert

Jonas Neubert

8.7.2023, 18:06:13

Wie liegt der Sachverhalt bei Hintergrundgesprächen von der Bundesregierung mit Journalisten. Diese dürfen nicht unmittelbar aus diesen Gesprächen berichten. Ist dies eine Beschränkung aus dem

APR

oder vielmehr als Zugangsvoraussetzung der Bundesregierung für Journalisten

lw1

lw1

9.8.2023, 17:05:41

Die Bundesregierung wird sich nicht auf die Grundrechte berufen können (

Konfusion

sargument), es handelt sich bei diesen Gesprächen unter 1, 2 oder 3 um ungeschriebene Regeln, insofern dürften sich vor allem tatsächliche Konsequenzen für die Journalisten ergeben (keine Einladungen mehr, kein Vertrauen in sensiblen Angelegenheit), rechtlich dürfte es aber grundsätzlich keine Konsequenzen geben (das kann bei staatsgefährdenden Informationen oder NDAs bestimmt nochmal anders aussehen)


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