Intendiertes Ermessen

2. April 2025

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Klassisches Klausurproblem

Unternehmerin U hat einen Subventionsbescheid für ihren Betrieb erhalten. Dieser ist mit der Auflage verbunden, dass U die baufälligen Abschnitte der Betriebsstätte innerhalb von 6 Monaten in Stand setzen lässt. Nach Ablauf der Frist hat U die Auflage nicht erfüllt. Behörde B überlegt, ob sie den Bescheid widerrufen soll.

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Einordnung des Falls

Intendiertes Ermessen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts beruht auf § 49 VwVfG.

Ja, in der Tat!

Nach § 49 Abs. 1 VwVfG kann die Behörde einen rechtmäßigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakt auch aufheben, nachdem er unanfechtbar geworden ist. Handelt es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt, müssen die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 VwVfG bzw. die des § 49 Abs. 3 VwVfG vorliegen. Bei dem Subventionsbescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der eine einmalige Geldleistung gewährt. Der Widerruf richtet sich nach § 49 Abs. 3 VwVfG.
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2. Nach § 49 Abs. 3, S. 1, Nr. 2 VwVfG muss die Behörde den Verwaltungsakt widerrufen, wenn der Begünstigte eine mit ihm verbundene Auflage nicht erfüllt hat.

Nein!

Die Behörde wäre gesetzlich zum Widerruf des Verwaltungsakts verpflichtet, wenn § 49 Abs. 3, S. 1, Nr. 2 VwVfG eine gebundene Entscheidung vorsehen würde. Nach § 49 Abs. 3, S. 1, Nr. 2 VwVfG „kann“ die Behörde den Verwaltungsakt widerrufen, wenn der Begünstigte eine mit ihm verbundene Auflage nicht erfüllt hat. Es handelt sich nicht um eine gebundene Entscheidung, die an Formulierungen wie „ist...zu widerrufen“ oder „muss...widerrufen“ zu erkennen wäre. Vielmehr handelt es sich um eine Norm, die der Behörde Ermessen einräumt.

3. Gibt eine Norm den Regelfall vor, so liegt ein Fall des sog. intendierten Ermessens vor.

Genau, so ist das!

Das BVerwG hat den Begriff des intendierten Ermessen geprägt. Nach der Ansicht des BVerwG läge ein solcher Fall vor, wenn dem Gesetz zu entnehmen sei, wie das Ermessen auszuüben sei und vor allem welches Ergebnis für den Normalfall gewollt sei. Unter diese Fallgruppe fallen vor allem die sog. „Soll-Vorschriften“, aber auch andere Vorschriften, aus denen die Rspr. ermessenslenkende Vorgaben des Gesetzgebers herausliest. Normen, die regelbeispielartig aufgebaut sind, können auch zu diesen Vorschriften zählen. § 49 Abs. 2 VwVfG und § 49 Abs. 3 VwVfG werden nach h.M. zu den Normen mit intendiertem Ermessen gezählt, auch wenn sie nicht ausdrücklich als „Soll-Vorschrift“ formuliert sind. § 48 VwVfG sieht dagegen nach h.M. kein intendiertes Ermessen vor. Auch beim intendierten Ermessen muss das Ermessen pflichtgemäß ausgeübt werden, es entbindet die Behörde also gerade nicht von jeglicher Ermessensausübung. Ansonsten hätte der Gesetzgeber eine gebundene Vorschrift erlassen. Im Schrifttum wird das Konzept des intendierten Ermessen teils kritisch hinterfragt. Möchte der Gesetzgeber Behördenentscheidungen in eine konkrete Richtung lenken, könne er mit „Soll“-Vorgaben arbeiten. Abseits dessen obliege der Behörde im Rahmen ihrer Ermessensprüfung eine umfassende Abwägung, zumal oft gar nicht klar sei, welches Ergebnis vom Gesetz üblicherweise gewollt sei.

4. Stößt B bei ihrer Ermessensabwägung nicht auf außergewöhnliche Umstände, soll sie im Sinne des intendierten Ermessens den Bescheid aufheben.

Ja, in der Tat!

Das BVerwG spricht vom intendierten Ermessen, wenn dem Gesetz zu entnehmen sei, wie das Ermessen auszuüben sei und vor allem welches Ergebnis für den Normalfall gewollt sei. Liegen keine vom Normalfall abweichenden Umstände vor, sollte von der Ermächtigungsgrundlage Gebrauch gemacht werden. Dies schafft eine gewisse Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns bei gleichgelagerten Fällen. U hat die Auflage nicht innerhalb der Frist erfüllt. Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 3, S. 1, Nr. 2 VwVfG liegen vor. Sofern keine besonderen Umstände, insbesondere solche des Vertrauensschutzes gegeben sind, sieht die Norm vor, dass B den Verwaltungsakt widerruft. Detailwissen zum intendierten Ermessen wird in einer Klausur im ersten Examen weniger relevant sein. Das Thema ist aber sehr gut für Zusatzfragen oder die mündliche Prüfung geeignet.
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Behörde B erlässt gegenüber der kleinen Hexe H eine Abrissverfügung. Danach stünde Hs Hexenhaus im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht, sodass B „keine andere Wahl habe“, als die Abrissverfügung zu erlassen. H meint, die Verfügung sei rechtswidrig.

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