Bei versuchter Unterlassung 2
19. Februar 2025
8 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

T fährt versehentlich seinen Sohn S an, welcher lebensbedrohlich verletzt wird. T ist das egal und er fährt davon, wobei er es nicht für ausgeschlossen hält, dass ein Dritter den Verletzten findet und sich um ihn kümmert. Später rettet eine dritte Person den S.
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Einordnung des Falls
Bei versuchter Unterlassung 2
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der versuchte Totschlag durch Unterlassen ist strafbar (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. T hatte „Tatentschluss“ bezüglich der objektiven Merkmale des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB).
Genau, so ist das!
3. T hatte „Tatentschluss“, den Totschlag durch Unterlassen zu begehen.
Ja, in der Tat!
4. Das unmittelbare Ansetzen beim Unterlassungsdelikt unterscheidet sich vom unmittelbaren Ansetzen durch Tätigkeit.
Ja!
5. T hat nach herrschender Meinung unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.
Genau, so ist das!
6. Andere Theorien stellen auf absolute Zeitpunkte ab.
Ja, in der Tat!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

I-m-possible
5.7.2022, 13:50:31
Der Sachverhalt ist bzgl. des
Tatentschlusses schwammig- der Vater fährt „versehentlich“ den Sohn an, billigt dies dann und unterlässt sodann Handlungsmöglichkeiten ihn zu retten. Versehentlich- hört sich nach Fahrlässigkeit bzw. Dolus subsequenz an. Das ist ungleich der Fälle wo von vornherein ein Unterlassen „geplant“ ist oder ist das ganz abwegig ?

Lukas_Mengestu
5.7.2022, 14:22:31
Hallo I-m-possible, hier musst Du zwei Sachverhaltsabschnitte trennen. Bezüglich des Anfahrens liegt in der Tat nur Fahrlässigkeit vor, d.h. eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags durch aktives Tun scheidet hier aus. Der Unfall schafft hier aber eine zeitliche
Zäsur. Insoweit liegt keine Konstellation des
dolus subsequens(nachträglich gefasster
Vorsatz) vor (- unzulässig, da im Strafrecht das
Koinzidenzprinzipgilt, d.h. zum Zeitpunkt der Tat müssen sämtliche relevanten Umstände der Strafbarkeit vorliegen). Vielmehr ist auf das nachfolgende Unterlassen der Rettung abzustellen. Insoweit handelte T
vorsätzlichund mit Tatenschluss, da er die Verletzungen des S wahrnahm und durch seine Wegfahrt S' Tod billigend in Kauf nahm. Ich hoffe, jetzt ist es noch etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
FF0815
22.7.2022, 00:25:31
"Er hält es nicht für ausgeschlossen", dass ein Retter vorbei kommt klingt für mich eher nach "er hält es für möglich", dass er gerettet wird?

Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat
19.6.2024, 08:31:21
Ich denke mit dieser Formulierung geht es darum, dass sich sein
Tatentschlussauch auf die Quasi-Kausalität bezieht.
Christopher
26.3.2023, 13:28:32
Hallo Jurafuchsrudel, also für mich macht der Satz: … nimmt billigend in Kauf, dass durch die Rettungsmöglichkeit der Erfolg(Tod) verhindert werden könnte, keinen Sinn. Er nimmt doch nicht die Rettung billigend in Kauf sondern den Tod, also die Konsequenz durch das Unterlassen der Rettungshandlung. Jeder versteht was ihr meint natürlich, aber klingt trotzdem komisch so.

Nora Mommsen
27.3.2023, 16:01:52
Hallo Christopher, der (
Eventualvorsatz) muss sich auf alle objektiven
Tatbestandsmerkmalebeziehen. In der Konstellation des Unterlassens bedeutet das, dass er auch auf die Quasi-Kausalität erfassen muss. Quasi-Kausalität liegt vor, wenn bei Vornahme der möglichen und gebotenen Handlung der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre. Er muss also billigend in Kauf nehmen, dass der Erfolg hätte verhindert werden können durch Vornahme der Handlung. Liebe Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

LS2024
8.1.2025, 09:20:18
In der Subsumtion heißt es: "T wusste auch, dass er als Vater von S eine besondere Verantwortungsposition innehatte." Das geht ja nicht aus dem Sachverhalt hervor. Wenn man einem solchen Fall in der Klausur begegnet, kann man das dann auch einfach so feststellen? Oder sollte man zumindest mal schreiben, dass ihm der natürliche Sinngehalt bewusst ist und er deshalb nach einer
Parallelwertung in der LaiensphäreKenntnis von seiner Handlungspflicht hatte?

Tim Gottschalk
8.2.2025, 20:35:59
Hallo @[LS2024](144077), sicherlich wäre es nichts Schlechtes, wenn du das etwas ausführlicher begründest. Dann aber nur, wenn du wirklich viel Zeit übrig hast. Ich kann mir nämlich auch nicht vorstellen, dass ein Korrektor da pingelig wäre, wenn man etwas schneller darüber hinweggeht und kein Problem angelegt ist. Insbesondere da der Irrtum über die Handlungspflicht (im Gegensatz zum Irrtum über die diese begründenden
Tatsachen) als
Verbotsirrtumin aller Regel unbeachtlich sein wird. Man muss natürlich aber vertieft darauf eingehen, wenn im Sachverhalt besondere Anhaltspunkte gegeben sind. Liebe Grüße, Tim - für das Jurafuchs-Team