Abgrenzung Tun/Unterlassen + Garantenpflicht
3. Juli 2025
6 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
M ist mit ihrer 5-jährigen Tochter T in einem Lokal. Dabei bemerkt M nicht, wie T sich davonschleicht und auf dem Gehsteig zu spielen beginnt. Als M dies bemerkt, geht sie davon aus, dass für T keine Gefahr droht. Kurz darauf wird T angefahren.
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Einordnung des Falls
Abgrenzung Tun/Unterlassen + Garantenpflicht
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. M hat den Körper und die Gesundheit der T durch Unterlassen verletzt.
Genau, so ist das!
2. Ein Unterlassen ist nur rechtlich relevant, wenn eine Pflicht bestand, tätig zu werden.
Ja, in der Tat!
3. M ist Garant für Ts Wohlergehen.
Ja!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Schwanzanwaltschaft
8.2.2024, 12:35:09
Wäre hier die Haftungspriviligierung des §1664 I BGB einschlägig.
Leo Lee
10.2.2024, 13:24:16
Hallo Schwanzanwaltschaft, vielen Dank für deine sehr gute Frage! Du hast völlig Recht: Hier wäre der § 1664 I BGB zu beachten. Ob diese Privilegierung greift, ist allerdings zweifelhaft, da die M trotz Bemerkens die T einfach weiter spielen lässt auf dem Gehsteig; dies dürfte dann wohl eine grobe Fahrlässigkeit darstellen i.S.d.
§ 277 BGB(was dann nicht mehr von der Privilegierung gedeckt ist!). Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Grundmann § 277 Rn. 1 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Schwanzanwaltschaft
20.2.2024, 18:08:28
Top, Danke für die schnelle Antwort 👍🏽

MayonnaiseOperator
23.12.2024, 14:42:44
Hier handelt es sich um einen Fall der Personensorge. Insofern bietet sich hier statt der einfachen Nennung von § 1626 I BGB eine Nennung von §§ 1626 I, 1631 I BGB an. Damit würde die (sich aus dem Gesetz ergebende)
Garantenstellunggenau benannt. :)

Charles "Chuck" McGill
30.4.2025, 14:23:56
Verstehe ich richtig, dass jede Situation des 323c eine zivilrechtliche
Garantenstellungbegründet? Im Strafrecht is das ja gerade nicht der Fall. Damit wird ja jeder der einen Unfall (mit dem er gar nichts zu tun hat) sieht und nichts unternimmt gigantischen
Schadensersatzforderungen ausgesetzt.
Lt. Maverick
12.5.2025, 15:12:34
Hinsichtlich des Unterlassens gilt im Deliktsrecht, dass eine Rechtspflicht zum Tätigwerden (
Garantenstellung) bestehen muss. Diese kann sich z.B. aus Gesetz (z.B. Fürsorge- und Obhutspflichten der Eltern gegenüber dem minderjährigen Kind), Vertrag (z.B. Babysitter) oder
Ingerenz(pflichtwidriges Vorverhalten) ergeben.
§ 323c StGBist ein
SchutzgesetziSv
§ 823 II BGB. Die Haftung würde sich folglich aus
§ 823 II BGBiVm
§ 323c StGBergeben (BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 - VI ZR 255/11).
§ 323c StGBist überdies ein echtes Unterlassungsdelikt und knüpft gerade nicht an eine
Garantenstellungan. Insoweit ergänzt
§ 323c StGBden §
823 BGB, indem auch die von § 823 I BGB nicht erfasste Unterlassung mangels
Garantenstellung, von
§ 823 II BGBiVm
§ 323c StGBabgedeckt wird.