Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 823 Abs. 1 BGB

Abgrenzung Tun/Unterlassen + Garantenpflicht

Abgrenzung Tun/Unterlassen + Garantenpflicht

3. Juli 2025

6 Kommentare

4,6(17.802 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M ist mit ihrer 5-jährigen Tochter T in einem Lokal. Dabei bemerkt M nicht, wie T sich davonschleicht und auf dem Gehsteig zu spielen beginnt. Als M dies bemerkt, geht sie davon aus, dass für T keine Gefahr droht. Kurz darauf wird T angefahren.

Diesen Fall lösen 94,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Abgrenzung Tun/Unterlassen + Garantenpflicht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M hat den Körper und die Gesundheit der T durch Unterlassen verletzt.

Genau, so ist das!

Eine Verletzungshandlung kann jedes Tun oder (pflichtwidrige) Unterlassen sein, das durch beherrschbares menschliches Verhalten gesteuert werden kann. Aktives Tun liegt vor, wenn jemand eine Gefahr für ein fremdes Rechtsgut begründet oder erhöht. Ein Unterlassen liegt vor, wenn eine bestehende Gefahr, ohne sie durch ein Tun zu erhöhen, nicht abgewendet wird. Die Abgrenzung erfolgt - wie im Strafrecht - nach dem Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit. M hat die T nicht aktiv in die Gefahr gebracht, angefahren zu werden. Sie hätte jedoch T wieder von der Straße wegholen und damit die Gefahr verringern können. Damit liegt ein Unterlassen vor.
Zivilrecht-Wissen in 5min testen
Teste mit Jurafuchs kostenlos dein Zivilrecht-Wissen in nur 5 Minuten.

2. Ein Unterlassen ist nur rechtlich relevant, wenn eine Pflicht bestand, tätig zu werden.

Ja, in der Tat!

Es besteht keine allgemeine Rechtspflicht, Dritte vor Gefahren zu schützen. Die Schädigung durch Unterlassen bildet damit eine Ausnahme. Notwendig ist, dass den Schädiger die Pflicht zum Handeln traf. Diese kann sich aus Verkehrssicherungspflichten oder einer Garantenstellung ergeben.

3. M ist Garant für Ts Wohlergehen.

Ja!

Eine Garantenstellung kann sich ergeben aus (1) vorangegangenem gefahrerhöhendem Tun (Ingerenz), (2) Gesetz, (3) Vertrag, (4) Lebens- oder Gefahrgemeinschaft, (5) Ehe und Familie sowie (6) §§ 138, 323c StGB. M ist als Mutter der T zur Personensorge verpflichtet (§ 1626 Abs. 1 BGB). Sie ist daher Garant für die körperliche Unversehrtheit der T.
Dein digitaler Tutor für Jura
Zivilrecht-Wissen testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

SCH

Schwanzanwaltschaft

8.2.2024, 12:35:09

Wäre hier die Haftungspriviligierung des §1664 I BGB einschlägig.

LELEE

Leo Lee

10.2.2024, 13:24:16

Hallo Schwanzanwaltschaft, vielen Dank für deine sehr gute Frage! Du hast völlig Recht: Hier wäre der § 1664 I BGB zu beachten. Ob diese Privilegierung greift, ist allerdings zweifelhaft, da die M trotz Bemerkens die T einfach weiter spielen lässt auf dem Gehsteig; dies dürfte dann wohl eine grobe Fahrlässigkeit darstellen i.S.d.

§ 277 BGB

(was dann nicht mehr von der Privilegierung gedeckt ist!). Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Grundmann § 277 Rn. 1 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

SCH

Schwanzanwaltschaft

20.2.2024, 18:08:28

Top, Danke für die schnelle Antwort 👍🏽

MayonnaiseOperator

MayonnaiseOperator

23.12.2024, 14:42:44

Hier handelt es sich um einen Fall der Personensorge. Insofern bietet sich hier statt der einfachen Nennung von § 1626 I BGB eine Nennung von §§ 1626 I, 1631 I BGB an. Damit würde die (sich aus dem Gesetz ergebende)

Garantenstellung

genau benannt. :)

Charles "Chuck" McGill

Charles "Chuck" McGill

30.4.2025, 14:23:56

Verstehe ich richtig, dass jede Situation des 323c eine zivilrechtliche

Garantenstellung

begründet? Im Strafrecht is das ja gerade nicht der Fall. Damit wird ja jeder der einen Unfall (mit dem er gar nichts zu tun hat) sieht und nichts unternimmt gigantischen

Schaden

sersatzforderungen ausgesetzt.

LMA

Lt. Maverick

12.5.2025, 15:12:34

Hinsichtlich des Unterlassens gilt im Deliktsrecht, dass eine Rechtspflicht zum Tätigwerden (

Garantenstellung

) bestehen muss. Diese kann sich z.B. aus Gesetz (z.B. Fürsorge- und Obhutspflichten der Eltern gegenüber dem minderjährigen Kind), Vertrag (z.B. Babysitter) oder

Ingerenz

(pflichtwidriges Vorverhalten) ergeben.

§ 323c StGB

ist ein

Schutzgesetz

iSv

§ 823 II BGB

. Die Haftung würde sich folglich aus

§ 823 II BGB

iVm

§ 323c StGB

ergeben (BGH, Urteil vom 14. Mai 2013 - VI ZR 255/11).

§ 323c StGB

ist überdies ein echtes Unterlassungsdelikt und knüpft gerade nicht an eine

Garantenstellung

an. Insoweit ergänzt

§ 323c StGB

den §

823 BGB

, indem auch die von § 823 I BGB nicht erfasste Unterlassung mangels

Garantenstellung

, von

§ 823 II BGB

iVm

§ 323c StGB

abgedeckt wird.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Zivilrecht-Wissen testen