Statthaftigkeit Leistungsklage: Einwirkungsanspruch bei privatrechtlich betriebener öffentlicher Einrichtung


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Eine öffentliche Einrichtung in der Gemeinde U ist die Stadthalle. Betrieben wird diese durch die Stadthalle-GmbH, die zu 100% der U gehört. U verweigert der P-Partei die Anmietung der Stadthalle für ihre Wahlkampfveranstaltung. P-Parteivorsitzende V ist empört.

Einordnung des Falls

Statthaftigkeit Leistungsklage: Einwirkungsanspruch bei privatrechtlich betriebener öffentlicher Einrichtung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach erfolglosem Antrag bei der U klagt P, vertreten durch V. Der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist ausgeschlossen, da U die Stadthalle in der Form einer GmbH betreibt.

Nein!

Öffentliche Einrichtungen können sowohl öffentlich-rechtlich, als auch privatrechtlich organisiert sein. Bei einer Streitigkeit zwischen Gemeinde und Bürger muss wie folgt unterschieden werden: Die Frage, ob ein Anspruch auf Zugang zur öffentlichen Einrichtung erfolgt, richtet sich immer nach dem öffentlichen Recht. Demgegenüber kann sich die Frage, wie die Benutzung ausgestaltet ist, nach privatrechtlichen Vorschriften richten (Zwei-Stufen-Theorie) Für die Frage, ob der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist, ist es nicht entscheidend, dass die Stadthalle der U privatrechtlich betrieben wird.

2. Es geht um die Frage, ob P einen Anspruch gegen U hat, der darauf gerichtet ist, die Stadthalle anzumieten. Die streitentscheidenden Normen sind öffentlich-rechtlich.

Genau, so ist das!

Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen öffentlich-rechtlich sind. Nach der zwei-Stufen-Theorie richtet sich die Frage, ob der Bürger einen Anspruch auf Zugang zur öffentlichen Einrichtung hat, immer nach öffentlichem Recht. P will die Halle anmieten und damit Zugang zu ihr bekommen. Es geht um die Frage, ob P einen Anspruch auf Zugang hat. Die Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich. Dass die Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ist und mangels auf- oder abdrängender Sonderzuweisung der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet ist, muss nur kurz festgestellt werden, wenn dies - wie im vorliegenden Fall - unproblematisch ist.

3. Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren. Statthaft ist die allgemeine Leistungsklage, wenn P ein Realhandeln oder Unterlassen der U begehrt.

Ja, in der Tat!

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Klagebegehren (vgl. § 88 VwGO). Begehrt der Kläger ein Handeln des Hoheitsträgers, muss die Verpflichtungsklage von der allgemeinen Leistungsklage abgegrenzt werden. Entscheidend ist hierbei die Qualität des begehrten Handelns: Begehrt der Kläger den Erlass eines Verwaltungsakts, ist die Verpflichtungsklage statthaft (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). Begehrt der Kläger ein sonstiges Tun oder Unterlassen der Behörde, ist die allgemeine Leistungsklage statthaft. Wenn P ein Handeln der U begehrt, welches nicht im Erlass eines Verwaltungsakts besteht, ist die allgemeine Leistungsklage statthaft.

4. Der Bürger erhält Zugang zu einer privatrechtlich organisierten öffentlichen Einrichtung durch Erlass eines Verwaltungsakts. P begehrt also den Erlass eines Verwaltungsakts.

Nein!

Betreiben Gemeinden öffentliche Einrichtungen in privatrechtlicher Form (in der Praxis häufig als GmbH), so erfolgt die Zulassung nicht über den Erlass eines Verwaltungsakts. Vielmehr schliesst die privatrechtlich organisierte Betreibergesellschaft mit den Benutzern der Einrichtung selbstständig einen privatrechtlichen Benutzungsvertrag. Die Gemeinde ist trotzdem nicht von ihrer öffentlich-rechtlichen Bindung befreit ("Keine Flucht ins Privatrecht."): Zur Verwirklichung des (kommunalrechtlichen) Anspruchs der Bürger auf Zulassung zur öffentlichen Einrichtung muss die Gemeinde auf die privatrechtliche Gesellschaft einwirken - entweder als (Mehrheits-)Gesellschafterin oder auf vertraglicher Grundlage. Die Gemeinde muss dem Bürger Zugang zur privatrechtlich organisierten öffentlichen Einrichtung verschaffen. P begehrt keinen Verwaltungsakt.

5. P begehrt, dass die Gemeinde auf die Stadthalle-GmbH einwirkt, sodass sie die Stadthalle anmieten kann. Statthaft ist die allgemeine Leistungsklage.

Genau, so ist das!

Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft, wenn der Kläger ein Handeln eines Hoheitsträgers begehrt, was nicht im Erlass eines Verwaltungsakts besteht. Der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen, die privatrechtlich organisiert sind (etwa als GmbH), erfolgt nicht durch Erlass eines Verwaltungsakts. Begehrt der Kläger Zugang zu einer privatrechtlich organisierten öffentlichen Einrichtung, kann er die Gemeinde darauf verklagen, dass sie auf "ihre" privatrechtliche Gesellschaft einwirkt und dem Kläger auf diese Weise Zugang verschafft. P kann U darauf verklagen, so auf die GmbH einzuwirken, dass P erlaubt wird, die Stadthalle anzumieten. Alternativ könnte P auch die Gesellschaft zivilrechtlich verklagen. Für diese gilt jedoch die Vertragsfreiheit, weswegen es erfolgsversprechender ist, gegen den öffentlichen Träger vorzugehen.

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Melanie 🐝

Melanie 🐝

11.8.2021, 09:34:18

Ich verstehe hier den Unterschied zu den Fällen, wo beispielsweise der L der Zugang zur städtischen Bibliothek versperrt wird, weil der Bibliothekar sie nicht mag und sie dort einen VA braucht (siehe vorherige Fälle im Kapitel VwGO - Anfechtungklage) zu diesem Fall hier nicht. Hier heißt es, dass kein VA gebraucht wird.

FABY

Faby

23.8.2021, 19:07:25

Genau das habe ich mich auch gerade gefragt 🤔

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

7.9.2021, 07:48:39

Habe den Fall mit der Bibliothek grade nicht mehr genau im Kopf, würde aber vermuten, dass der Unterschied im Betrieb der Stadthalle durch eine GmbH liegt, die ja keine VAe erlassen kann sondern Mietverträge abschließen muss (:

Linne_Karlotta

Linne_Karlotta

25.9.2021, 11:08:16

Liebe Melanie, lieber Faby. Danke für Eure Frage! TeamRahad liegt ganz richtig - der Unterschied zwischen diesem Fall und dem angesprochenen Fall mit der Bibliothek besteht darin, in welcher Form die öffentliche Einrichtung betrieben wird. Denn die Gemeinde kann eine Einrichtung ja sowohl privatrechtlich als auch öffentlich-rechtlich betreiben (vgl. z.B. Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 19. A. 2019, RdNr. 71ff.). Wird die Einrichtung privatrechtlich, z.B. in Form einer GmbH (so wie hier) betrieben, erfolgt der Zugang durch den Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags. Wird die Einrichtung in öffentlich-rechtlicher Form betrieben, erfolgt der Zugang zur Benutzung grds. durch (konkludenten) Erlass eines Verwaltungsakts (vgl. Schmidt, Verwaltungsprozessrecht, 19. A. 2019. RdNr. 70; OVG Lüneburg 10. Senat, Beschluss vom 18.06.2018, RdNr. 35). Wird eine Einrichtung privatrechtlich betrieben, könnte der Bürger auch privatrechtlich gegen die GmbH vorgehen. Allerdings gilt im Privatrecht die Privatautonomie, weswegen es i.d.R. schwierig ist, den Abschluss eines privatrechtlichen Vertrags gerichtlich zu erreichen. Deswegen ist es vielversprechender, gegen den grundrechtsgebundenen Hoheitsträger vorzugehen (dieser kann sich gerade nicht auf die Privatautonomie berufen). Das Klagebegehren ist dann allerdings nicht darauf gerichtet, dass ein Verwaltungsakt erlassen wird (weil der Zugang zur privatrechtlich betriebenen Einrichtung ja gerade nicht durch Verwaltungsakt gewährt wird). Vielmehr richtet sich das Klagebegehren darauf, dass die Gemeinde auf die privatrechtlich Handelnden einwirkt und erreicht, dass diese einen privatrechtlichen Vertrag mit dem Bürger abschließen. Deswegen ist in diesen Fällen die

allgemeine Leistungsklage

gerichtet auf das Einwirken der Gemeinde, nicht die Verpflichtungsklage gerichtet auf Erlass eines Verwaltungsakts statthaft. Schaut Euch dazu auch gerne noch den Fall an, der nach dem Bibliotheksfall in der gleichen Session kommt. Da geht es um den Zugang zu einem privat betriebenem Schwimmbad. Ich hoffe, ich konnte Euch damit weiterhelfen! Beste Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

29.8.2023, 17:39:09

Nochmal zum Annexantrag: Wie sähe das klägerische Begehren denn aus, wenn die Einrichtung nicht privatrechtlich, sondern öffentlich-rechtlich betrieben wird und somit die Nutzung bzw. Untersagung durch den konkludenten Erlass von Verwaltungsakten einhergeht? Wäre die Nutzungsuntersagung dann Gegenstand einer statthaften Anfechtungsklage, die um einen Annexantrag erweitert werden könnte, der die Behörde zur Leistung "Zugang" verpflichtet? Oder würde diese Leistung (Zugang) dann ebenfalls ihrerseits wieder einen VA darstellen, sodass das Begehren des Annexantrags dann eigentlich eine Verpflichtung zum Erlass dieses VAs darstellt?Sofern man in der Verpflichtungsklage eine spezielle Leistungsvornahmeklage sieht, wäre das ja eigentlich unproblematisch möglich, oder? Letztlich möchte der Kläger ja jeweils "rein" und im Zweifel spürt er ja nicht, ob er dafür einen VA braucht oder nicht...

MAT

Matteo10

30.10.2023, 16:16:42

Ich denke du hast es schon richtig zusammengefasst. Wenn die Einrichtung öff. Rechtlich betrieben wird, dann ist die statthafte Klageart bei einer vorherigen Ablehnung die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage. Im Übrigen gilt hier subsidiarität der allg. Leistungsklage, sodass diese unstatthaft wäre. Hoffe das hilft weiter


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