Öffentliches Recht

Grundrechte

Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG)

Sachlicher Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG): Mahnwachen

Sachlicher Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG): Mahnwachen

24. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A, B und C möchten gegen die öffentliche Gedenkfeier auf dem Friedhof am Volkstrauertag demonstrieren. Sie positionieren sich daher schweigend mit Plakaten vor dem Haupteingang des Friedhofs.

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Einordnung des Falls

Sachlicher Schutzbereich der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG): Mahnwachen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Drei Personen sind ausreichend für eine Versammlung.

Ja!

Rechtsprechung und h.M. lassen eine Mindestanzahl von zwei Personen genügen. Teile der Literatur fordern mit Blick auf den allgemeinen Sprachgebrauch ("mehrere Personen") sowie die vereinsrechtliche Regelung des § 73 BGB mindestens drei Personen. Eine noch restriktivere Ansicht verlangt mindestens sieben Personen und beruft sich dafür auf das vereinsrechtliche Gründungsminimum (§ 56 BGB). Eine Verengung des Versammlungsbegriffs widerspricht jedoch dem Telos des Art. 8 Abs. 1 GG, der den kommunikativen Austausch schützt. Zudem handelt es sich bei den vereinsrechtlichen Normen um einfaches Gesetzesrecht, welches für die Auslegung der Grundrechte nicht maßgeblich ist. Mit drei Personen erfüllen A, B und C die Mindestanzahl.
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2. Die Teilnehmer der Versammlung müssen sich mündlich äußern, damit der sachliche Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet ist.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die nach dem Versammlungsbegriff vorausgesetzte, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Erörterung oder Kundgebung ist nicht auf verbale Äußerungen angewiesen. Schon das Hochhalten der Plakate zielt auf eine öffentliche Meinungsbildung ab. Die Teilnehmer können also auch schweigen und dennoch ihre Meinung kundtun. Vorbeilaufende Personen haben die Möglichkeit, die Plakate zu lesen und die Meinung der schweigenden Demonstranten zu erfahren. Eine auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtete Erörterung oder Kundgebung liegt vor. Der sachliche Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG ist eröffnet.

3. Für die Eröffnung des sachlichen Schutzbereichs des Art. 8 Abs. 1 GG ist eine Versammlung erforderlich.

Ja, in der Tat!

Art. 8 Abs. 1 GG schützt das Recht, "sich zu versammeln". Nach dem Versammlungsbegriff ist eine Versammlung (1) eine örtliche Zusammenkunft (2) mehrerer Personen (3) zu einem gemeinsamen Zweck. Der gemeinsame Zweck der Versammlung muss nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG in der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung liegen und sich in irgendeiner Weise nach außen manifestieren.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MsFox

MsFox

29.12.2020, 20:27:38

Ist denn das Abzielen auf "öffentliche Meinungsbildung" notwendig, dass der sachliche Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG als eröffnet gilt? Dem Art. kann ich das zumindest so nicht entnehmen.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

29.12.2020, 23:23:46

Hi, danke für die Frage! Ja, das ist erforderlich. Es ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Aber es ist Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Hinweis 1 zum Fall).

S.

s.t.

1.9.2021, 14:38:14

Hier könnte man auch noch verifizieren zwischen Friedhof als versammlungsplatz zu nutzen verhältnismäßig zum öfftl. Interesse der Trauer und Störung der Trauerrituale steht.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

7.12.2021, 19:35:56

Hallo s.t., da hast du vollkommen recht, das kommt dann auf Ebene der Rechtfertigung eines möglichen Eingriffs in die Versammlung. Hier ging es ja erst einmal um den Aspekt der non-verbalen Meinungsäußerung. Hoffe das hilft. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

Dogu

Dogu

30.5.2023, 20:18:14

Es wurde nicht der Friedhof selbst genutzt, sondern der Eingangsbereich. Ich finde nicht, dass eine solche "grundrechtsfreie" Zone weiter ausgedehnt werden sollte, als nötig. Ansonsten würde das ja auch bedeuten, man könne nicht mehr vor Kirchen gegen den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche demonstrieren.

Whale

Whale

17.7.2024, 12:20:48

Das BVerfG hat auch schon entschieden (BVerfG, NJW 2014, 2706), dass sich etwas anderes aus der tatsächlichen Bereitstellung des Ortes ergeben kann. Nämlich wird der Ort, der normalerweise nicht für den kommunikativen Verkehr geöffnet ist, - in dem Fall auch ein Friedhof (dort fand die Demonstration tatsächlich auch auf dem Friedhofsgelände statt), denn die Leute kommen dort primär hin, um zu trauern und nicht um zu kommunizieren - ausnahmsweise umgewidmet in einen Ort der Kommunikation und Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen. Der Ort unterfällt dann auch dem Schutzbereich des Art. 8 GG. Danach kann natürlich in der Rechtfertigung argumentiert werden, dass die Rechte anderer nicht hinten anstehen müssen, sondern das Recht auf Versammlungsfreiheit überwiegen, sodass ein Eingriff gerechtfertigt wäre.


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